Nach dem in vielerlei Hinsicht spektakulären Rennwochenende der Formel E ging es am Montag in Berlin nahtlos weiter: Auf dem Rollfeld des stillgelegten Flughafens Tempelhof standen die offiziellen Rookie-Testfahrten der Elektro-Rennserie auf dem Programm. 22 Piloten, die noch kein Formel-E-Rennen bestritten haben und an nicht mehr als zwei Testfahrten teilgenommen hatten, waren startberechtigt. Jeder Fahrer durfte maximal 100 Runden zurücklegen.

Von 09:00 bis 12:00 und zwischen 14:00 und 17:00 Uhr konnten 'Rookies' wie die früheren Formel-1-Fahrer Daniil Kvyat (NIO 333) oder Will Stevens (DS Penske) sowie die deutschen Nachwuchspiloten David Beckmann (Porsche) und Tim Tramnitz (Abt-Cupra) ihre Runden mit den Einsatzautos der elf Teams drehen und sich mit dem 350 kW (476 PS) starken Gen3-Fahrzeug vertraut machen.

Formel-E-Rookietest: Drugovich fährt Bestzeit

Bei den Rundenzeiten standen die Neulinge den etablierten Stammpiloten in nichts nach: Der amtierende Formel-2-Champion Felipe Drugovich (Maserati) sicherte sich die Tagesbestzeit in 1:05.509 Minuten. Damit war der Junior-Fahrer von Aston Martins Formel-1-Team sogar eine Zehntelsekunde schneller als die Pole-Zeit vom Samstag, aufgestellt von Sebastien Buemi in 1:05.605 Minuten!

Die für einen Rookie-Test ungewöhnlich schnellen Rundenzeiten - die Fahrer waren angehalten, die Autos wegen der angespannten Ersatzteillage und zwei Wochen vor dem nächsten Rennen in Monaco an einem Stück zu lassen - haben natürlich einen Grund: In diesem Fall dürften die Streckenverhältnisse vergleichsweise gute Zeiten zugelassen haben. Nach den Rennen am Samstag und Sonntag bei trockenen Bedingungen hatte sich einiges an Gummi der Hankook-Reifen auf dem Asphalt breitgemacht und dadurch den Fahrern deutlich bessere Grip-Verhältnisse geboten.

Drugovich: "Das Auto macht Spaß zu fahren, ist aber anders als alles, was ich gewohnt bin. Das ist eine gute Erfahrung, auch, weil ich in diesem Jahr sonst nichts fahre. Je öfter ich im Auto sitze, desto besser. Und man weiß ja nie, was in Zukunft passiert. Die Formel E ist sicherlich eine Alternative zur Formel 1. Das Feld ist sehr konkurrenzfähig und es sind viele Hersteller dabei."

Sheldon van der Linde crasht im Jaguar

Die Aufgabenstellung, nach Möglichkeit die komplex zu fahrenden Autos mit wenig Aero, den Allwetterreifen und einer hydraulischen Bremse nur auf der Vorderachse nicht zu beschädigen, gelang mit einer Ausnahme. In der Session am Nachmittag verunfallte der amtierende DTM-Champion Sheldon van der Linde mit dem #10 Jaguar von Stammpilot Sam Bird. Der Südafrikaner schlug in Kurve 5 in die Streckenbegrenzung ein und beschädigte das Auto dabei an der Frontpartie.

Van der Lindes Jaguar wurde mit einem abgeknickten rechten Vorderrad unter roten Flaggen in die Boxengasse zurückgeschleppt. Der eigentliche BMW-Werksfahrer musste die Testfahrten daraufhin abbrechen. Wie es zum Unfall von van der Linde, der am Vormittag die beste Rundenzeit in 1:05.814 Minuten (P5 im Gesamtklassement) aufgestellt hatte, kam, war zunächst nicht bekannt. Der 23-Jährige, dessen Bruder Kelvin ebenfalls am Montag vor Ort war, blieb unverletzt.

"Es handelte sich nur um ein kleines Problem", sagte Jaguar-Teamchef James Barclay zu Motorsport-Magazin.com. "Das Auto hat keinen größeren Schaden erlitten."

Van der Linde während einer Pressekonferenz am Mittag vor seinem Unfall: "Ich habe vor dem Test mit Kelvin gesprochen. Das Gen2-Auto ist anders als der Vorgänger, den ich schon einmal gefahren bin, vor allem wegen des Motors an der Vorderachse. Er hat mir einfach ein paar Tipps gegeben, wie man Rundenzeit findet. Ich habe ja das Glück, dass mein Bruder schon einige Rennen gefahren ist. Die Formel E wächst und das Fahrerfeld ist besonders. Du fährst hier gegen die Besten der Welt. Die Formel E hat eine große Zukunft vor sich."

DTM-Meister Sheldon van der Linde verunfallt im Jaguar, Foto: Motorsport-Magazin.com
DTM-Meister Sheldon van der Linde verunfallt im Jaguar, Foto: Motorsport-Magazin.com
Für van der Linde war der Test nach dem Unfall vorzeitig beendet, Foto: Motorsport-Magazin.com
Für van der Linde war der Test nach dem Unfall vorzeitig beendet, Foto: Motorsport-Magazin.com

Alpine-Junior Martins: Überrascht von der Power

Trotz eines zwischenzeitlichen Regenschauers in der Mittagspause wurden die Rundenzeiten in der Nachmittags-Session bei sich stetig verbessernden Streckenbedingungen deutlich schneller. Hinter Spitzenreiter Drugovich belegte Victor Martins (Nissan) den zweiten Platz mit einer persönlichen Bestzeit von 1:05.610 Minuten in der Zeitenliste.

