Die Formel E nimmt am Samstag in Monaco (ab 15:00 Uhr live bei ProSieben) mit dem neunten Rennen des Jahres die zweite Hälfte der immer stärker umkämpften Saison 2023 auf. Galt Porsche nach den ersten Rennen mit dem neuen Gen3-Auto als der große Favorit, hat sich das Blatt im Verlauf der vergangenen Wochen gewendet: Jaguar-Power gibt derzeit den Ton an in der Elektro-Rennserie!

Gut für Porsche und WM-Spitzenreiter Pascal Wehrlein: Die vier von einem Jaguar-Motor angetriebenen Rennwagen des Werksteams sowie des Kundenrennstalls Envision nehmen sich gegenseitig die dicken Punkte weg. Zuletzt in Berlin eroberten die Werkspiloten Mitch Evans und Sam Bird am Samstag den ersten Doppelsieg der Briten, am Sonntag triumphierte Nick Cassidy und fuhr zum vierten Mal im Verlauf von fünf Rennen aufs Podium.

Cassidy holt 48 Punkte zu Wehrlein auf

Hatte Wehrlein nach den ersten vier Saisonrennen in Mexiko, dem Double-Header in Saudi-Arabien und Hyderabad einen beachtlichen Vorsprung von 52 Punkten auf Cassidy aufgebaut, ist dieser auf nur noch vier Zähler geschrumpft. Porsche-Ass Wehrlein wartet seit sechs Rennen auf seinen vierten Podesterfolg, während Jaguar-Autos in den letzten drei ePrix sechs von neun möglichen Podien belegten.

In Sao Paulo und beim Doppel-Rennen in Berlin musste sich Wehrlein mit den Plätzen sieben, sechs und sieben begnügen. Der frühere DTM-Champion und Formel-1-Fahrer punktete zwar in acht der bisherigen neun Rennen, ließ zuletzt angesichts der starken Jaguar-Konkurrenz aber die 'Big Points' liegen. Setzt sich dieser Trend fort, könnte Wehrlein in Monaco erstmals seit Ende Januar die Führung in der Gesamtwertung verlieren.

Porsche-Leiter Modlinger: "Werden keinen Gegner unterschätzen"

"Wir sind sehr gut in die Saison gestartet und stehen in beiden Wertungen auf dem ersten Platz", sagt Porsche-Gesamtprojektleiter Florian Modlinger zu Motorsport-Magazin.com. "Wir haben gezeigt, dass wir auf unterschiedlichen Rennstrecken konkurrenzfähig sind. Wir werden aber keinen Gegner unterschätzen. In der Formel E herrscht eine so hohe Leistungsdichte. Wenn ich vom einen Rennen zum nächsten eine Zehntel finde, kann ich mich in der Hackordnung gleich ganz woanders hinarbeiten."

Porsche gegen Jaguar: Es ist längst das große Kräftemessen der beiden Traditionsmarken in der Formel E. Experten bescheinigten dem Gen3-Jaguar schon in den ersten Rennen absolutes WM-Potenzial, doch teaminterne Fehler oder Kollisionen wie der Bird-Evans-Crash in Hyderabad spiegeln die wahre Performance in der Gesamtwertung nur bedingt wider. Hinter Porsche (168 Punkte) und dem eigenen Kundenteam Envision (153) belegt Jaguar 'nur' den dritten Rang mit 138 Zählern.

Dabei verdient die Leistung des vergleichsweise kleinen Envision-Teams, das in der Vergangenheit immer wieder die eigenen Motorenlieferanten zu ärgern wusste, großen Respekt. Vor allem Rennsport-Allrounder Cassidy liefert konstant ab, während sein neuer Teamkollege und früherer Formel-E-Champion Sebastien Buemi eine Achterbahn-Saison mit zwei Podestplätzen und drei Nullrunden erlebt.

Formel E Berlin 2023, Rennen 2: Highlights und Zusammenfassung (04:35 Min.)

Formel-E-Tabelle: Top-8 voll mit Porsche und Jaguar

Dass es in der Formel E gerne mal drunter und drüber geht, dürfte inzwischen auch der letzte Motorsport-Fan mitbekommen haben. Die Hierarchie zeigt sich aber ganz klar in der Fahrer-Wertung: Sieben Piloten in den Top-8 fahren mit einem Antriebsstrang von Porsche oder Jaguar, nur der zweifache Meister Jean-Eric Vergne (DS Penske) wehrt sich als Gesamt-Dritter tapfer und greift nach dem dritten Titelgewinn. "Aber wir müssen aufwachen, wenn wir Porsche und Jaguar schlagen wollen", machte der Franzose zuletzt Druck auf die eigene Mannschaft.

