Die Hankook-Reifen waren eines der großen Themen zum Beginn der Formel-E-Saison 2023 mit den neuen Gen3-Rennwagen. Zuletzt beim Double-Header in Berlin wurden die Produkte des südkoreanischen Herstellers auf die absolute Belastungsprobe gestellt: Nicht nur erwartete die Teams und Fahrer auf den Betonplatten des stillgelegten Flughafens Tempelhof ein einzigartiger Untergrund, obendrein erlebte die Formel E am Sonntag ihre erste Regen-Session.

Unter Medienvertretern machten am trüben Sonntagmorgen erste Wetten die Runde, wie viele Fahrer sich auf dem rutschigen Asphalt mit ihren 350 kW (476 PS) starken Boliden wohl drehen würden. Immerhin ist es schon bei trockenen Verhältnissen schwierig, die Power der Gen3-Autos auf die Straße zu bringen. Das Ergebnis: kein einziger Dreher im morgendlichen Training oder dem anschließenden Qualifying!

Hankook: "Performance absolut zufriedenstellend"

"Die Performance der Reifen war absolut zufriedenstellend", sagte Hankook-Chefingenieur Thomas Baltes zu Motorsport-Magazin.com. "Auch die Kommentare der Teams waren durchaus positiv. Jeder hat immer ein bisschen Sorge vor der ersten offiziellen Session unter nassen Bedingungen. Ich denke aber, dass sich unser Produkt gut geschlagen hat. Die Reifen waren absolut im Fenster und die Drücke wie erwartet, das hat gepasst."

Zur Erinnerung: In der Formel E kommen seit dem ersten Rennen im September 2014 ausschließlich Allwetter-Reifen zum Einsatz. Der bewusste Verzicht auf den üblichen Motorsport-Mix auf Slicks und Regenreifen soll der Nachhaltigkeit dienen, weil so weniger Material rund um den Globus transportiert wird. Eine Herausforderung für den neuen Reifenlieferanten Hankook, der sich in Rennserien wie der DTM einen Namen auch im Motorsport gemacht hat.

Hankook stattet die Formel E seit der Saison 2023 mit Reifen aus, Foto: LAT Images
Hankook stattet die Formel E seit der Saison 2023 mit Reifen aus, Foto: LAT Images

Sandbichler: "Bisher nicht ein Reifenschaden"

"Unser Fazit zur Saisonhalbzeit: Der Hankook iON Race erfüllt zu 100 Prozent die Vorgaben der Formel E", sagt Hankook-Motorsportdirektor Manfred Sandbichler. "Bisher gab es nicht einen Reifenschaden. Und das, bei so unterschiedlichen Streckenoberflächen und äußeren Bedingungen. Egal ob Asphalt, Beton, grob- oder feinporig, egal ob große Hitze wie beispielsweise in Kapstadt oder kühle Temperaturen und Regen wie beim Rennen in Berlin - unser Reifen hat alle Aufgaben gemeistert und den Piloten zuverlässig den nötigen Grip geliefert."

Der nasse Auftakt am Sonntag in Berlin - zum Rennstart präsentierte sich die Strecke wieder trocken - war für Hankook trotz des unüblichen Asphalts mit unterschiedlichen Grip-Verhältnissen kein 'Schuss ins Blaue': Während der Entwicklungsphase gab es einige wenige regnerische Bedingungen, hinzu kam ein wenige Stunden andauernder Regen bei den Vorsaison-Testfahrten in Valencia.

Da die Reifen in der Formel E bei sämtlichen Streckenverhältnissen und Temperaturen funktionieren müssen und unfallträchtige 'Rutschpartien' wie in Paris 2019 oder New York 2022 mit den Michelin-Reifen vermieden werden sollen, handelt es sich bei den Hankooks wenig überraschend um ein Kompromiss-Produkt. Immer wieder gibt es deshalb schon länger den Wunsch nach echten Slicks seitens der Fahrer. Formel-E-Mitgründer Alberto Longo zeigte sich für eine Weiterentwicklung der Allwetterreifen zwar offen, erteilte Slicks während des vierjährigen Gen3-Zyklus aber eine Absage.

