Jake Dennis hat das Samstagsrennen der Formel E in London gewonnen - Heimsieg von der Pole Position für den Andretti-Piloten, der nach 2021 seinen zweiten Erfolg in der britischen Hauptstadt feierte. Der wahre Sieger des drittletzten Rennens der Saison 2022 hieß allerdings Stoffel Vandoorne. Der Mercedes-Pilot überquerte die Ziellinie ungefährdet auf dem zweiten Platz vor Teamkollege Nyck de Vries und baute seinen Vorsprung in der Meisterschaft weiter aus.

Update: Nyck de Vries verlor den dritten Platz einige Stunden nach dem Rennende in Folge einer 5-Sekunden-Zeitstrafe und fiel auf P6 zurück. Nick Cassidy erbte den dritten Platz auf dem Podium.

"Jake hat den Sieg verdient, er war einfach besser. Am Anfang konnten wir ein bisschen aufholen, aber nach dem Attack Mode hatten wir keine Chance mehr", sagte Vandoorne nach seinem achten Podestplatz in der laufenden Saison. "Wir haben jetzt 26 Punkte Vorsprung, das ist schon etwas und wir sind in einer guten Position. Aber die Dinge können schnell umschwingen. Wenn ich mal nicht performe, können die anderen schnell wieder nahekommen. Deshalb müssen wir weiterarbeiten."

Beschert Vandoorne den Mercedes-Silberpfeilen im letzten Formel-E-Jahr den zweiten WM-Titel nach de Vries 2021? Auf dem verrückten Kurs im Osten von London, der teilweise durch eine überdachte Messehalle führt, spielte dem früheren Formel-1-Piloten so ziemlich alles in die Karten - weil seine Titelgegner mächtig strauchelten!

Die größte Schadensbegrenzung nach einem schwierigen Qualifying gelang Mitch Evans. Der Jaguar-Pilot kämpfte sich auf dem Kurs, der nur wenige Überholmöglichkeiten bietet, vom 14 Startplatz bis auf Platz sechs nach vorne. Damit übernimmt der Neuseeländer den zweiten Platz in der Meisterschaft.

Dickes Pech hatte dagegen Titelanwärter Edoardo Mortara (Venturi): Der frühere DTM-Fahrer wurde kurz nach dem Start von P9 in eine Kollision mit Sam Bird (Jaguar) verwickelt. Beide Fahrer mussten an die Box und nur Mortara kehrte auf die Strecke zurück. Mit gut einer Minute Rückstand hechtete er dem Rest des Feldes hinterher. Beim Zieleinlauf musste sich Mortara mit dem 18. Platz und damit null Punkten begnügen. Außerdem stand der Italo-Schweizer unter Beobachtung der Rennleitung wegen eines Vergehens beim Boxenstopp.

Ähnlich ernüchternd lief das Rennen für den vierten Titelaspiranten im Bunde, Jean-Eric Vergne. Der zweifache Formell-E-Meister hatte mit Startplatz 13 schon keine einfache Ausgangslage, kollidierte im Rennen ausgerechnet mit Teamkollege Antonio Felix da Costa und später obendrein mit Sebastien Buemi. Platz 13, null Punkte, der dritte Titelgewinn in weite Ferne gerückt!

Hinter den Podest-Fahrern Dennis, Vandoorne und de Vries sorgte Nick Cassidy für reichlich Action. Der New-York-Sieger sparte sich ebenso wie Envision-Teamkollege Robin Frijns (Platz 16) lange den zweiten seiner beiden Attack Modes auf und konnte so von Startplatz sieben einige Positionen gutmachen. Oliver Askew im zweiten Andretti, Evans, Antonio Felix da Costa und Maximilian Günther (kroch mit 0 Prozent verbleibender Energie ins Ziel) folgten auf den Plätzen fünf bis acht.

"Das war ein starkes Rennen für uns. Wir müssen aber schauen, was in der letzten Runde passiert ist, dass wir noch zwei Plätze (von P6 auf P8; d. Red.) verloren haben", sagte Günther nach seiner dritten Punktefahrt und seinem besten Ergebnis in der Saison 2022.

Mit reichlich Wut im Bauch legte Lucas di Grassi die Aufholjagd des Rennens hin: Platz neun nach Start vom allerletzten Platz! Dem Venturi-Piloten waren zuvor im Qualifying wegen Blockierens alle Rundenzeiten gestrichen worden. "Die absurdeste Strafe kassiert, die ich jemals in der Formel E gesehen habe", war di Grassi nach dem Qualifying am Samstagmittag mächtig angefressen. Den letzten WM-Punkt schnappte sich Pascal Wehrlein von Startplatz 18, während Porsche-Teamkollege Andre Lotterer als Zwölfter leer ausging.

