Nach nur einem Rennen zittert die Formel E schon! Dominiert Mercedes das Geschehen ähnlich wie in der Formel 1? Nyck de Vries bescherte den Silberpfeilen beim Saisonauftakt in Saudi-Arabien einen dominanten Sieg und rundete damit seinen perfekten Start ins neue Jahr ab: Bestzeit in beiden Trainings, einen Punkt für die schnellste Runde im Gruppen-Qualifying, drei weitere Zähler für die Pole Position und schließlich der Debütsieg in der Elektro-Rennserie.

Teamkollege Stoffel Vandoorne steuerte seinen Teil trotz eines schwierigen Qualifyings mit Start in der verhassten Gruppe 1 dabei. Von Startplatz 15 kämpfte sich der amtierende Vize-Meister in einem Rennen mit zwei Safety-Car-Phasen bis auf die achte Position nach vorne und nahm auf dem Weg dorthin die schnellste Rennrunde mit. Den Extra-Punkt für diese Leistung kassierte allerdings Rene Rast, weil Vandoorne den Fanboost eingesetzt hatte. So führt Mercedes nach dem ersten von zwei Rennen im Wüstenstaat die Fahrer- und Herstellerwertung an.

Ob Mercedes nun die Formel E dominiere, wollte ein Journalist auf der Pressekonferenz nach dem Rennen wissen. Nicht ohne Grund, schließlich feierte der Autobauer aus Stuttgart sogar einen Motoren-Doppelsieg. Edoardo Mortara überquerte die Ziellinie als Zweiter, in seinem Venturi-Boliden werkelt seit letzter Saison ein Mercedes-Kundenmotor.

Toto Wolff tritt auf die Bremse

"Hoffentlich dominieren sie", feixte Mortara angesichts der Frage. "Ich habe ja schließlich einen Mercedes-Motor im Auto!" Der frühere DTM-Pilot konnte sich den Spruch nicht verkneifen, wohlwissend, dass mit dem vergleichsweise kleinen Venturi-Rennstall unter der Leitung von Susie Wolff auch in diesem Jahr keine Wunderdinge zu erwarten sein dürften.

Beim großen Werksteam sieht das möglicherweise etwas anders aus. Schon im Vorfeld des Saudi-Wochenendes wollte Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff nichts von einer Dominanz analog zur Formel 1 wissen. "In der Formel E ist das Reglement anders, sodass niemand in der Meisterschaft davonlaufen kann, allein schon wegen der Qualifying-Regeln. Deswegen bleibt es immer spannend bis zum Ende", meinte der Österreicher bei Sat.1.

Damit spielte Wolff auf das vieldiskutierte Format an, das oftmals die bestplatzierten Fahrer in der Meisterschaft benachteiligt. Sie müssen stets in der ersten Qualifying-Gruppe antreten und werden meist mit den schlechtesten Streckenbedingungen konfrontiert. So auch auf der sandigen Fahrbahn in Saudi-Arabien, wo es keinem der Top-Fahrer aus Gruppe 1 gelang, in die Superpole-Runde der Schnellsten Sechs einzuziehen.

Mercedes feiert den Sieg in Saudi-Arabien, Foto: LAT Images
Mercedes feiert den Sieg in Saudi-Arabien, Foto: LAT Images

Rast: Bis zum Safety Car schneller als de Vries

In diesem Shootout hatte de Vries schon unter Beweis gestellt, dass der Mercedes samt neuentwickeltem Antriebsstrang auf einer Runde pfeilschnell ist. Dem Zweitplatziertem Porsche-Piloten Pascal Wehrlein brummte er sechs Zehntelsekunden auf der knapp drei Kilometer langen Berg- und Talbahn auf.

Im Rennen drei Stunden später lief es kaum anders. Über 32 Runden dominierte de Vries das Geschehen größtenteils an der Spitze, beim Zieleinlauf hatte er vier Sekunden Vorsprung auf den Zweitplatzierten Mortara. Im Rennen wurde ihm nur Rene Rast kurzzeitig gefährlich, doch der Audi-Pilot wurde durch die Safety-Car-Phasen bis auf den vierten Platz zurückgeworfen: "Vor dem Safety Car hatten wir mehr Energie und eine bessere Pace als Nyck."

Mercedes fliegt neuen Motor ein

Die Anstrengungen von Mercedes im Vorfeld der siebten Saison scheinen sich gelohnt zu haben. Der neue Antriebsstrang wurde offenbar kurzfristig von Stuttgart nach Riad geflogen und wurde demzufolge nicht in Santiago de Chile zwischengelagert, wo die Formel E im Januar eigentlich in die Saison hätte starten sollen.

"In den Abstand zu unseren Konkurrenten dürfen wir nach dem ersten Saisonrennen nichts hineininterpretieren", versuchte Mercedes-Teamchef Ian James analog zu Toto Wolff auf die Euphoriebremse zu treten. "Wir sind uns bewusst, wie stark die Konkurrenz ist und wie verschieden Performance und Rennverlauf sein können. Insgesamt ein guter Start, aber morgen stehen wir vor einem neuen Rennen."

Foto: LAT Images
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De Vries: Müssen demütig sein

Auf dem Weg dorthin rutscht Tabellenführer de Vries zunächst von der zweiten in die erste Qualifying-Gruppe vor, Teamkollege Vandoorne darf stattdessen in Gruppe 2 ran. "Wir sind noch längst nicht durch und müssen demütig bleiben", sagte de Vries, der als 18. unterschiedlicher Rennsieger in die Geschichte der Formel E eingeht. "Die Formel E ist viel zu wechselhaft und das Format so konstruiert, dass alles eng bleibt."

An eine Mercedes-Dominanz wollte auch Mitch Evans nicht glauben, der im Jaguar auf den dritten Platz fuhr und von Experten als Titelanwärter angesehen wird. "Es ist viel zu früh, um so etwas zu sagen. Das ist meine Meinung", sagte der Neuseeländer.

De Vries hat das System verstanden

Ähnlich relaxed gab sich auch Rennsieger de Vries - trotz zahlreicher Herausforderungen durch die Safety-Car-Phasen, die den Teams ein Höchstmaß an Genauigkeit beim wichtigen Energie-Management abverlangten. "Mein erster Sieg in der Formel E ist ein fantastisches Ergebnis und ein perfekter Start in unsere zweite Saison", so der frühere Formel-2-Champion. "Ich weiß nicht warum, aber ich war trotz der Freude über den Sieg nach dem Rennen ganz entspannt."

Nachdem Toto Wolff unter der Woche noch gehofft hatte, dass "Nyck das System einigermaßen versteht und Stoffel weiterhin gute Leistungen bringen kann", kann er nach dem überragenden Auftritt erst einmal beruhigt sein. Und Vandoorne glaubte sowieso, dass de Vries an seiner Seite - trotz einiger Fehler in der Rookie-Saison - die richtige Wahl ist: "Wir haben ein starkes Fahrer-Lineup. Allerdings würde ich sagen, dass es in der Formel E sowieso keine schlechten gibt."