Triste Winterpause im Rennsport? Von wegen! Bereits am 14. startet die Formel E in ihre neunte Saison - und das mit einem lauten (leisen) Knall: In Mexiko-City geben die brandneuen Gen3-Autos ihr Renndebüt. Dazu Neueinsteiger wie McLaren und Maserati, Rückkehrer Abt Sportsline und überhaupt eine wahre Wechselorgie auf dem Fahrermarkt, wie sie die Formel E in ihrer Geschichte nie zuvor erlebt hat.

Das Gen-3-Auto

Das nagelneue Gen3-Auto leitet die dritte technologische Ära der Formel E seit dem Seriendebüt im Jahr 2014 ein. Es war allerdings ein Stotterstart: Zahlreiche Hersteller-Testtage fielen flach, weil es grobe Probleme mit Einheitsbauteilen gab, vor allem mit der Batterie von Rückkehrer Williams Advanced Technologies. "In meinen Augen sollte es in einer Serie mit Einheitsbauteilen nicht der Anspruch sein, dass noch Entwicklungsarbeit geleistet werden muss, wenn die Fahrzeuge und Einheitsbauteile bereits bei den Herstellern sind", brachte es Porsche-Projektleiter Florian Modlinger im Gespräch mit dem Motorsport-Magazin auf dem Punkt.

Die Formel E startet spektakulär in die neue Ära, Foto: LAT Images
Die Formel E startet spektakulär in die neue Ära, Foto: LAT Images

Wenn sie aber fahren, dann sollen sie wirklich schnell sein: Fahrer berichten von einem deutlichen Performance-Anstieg im Vergleich zum Gen2-Auto aus den vergangenen vier Saisons. Die von den Herstellern eigens entwickelten Antriebsstränge leisten nun maximal 350 kW, was 476 PS entspricht. Die vorige Fahrzeuggeneration brachte es auf eine Maximalleistung von 250 kW (339 PS).

Im Renntrim sind die Autos mit 300 kW Power unterwegs, im Qualifying und während der Attack-Mode-Phasen (dazu später mehr) ist der volle Leistungsoutput erlaubt. Das Mindestgewicht der Fahrzeuge stand zum Redaktionsschluss noch nicht offiziell fest. Als Zielvorgabe hatte die FIA bei der Ausschreibung im Jahr 2019 knackige 780 Kilogramm - im Vergleich zum 900 Kilo schweren Gen2-Auto - angepeilt.

Der ganze Stolz der Formel E bleibt die Effizienz, die Serienbosse sprechen von 95 Prozent Energieeffizienz im Gen3-Boliden. Dafür hat die Rennserie ganz neue Wege eingeschlagen und einen zweiten Elektromotor mit 250 kW an der Vorderachse installiert. Dieser darf ausschließlich zur Energierückgewinnung genutzt werden und sorgt zusammen mit den 350 kW an der Hinterachse für eine Rekuperation von 600 kW - damit können 40 Prozent der im Rennen eingesetzten Energie über die Systeme zurückgewonnen werden. Mit der Hinzunahme des Frontmotors fällt gleichzeitig die hydraulische Bremse an der Hinterachse weg. In Kombination mit dem Brake-by-Wire-System dürfte den Ingenieuren nun noch mehr Software-Arbeit ins Haus stehen, um alle Komponenten zu optimieren. Traktionskontrolle und Torque Vectoring bleiben strikt verboten.

Mit Hankook erhält die Formel E zudem erstmals einen neuen Reifenlieferanten. Die Südkoreaner folgen auf den langjährigen Ausstatter Michelin. Am Formel-E-Grundprinzip ändert sich jedoch nichts: Auch 2023 kommen Allwetterreifen mit einer Größe von 18 Zoll zum Einsatz. Im Vergleich zum Gen2-Auto ist der Gen3 um einige Millimeter in der Länge und Breite geschrumpft, um besseres Racing zu ermöglichen. Das ging deutlich auf Kosten der Optik, meinen Kritiker angesichts des Autos, das mit seiner ungewöhnlichen Keilform entfernt an einen Papierflieger erinnert.

Die Teams und Fahrer

Nicht nur bei der Technologie hat sich einiges getan - auf dem Fahrermarkt ging es bei den elf Teams so wild zu wie nie zuvor in der Geschichte der Formel E! Das Mercedes-Werksteam hat sich nach dem Gewinn von zwei Fahrer- und Teamweltmeisterschaften verabschiedet. Ein Großteil der Mitglieder wanderte zusammen mit der Silberpfeil-Startlizenz in Richtung McLaren, dem prominentesten Neueinsteiger zur Saison 2023. Mit dem dreifachen DTM-Champion und Formel-E-Rückkehrer Rene Rast hat sich der britische Traditionsrennstall gleich einen Star gekrallt. McLaren vertraut beim Debüt auf Antriebsstränge von Nissan.

