19 Gesamtsiege in Le Mans, zwölf beim 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring: Der Name Porsche steht für schier unzählige Erfolge in der Welt der Sportwagen. Mit dem Einstieg in die Formel E wagten die Zuffenhausener mit Beginn der Saison 2019/20 eine neue Herausforderung in ihrer großen Motorsportgeschichte.

Als kompletter Neueinsteiger kann Porsche als einziges der zwölf Teams in der Elektro-Rennserie nicht auf Erfahrungen aus der Vor-Saison aufbauen. Dennoch gelang der Werksmannschaft um Andre Lotterer und Neel Jani beim Saisonauftakt in Saudi-Arabien Ende November 2019 auf Anhieb ein Podesterfolg.

Pascal Zurlinden ist als Porsche Gesamtprojektleiter Werksmotorsport seit August 2019 übergreifend sowohl für die GT-Rennserien als auch das Formel-E-Projekt zuständig und damit Teil des TAG Heuer Porsche Formel-E-Teams. Zurlinden wechselte nach einigen Jahren in der DTM (bei Opel und Audi) ab 2014 zu Porsche, 2018 wurde der deutschsprachige Franzose Gesamtprojektleiter GT-Werksmotorsport.

Unter Zurlindens Leitung erzielte Porsche prestigeträchtige Erfolge in Le Mans, Bathurst und Spa sowie bei nordamerikanischen Rennen wie Sebring und Road Atlanta. Mit Motorsport-Magazin.com spricht der 38-Jährige über Porsches Einstiegshürden in der Formel E, Ambitionen und Erwartungsdruck.

Die ersten fünf Rennen in Porsches Debütsaison in der Formel E ist vorbei. Wie fällt Ihr Zwischenfazit aus?
Pascal Zurlinden: Wir hatten es uns als Ziel gesetzt, gegen Ende der Saison einmal auf das Podium zu fahren. Das haben wir direkt beim ersten Rennen geschafft, was sehr positiv ist. Oft mussten wir uns dann anhören, dass das nur Zufall oder Glück gewesen sei. Mit der Pole Position in Mexiko haben wir aber gezeigt, dass unser Auto richtig konkurrenzfähig ist. Wir haben den Podesterfolg bislang nicht wiederholen können, aber für unsere Rookie-Saison war es ein sehr guter Anfang.

Formel E auf dem Münchner Oktoberfest: Mercedes-Teamchef Ian James, Audi-Fahrer Daniel Abt und Pascal Zurlinden, Foto: ABB FIA Formula E
Formel E auf dem Münchner Oktoberfest: Mercedes-Teamchef Ian James, Audi-Fahrer Daniel Abt und Pascal Zurlinden, Foto: ABB FIA Formula E

Hat der frühe Podestplatz von Andre Lotterer in Saudi-Arabien für eine zu hohe Erwartungshaltung gesorgt?
Pascal Zurlinden: Wenn man das gesteckte Saisonziel zu einem solch frühen Zeitpunkt erreicht, wollen wir natürlich so schnell wie möglich wieder einen Podestplatz erzielen. Danach schauen wir, was noch möglich ist in der laufenden Saison.

Wie bewerten Sie die Entscheidung der Formel E, die Saison wegen der Coronavirus-Pandemie vorübergehend zu pausieren und was bedeutet das für das TAG Heuer Porsche Formel E Team?
Pascal Zurlinden: Die Entscheidung der FIA und der Formel E, die Formel-E-Saison aufgrund der Ausbreitung von COVID-19 vorübergehend zu unterbrechen, unterstützen wir in vollem Umfang. Motorsport ist unsere Leidenschaft. Daher bedauern wir das Aussetzen der geplanten Formel-E-Rennen natürlich sehr. Insbesondere in unserem Rookie-Jahr sind Erfahrungswerte enorm wichtig. Die Gesundheit unserer Mitarbeiter, der Formel-E-Community und der Menschen weltweit hat jedoch oberste Priorität.

In welchen Bereichen hat Porsche das größte Verbesserungspotenzial?
Pascal Zurlinden: Wir kennen die meisten Rennstrecken im Formel-E-Kalender noch nicht. Die Frage lautet also: Wie schnell können wir lernen, wenn wir auf einer uns unbekannten Strecke fahren? Und wie schnell können wir das umsetzen, was wir zuvor im Simulator gelernt haben? Heißt: Wir haben an jedem Rennwochenende einige Herausforderungen zu meistern.

Wie wichtig war der Rookie-Test im Anschluss an das Rennen in Marrakesch mit Blick auf die weitere Entwicklung?
Pascal Zurlinden: Wir haben in ein paar der bisherigen Rennen Strafen wegen technischer Schwierigkeiten bekommen, die wir in unserer Entwicklung vorher nicht berücksichtigt hatten. So etwas können wir nur lernen, wenn wir mehr fahren. Deshalb ist solch ein Test sehr wichtig für uns als neues Team.