Martins, amtierender FIA Formel-3-Meister und Alpine-Junior: "Das war eine schöne Erfahrung für mich. Ich war überrascht von der Power. Klar, es gibt keinen Sound. Aber es macht Spaß, mit dem Auto zu kämpfen und es ans Limit zu treiben. Es war auch spannend, mit so vielen Leuten hier zu arbeiten, viel mehr als in der Formel 2. Der Test war gut, um Möglichkeiten für die Zukunft auszuloten."

Die Porsche-Rookies David Beckmann und Yifei Ye, Foto: LAT Images
Die Porsche-Rookies David Beckmann und Yifei Ye, Foto: LAT Images

Formel E: Kvyat in den Top-10

Auf dem 2,355 Kilometer langen Kurs mit seinen zehn Kurven folgten Red-Bull-Junior Zane Maloney (Andretti) und Luca Ghiotto (Nissan) auf den Plätzen drei und vier. Nur das Team Envision hatte nur ein Auto im Einsatz, nachdem das Chassis von Sebastien Buemi nach einem Rennunfall repariert werden muss.

Die Jagd nach schnellen Rundenzeiten stand bei den Rookie-Testfahrten nicht im Fokus. Auf der einen Seite will die Formel E ambitionierten Fahrern die Gelegenheit geben, das neue Auto kennenzulernen und eine 'Visitenkarte' bei den Teams zu hinterlassen. Auf der anderen Seite ist den Teams angesichts der stark eingeschränkten Testmöglichkeiten jede Gelegenheit äußerst willkommen, weitere Daten zu sammeln.

Auf den Plätzen fünf, sechs und sieben der kombinierten Zeitenliste landeten Sheldon van der Linde, Jehan Daruvala (Mahindra) und Ferrari-Testfahrer Robert Shwartzman (DS Penske). Luke Browning (McLaren), Porsche-Testfahrer David Beckmann und der frühere Formel-1-Pilot Daniil Kvyat (NIO 333) komplettierten die Top-10 beim einzigen Rookie-Test in der Saison 2023.

Das deutsche Formel-Nachwuchstalent Tim Tramnitz (Abt-Cupra), das direkt vom Rennwochenende der Formula Regional European Championship in Imola nach Berlin gereist war, belegte den zwölften Platz in der kombinierten Zeitenliste vor Yifei Ye im Porsche. Der frühere DTM-Pilot Adrien Tambay fuhr im zweiten Abt-Cupra auf P17. Eine weitere Gelegenheit für Newcomer gibt es bei einer speziellen Rookie-Trainingssession im Rahmen des Rom ePrix beim vorletzten Rennwochenende.

Weltmeister Vandoorne mit den Rookies Shwartzman und Kvyat, Foto: LAT Images
Weltmeister Vandoorne mit den Rookies Shwartzman und Kvyat, Foto: LAT Images

Formel E testet neues Gen3-Lenkrad

Die Formel E und FIA nutzten den Rookie-Test, um neue Teile auszuprobieren. Nach Informationen von Motorsport-Magazin.com wurden die Teams gebeten, ein neues Lenkrad einzusetzen. Was bislang kaum ein Thema in der Öffentlichkeit gewesen war: Aufgrund von Lieferengpässen fuhren die Piloten in den Gen3-Autos bislang mit Lenkrädern aus dem Vorgängerauto! Wann die neuen Lenkräder im Rennen genutzt werden sollen, ist offiziell noch unklar.

Nach den Saisonrennen Nummer sieben und acht in Berlin mit den Siegern Mitch Evans (Jaguar) und Nick Cassidy (Envision-Jaguar) sowie dem Rookie-Test, geht es für die Formel E schon bald weiter: In knapp zwei Wochen wartet mit dem Monaco ePrix (06. Mai) das Highlight im diesjährigen Rennkalender.

Formel-E-Rookietest Berlin: Kombiniertes Ergebnis

Pos.FahrerTeamZeit
1Felipe DrugovichMaserati1:05.509
2Victor MartinsNissan1:05.610
3Zane MaloneyAndretti1:05.619
4Luca GhiottiNissan1:05.780
5Sheldon van der LindeJaguar1:05.814
6Jehan DaruvalaMahindra1:05.922
7Robert ShwartzmanDS Penske1:05.923
8Luke BrowningMcLaren1:05.944
9David BeckmannPorsche1:05.996
10Daniil KvyatNIO 3331:06.012
11Yifei YePorsche1:06.053
12Tim TramnitzAbt-Cupra1:06.090
13Mikel AzconaNIO 3331:06.155
14Will StevensDS Penske1:06.175
15Linus LundqvistAndretti1:06.245
16Hugh BarterMaserati1:06.310
17Adrien TambayAbt-Cupra1:06.352
18Roberto MerhiMahindra1:06.386
19Charlie EastwoodMcLaren1:06.454
20Jordan KingMahindra1:06.525
21Jack AitkenEnvision1:06.878
22Simon EvansJaguar1:07.147
23Jonny EdgarEnvision1:07.172