McLaren ist zusammen mit Rene Rast das erste mal im Formel-E-Feld vertreten, Foto: McLaren
McLaren ist zusammen mit Rene Rast das erste mal im Formel-E-Feld vertreten, Foto: McLaren

Mercedes-Weltmeister Stoffel Vandoorne wechselte in diesem Zuge zum französischen Hersteller DS Automobiles, der nach der Trennung von Erfolgsrennstall Techeetah erstmals mit Chaos-Team Dragon/Penske zusammenspannt und dort die Hoheit übernimmt. Mit dem zweifachen Formel-E-Champion Jean-Eric Vergne als Teamkollegen wartet hier eines der stärksten Fahrerduos.

Vergnes Ex-Partner Antonio Felix da Costa hat sich unterdessen zu Porsche verabschiedet, dem letzten verbliebenen Hersteller aus Deutschland. Der Meister von 2020 trifft beim Sportwagenbauer auf Teamkollege Pascal Wehrlein und folgt auf den dreifachen Le-Mans-Sieger Andre Lotterer, der seinerseits beim neuen Porsche-Kundenteam Andretti anheuert.

Mit der italienischen Edelmarke Maserati begrüßt die Formel E einen weiteren Neueinsteiger. Der Sportwagenhersteller setzt beim Debüt auf Antriebsstränge von Stellantis-Konzernschwester DS Automobiles, die Renneinsätze übernimmt das Team Venturi aus Monaco. Der neue Teamchef James Rossiter will den 'Dreizack' mit dem erfahrenen Duo Edoardo Mortara und Nissan-Abgänger Maximilian Günther zum Erfolg führen. Motorsport-Fans aus Deutschland können sich zudem auf das Comeback von Abt Sportsline freuen, dem langjährigen Audi-Werksteam, das nach einem Jahr Auszeit mit Mahindra-Kundenautos und dem Ex-DTM-Duo Nico Müller/ Robin Frijns zurückkehrt.

Antriebslieferant Mahindra hat sich unterdessen die Dienste von Ex-Venturi-Pilot Lucas di Grassi gesichert, dem einzigen Fahrer, der alle 100 Rennen in der Geschichte der Formel E absolviert hat. Deutlich pikanter ist die Verpflichtung von Frederic Bertrand als neuem Mahindra-Teamchef in Folge des überraschenden Abgangs von Kult-Boss Dilbagh Gill. Der Franzose begleitete die Formel E zuletzt als Sportlicher Aufseher der FIA - gegnerische Teams sorgen sich hinter vorgehaltener Hand um einen Wissensvorsprung. Ebenfalls erwähnenswert: Der frühere Champion Sebastien Buemi schließt sich nach acht durchgehenden Jahren beim Renault/Nissan-Verbund dem neuen Jaguar-Kundenteam Envision an.

Die überarbeiteten Regeln

Eigentlich nur ein Randdetail, aber dennoch historisch: Der seit Jahren kontrovers diskutierte Fanboost hat nach acht Saisons ausgedient. Nicht über den Wegfall des minimalen Schusses Zusatz-Leistung freuen dürfte sich Weltmeister Stoffel Vandoorne, der in jedem seiner 55 Formel-E-Rennen seit 2018 mit die meisten Stimmen der Fans beim Online-Voting erhielt.

"Vielleicht war es aus sportlicher Sicht nicht richtig, einen Vorteil gegenüber dem Wettbewerb zu haben", so der Belgier gegenüber dem Motorsport-Magazin. "Für die langfristige Sicht der Meisterschaft mit Blick auf die Professionalität gibt es sicherlich andere Wege, es für alle gleich zu machen."

Kein Fanboost mehr - die Piloten kämpfen ab jetzt alle mit gleichen Waffen, Foto: LAT Images
Kein Fanboost mehr - die Piloten kämpfen ab jetzt alle mit gleichen Waffen, Foto: LAT Images

Als nunmehr einziges Überhol-Werkzeug dient der Attack-Mode, bei dem ein Fahrer mittels Überfahren von Aktivierungsschleifen abseits der Ideallinie 50 zusätzliche kW (350 statt 300 kW) für eine gewisse Dauer freischalten kann. Gab in der Vergangenheit die FIA die Anzahl und Zeitspanne der Attack-Modes vor, können die Fahrer nun selbst entscheiden: Zur Auswahl für die zwei verpflichtenden Aktivierungen stehen die Optionen 1 + 3 Minuten, 2 + 2 Minuten oder 3 + 1 Minuten.

Erst im späteren Verlauf des Jahres soll bei ausgewählten Rennen ein Schnelllade-Boxenstopp eingeführt werden. Demnach steht eine nicht unheikle Regeländerung während der laufenden Saison bevor. Die Rückkehr des Boxenstopps - in der Gen1-Ära musste das komplette Auto während eines Rennens gewechselt werden - bezeichnet die Formel E als 'Attack Charge'. Dahinter steckt ein Pflicht-Boxenstopp, bei dem die Fahrer innerhalb von 30 Sekunden über einen 600-kW-Booster die Energiemenge von 4 kWh nachladen können.

Willst du noch mehr solcher spannenden Interviews oder Hintergrund-Geschichten aus der Welt des Motorsports? Dann haben wir HIER ein spezielles Angebot für dich!