Vergne stand in den bisherigen fünf Monaco-Rennen zweimal auf dem Podium und siegte 2019, bevor 2022 sein heutiger Teamkollege Stoffel Vandoorne mit dem Monaco-Sieg für Mercedes den Grundstein zum späteren WM-Triumph legte. Für den 3,337 Kilometer langen Stadtkurs im Fürstentum ist die Favoritenliste allerdings lang: Jaguar-Routinier Evans fuhr 2021 und 2022 aufs Podium, Porsche-Neuzugang Antonio Felix da Costa siegte 2021. Im vergangenen Jahr lag Teamkollege Wehrlein lange Zeit auf Siegkurs, bis ihm ein technisches Problem den bitteren vorzeitigen K.o. versetzte.

Formel E: Alle bisherigen Monaco-Sieger

JahrSiegerPlatz 2Platz 3
2015Sebastien BuemiLucas di GrassiNelson Piquet Jr.
2017Sebastien BuemiLucas di GrassiNick Heidfeld
2019Jean-Eric VergneOliver RowlandFelipe Massa
2021Antonio Felix da CostaRobin FrijnsMitch Evans
2022Stoffel VandoorneMitch EvansJean-Eric Vergne

Können die Kundenteams mit den Werken mithalten?

Rekordsieger in Monaco ist der viermalige Le-Mans-Sieger Buemi mit zwei ersten Plätzen in den Jahren 2015 und 2017. Teamkollege und Titelanwärter Cassidy wartet in seiner dritten Formel-E-Saison noch auf das erste Podest in Monaco, zählt am Samstag aber zu den Favoriten. Dabei wird es spannend sein, zu beobachten, ob die Envision-Mannschaft weiterhin auf Augenhöhe mit den großen Herstellern mithalten kann.

In früheren Jahren fuhr die Truppe von Teamchef Sylvain Filippi immer wieder vorne mit, bis in der Schlussphase einer Saison 'die Puste ausging'. Droht Envision 2023 ein ähnliches Schicksal, nachdem vor allem Jaguar inzwischen voll aufdreht? "Wir haben die gleichen Autos wie Jaguar, aber es sind die kleinen Dinge", sagte Cassidy. "Wir waren zum Beispiel das einzige Team, das zwischen Sao Paulo und Berlin nicht getestet hat. Es ist einfach so: Wir kommen nicht so vorbereitet wie die Werksfahrer zu den Rennen."

Sorgt Envision für eine große Überraschung in der Formel E?, Foto: LAT Images
Sorgt Envision für eine große Überraschung in der Formel E?, Foto: LAT Images

Dennis meldet sich zurück: "War an dunklem Ort"

Dem neuen Porsche-Kundenteam Andretti dürfte es ähnlich ergehen. Galt der talentierte Brite Jake Dennis nach den ersten Rennen mit einem Sieg in Mexiko und zwei Saudi-Podesten als heißer WM-Tipp, fiel er im Anschluss in ein Leistungsloch: viermal in Folge blieb Dennis ohne Punkte, erst in Berlin meldete er sich mit einem zweiten Platz im Sonntagsrennen zurück: "Ich war an einem dunklen Ort... das haben wir gebraucht!" Mit vier Podesten auf der einen, und vier Nullnummern auf der anderen Seite, ist Dennis immerhin Vierter in der Gesamtwertung.

In Monaco erwartet die Kundenteams eine spezielle Herausforderung: Zum ersten Mal in dieser Saison werden alle Trainings, das Qualifying sowie das Rennen innerhalb eines Tages ausgetragen. Zuvor hatten die Teams nach einem Freien Training am Freitagabend die Gelegenheit, über Nacht ihre gesammelten Daten auszuwerten. Wegen des ultra-kompakten Zeitplans sind die großen Werksteams mit ihren Ressourcen zumindest in der Theorie bevorteilt.

"Bei diesem eng getakteten Ablauf bleibt nur wenig Zeit, um ausgiebig Daten zu studieren", wusste auch Wehrlein, der seine erste Meisterschaft seit dem DTM-Titel 2015 anstrebt. "Darauf müssen wir uns einstellen. Eigentlich muss man in Monaco schon aussortiert an die Strecke kommen."

Formel-E-Tabelle 2023 nach 8/16 Rennen (Top-10)

Pos.FahrerTeamPunkte
1Pascal WehrleinPorsche100
2Nick CassidyEnvision-Jaguar96
3Jean-Eric VergneDS Penske81
4Jake DennisAndretti-Porsche80
5Mitch EvansJaguar76
6Antonio Felix da CostaPorsche68
7Sam BirdJaguar62
8Sebastien BuemiEnvision-Jaguar57
9Rene RastMcLaren40
10Jake HughesMcLaren32