Formel E 2022: Gesamtwertung nach 13/16 Rennen (Top-4)

Pos.FahrerTeamPunkte
1Stoffel VandoorneMercedes173
2Mitch EvansJaguar147
3Edoardo MortaraVenturi144
4Jean-Eric VergneTecheetah128

Formel E in London: So lief das Rennen am Samstag

Die Startaufstellung: Jake Dennis erzielte im Qualifying seine zweite Formel-E-Pole, aber der heimliche Gewinner war Stoffel Vandoorne. Während der Meisterschaftsführende den zweiten Startplatz eroberte, strauchelten seine Titelrivalen: Edo Mortara fuhr auf Platz 9, Jean-Eric Vergne und Mitch Evans sogar nur auf die Positionen 13 und 14. Andre Lotterer nahm das Rennen vom achten Platz auf, Pascal Wehrlein nur von P18. Maximilian Günther gelang mit Startplatz sechs sein bestes Saisonergebnis.

Der Start: Debakel für Edo Mortara! Der von P9 gestartete Titelanwärter kollidierte kurz nach dem Start unglücklich mit dem Jaguar von Sam Bird - beide Fahrer mussten die Boxengasse mit stark beschädigten Boliden ansteuern. An der Spitze verteidigte Jake Dennis die Pole Position vor Stoffel Vandoorne, der von Hintermann und Teamkollege Nyck de Vries nichts zu befürchten hatten. Auch dahinter tat sich nicht viel: Sergio Sette Camara, Oliver Askew, Maximilian Günther, Nick Cassidy und Andre Lotterer belegten in den ersten Runden die Plätze vier bis acht.

Die erste Rennhälfte: In Runde 3 drückte sich Sette Camara mit seinem Dragon mutig vorbei an de Vries und übernahm den dritten Platz. Eine Runde später kollidierten ausgerechnet die beiden Techeetah von Vergne und Felix da Costa auf den Plätzen 11 und 12! Beide konnten das Rennen fortsetzen, aber das eine oder andere Teil flog beim Kontakt über die Strecke.

Frijns und di Grassi waren in Runde 5 die ersten Fahrer, die den Attack Mode auf der Außenseite von Kurve 16 aktivierten. Einen Umlauf später holten sich auch Günther von P6 und Lotterer auf P8 fahrend den 250-kW-Zusatzboost ab. Den Attack-Mode mussten alle Fahrer 2x5 Minuten nutzen, wie die FIA kurz vor dem Rennstart bekanntgab. De Vries und Askew auf den Plätzen vier und fünf zündeten den Zusatz-Boost in Runde 7.

Damit hatte de Vries wenig später keine Schwierigkeiten, Sette Camara den dritten Platz wieder abzuknöpfen. In Runde 14 aktivierte Günther von P7 seinen zweiten Attack Mode und setzte die Verfolgung zu Cassidy fort, der kurz zuvor seinen ersten Attack Mode abgeholt hatte. Auch Oliver Askew auf Platz 5 fuhr zum zweiten Mal über die Aktivierungsschleifen abseits der Ideallinie, um in den 250-kW-Modus zu wechseln.

Der weitere Rennverlauf: Vergne fiel nach der vorangegangenen Kollision mit Buemis Nissan (5-Sekunden-Zeitstrafe) konsekutiv bis auf den 16. Platz zurück, während an der Spitze Dennis und Vandoorne um 0,6 Sekunden getrennt waren. In Runde 16 zündeten de Vries und Sette Camara zum zweiten Mal den Attack Mode, in der darauffolgenden Runde folgten auch die Spitzenreiter Dennis und Vandoorne. Wenig später musste Oliver Rowland seinen Mahindra mit einem Schaden vorne rechts in der Box parken - der zweite vorzeitige Ausfall nach Bird.

Cassidy fuhr im vorderen Feld eine andere Strategie und zündete seinen zweiten Attack Mode erst in Runde 24 von Platz 7. Damit kassierte er zügig Vordermann Günther. Zu diesem Zeitpunkt war Evans (P8) der einzige Fahrer in den Punkterängen, der seinen zweiten Attack Mode noch im Köcher hatte.

Cassidy setzte seine Aufholjagd fort und ließ in Runde 25 auch den Fünftplatzierten Askew hinter sich - und nur einen Umlauf später auch noch Sette Camara! Zu diesem Zeitpunkt musste Giovinazzi seinen Dragon-Boliden in Folge einer Kollision mit Turvey in der Teamgarage abstellen. In Runde 27 nutzte Evans von P8 seinen letzten Attack Mode, konnte zunächst aber keine Plätze gutmachen.

Frijns erhielt in Runde 30 eine 5-Sekunden-Strafe, weil er nach Ansicht der Rennleitung beim Bremsen die Linie gewechselt habe, während er den 11. Platz gegen Lotterer verteidigte. Zu diesem Zeitpunkt krallte sich Günther den sechsten Platz von Sette Camara, der mit seiner geringeren Energie nicht mehr mithalten konnte. Der Brasilianer musste kurz darauf den siebten Platz auch an Evans abtreten.

In den Schlussminuten sorgten nur noch de Vries und Cassidy für mächtig Action: Der Envision-Pilot wollte mit aller Macht den dritten Platz, kam aber nicht ganz am wehrhaften Niederländer vorbei. In der letzten Runde wurde es dann noch einmal brenzlig, als einigen Fahrern die erlaubte Energiemenge in der Batterie ausging und sie sie sich geradeso über den Zielstrich retteten.