MSM-Reporter Robert Seiwert beim Reifen-Workshop in Berlin, Foto: Hankook
MSM-Reporter Robert Seiwert beim Reifen-Workshop in Berlin, Foto: Hankook

Frijns: "Schon im Trockenen das schwierigste Rennauto"

"Das Auto fährt sich im Regen ganz anders", erklärte Berlin-Sieger Nick Cassidy (Envision), der vom achten Startplatz zu seinem ersten Saisonsieg gestürmt war. "Auf eine Art und Weise ist es leichter als mit dem Gen2-Auto. Die Systeme funktionieren ziemlich gut. Mit dem Gen2 war es ziemlich schwierig und du brauchtest viel Vertrauen. Es scheint mit dem neuen Auto etwas leichter zu sein."

'Regen-Gott' Robin Frijns, der Abt-Cupra beim Heimspiel in Berlin sensationell die Pole Position bescherte, sagte zu Motorsport-Magazin.com: "Im Trockenen ist es schon das schwierigste Auto, das ich jemals gefahren bin. Aber im Nassen ist es noch drei-, viermal schwerer. Die Reifen sind recht steif und hart und das sind Umstände, die du im Regen eigentlich nicht willst. Echte Regenreifen sind hingegen sehr weich und nachgiebig. Es war sehr schwierig, das Auto am Limit zu bewegen und man konnte es leicht über- oder unterschreiten. Du brauchst halt einen sehr sensiblen Fuß."

In der Formel E kommen seit jeher Allwetter-Reifen zum Einsatz, Foto: DPPI/Hankook
In der Formel E kommen seit jeher Allwetter-Reifen zum Einsatz, Foto: DPPI/Hankook

Hankook mit Rundenzeiten-Delta zufrieden

Laut dem erfahrenen Hankook-Chefingenieur Baltes hätten sich die Differenzen in den Rundenzeiten bei trockenen und nassen Verhältnissen "sehen lassen können". Im trockenen Samstags-Qualifying erzielte Weltmeister Stoffel Vandoorne (DS Penske) die Bestzeit in 1:05.393 Minuten. Im regnerischen Qualifying am Sonntag ging die schnellste Runde auf das Konto von Sebastien Buemi (Envision), der den 2,355 Kilometer langen Flugplatzkurs in 1:18.282 Minuten umrundete. Die Bestzeit im ebenfalls nassen 3. Training kurz vor dem Qualifying fuhr Mitch Evans (Jaguar) in 1:15.955 Minuten.

"Da die Strecke sehr aggressiv ist, habe ich erwartet, dass es im Rennen schwierig werden könnte für die Reifen", sagte Maximilian Günther (Maserati), der mit seiner ersten Podiumsplatzierung in der laufenden Saison der beste Deutsche in Berlin war. "Aber ich muss sagen, das Reifenmanagement war deutlich besser als in den Vorjahren. Der Reifen war sehr konstant."

Beim bevorstehenden neunten Saisonrennen in Monaco am Samstag, 06. Mai (ab 15:00 Uhr live bei ProSieben) stehen die Reifen schon jetzt im Fokus: Wie beim Saisonauftakt in Mexiko City, sind die Reifen mit farbigen Profilrillen im sogenannten 'Hankook-Orange' und 'iON-Blau' versehen. Die bunten Akzente haben laut Hankook-Angaben keinen Einfluss auf die Performance der Reifen.

Formel-E-Tabelle 2023 nach 8/16 Rennen (Top-10)

Pos.FahrerTeamPunkte
1Pascal WehrleinPorsche100
2Nick CassidyEnvision-Jaguar96
3Jean-Eric VergneDS Penske81
4Jake DennisAndretti-Porsche80
5Mitch EvansJaguar76
6Antonio Felix da CostaPorsche68
7Sam BirdJaguar62
8Sebastien BuemiEnvision-Jaguar57
9Rene RastMcLaren40
10Jake HughesMcLaren32