Podestplatz beim Porsche-Debüt: Andre Lotterer in Saudi-Arabien, Foto: LAT Images
Podestplatz beim Porsche-Debüt: Andre Lotterer in Saudi-Arabien, Foto: LAT Images

Neben Porsche ist auch Mercedes-Benz neu als Werksteam in die Formel E eingestiegen, wenn auch mit einer Saison Vor-Erfahrung durch HWA. Geht Ihr Blick zwischendurch in Richtung der Silberpfeile?
Pascal Zurlinden: Da wir unsere erste Saison in der Formel E bestreiten, konzentrieren wir uns nur auf uns selbst und schauen, dass wir jedes Detail verbessern, um einen weiteren Podiumsplatz und eine Pole Position zu wiederholen. Wir schauen nicht wirklich auf die Konkurrenz. Das wäre verschwendete Zeit, die man besser nutzen kann, um den eigenen Wagen weiterzuentwickeln.

Das Qualifying-Format der Formel E, das die Bestplatzierten in der Meisterschaft eher benachteiligt, sorgt für anhaltende Spannung. Was halten Sie davon?
Pascal Zurlinden: Wenn man in der ersten Qualifying-Gruppe starten muss, ist es vielleicht schwieriger. Dadurch haben allerdings mehr Teams die Möglichkeit, sich zu zeigen. Das halte ich für gesund in einer Meisterschaft, die mit so vielen Herstellern besetzt ist. Wenn jemand dominieren würde, wie es vielleicht in anderen Serien wie der Formel 1 der Fall ist, dann wäre es schwierig, so viele Hersteller zu halten. Aber man kann sich mit den anderen Herstellern in der jeweiligen Gruppe vergleichen. In den vergangenen Rennen waren jedoch meist die Top-Teams in den Qualifyings vorne mit dabei, auch wenn sie in den ersten Qualifying-Gruppen gestartet sind.

Fans verbinden den Namen 'Porsche' mit großen Erfolgen im Motorsport. Lässt sich ein Lernjahr in der Formel E rechtfertigen?
Pascal Zurlinden: Zu Beginn unserer Kampagne in der Formel E, "Start from Zero", haben wir kommuniziert, dass wir unseren Einstieg als eine Lernsaison betrachten. Und so leben wir es auch. In der nächsten Saison wird es wahrscheinlich anders aussehen, aber dieses Jahr ist unsere Lernphase und so wird es auch akzeptiert, sowohl intern als auch extern.

Andre Lotterer bescherte Porsche in Mexiko die erste Pole in der Formel E, Foto: LAT Images
Andre Lotterer bescherte Porsche in Mexiko die erste Pole in der Formel E, Foto: LAT Images

Wie viele Mitarbeiter aus dem früheren Le-Mans- und WEC-Team sind in das Formel-E-Projekt involviert?
Pascal Zurlinden: Das kann man nicht wirklich sagen. Porsche Motorsport ist, abgesehen vom reinen Renneinsatzteam, wie eine Matrix-Struktur organisiert. Die Mitarbeiter arbeiten an mehreren Projekten, heißt: Morgens kümmern sie sich um die Formel E und nachmittags arbeiten sie vielleicht an einem Straßenauto. Deshalb ist es schwierig zu sagen, wie viele Personen genau in ein Projekt involviert sind.

Im Fahrerlager der Formel E gibt es Gerüchte, dass Porsche mit dem Budget eines kleinen Formel-1-Teams arbeite... Was sagen Sie dazu?
Pascal Zurlinden: Definitiv nicht, wird sind weit weg davon. Es gibt immer große Erwartungen wegen des Namens 'Porsche'. Jeder denkt, wir kommen nur, um zu gewinnen. Wir haben aber oftmals nicht das größte Budget.

An welcher Stelle rangiert die Formel E in Porsches Werkssport-Programmen?
Pascal Zurlinden: Wir behandeln alle Projekte gleich, es gibt da kein Ranking. Die Formel E ist neu, während die WEC oder die Intercontinental GT Challenge keine neuen Rennserien mehr sind. Deshalb liegt der Fokus in den Chefetagen auf dem neuen Projekt, das ist aber normal. Wenn dann wieder ein neues Projekt kommen sollte, wird der Fokus eben dorthin wandern.

Attacke! Porsche greift als Neueinsteiger in der Formel E an, Foto: LAT Images
Attacke! Porsche greift als Neueinsteiger in der Formel E an, Foto: LAT Images

Gibt es eine Roadmap, die Porsche für die kommenden Jahre in der Formel E verfolgt?
Pascal Zurlinden: Durch die Formel E wollen wir unsere Technologien präsentieren. Und in der Saison 9 werden die neuen Gen3-Fahrzeuge eingeführt. Man kann noch nicht so viel dazu sagen. Es passt aber in unsere Roadmap und zu dem, was wir mit der Formel E zeigen wollen. Es geht alles in die Richtung, die wir uns wünschen. Wenn man zurückblickt auf die ersten Saisons der Formel E, da wurde ein Rennen noch mit zwei Autos gefahren. Inzwischen absolvieren wir die gleiche Distanz mit nur einem Auto. Die Technologie entwickelt sich konstant weiter.

In Deutschland hält sich die Wahrnehmung und Akzeptanz der Formel E bislang in Grenzen. Wie bewerten Sie das?
Pascal Zurlinden: Ich glaube, das ist ein Entwicklungsprozess. Jetzt, wo vier deutsche Hersteller in der Formel E unterwegs sind, sieht man, dass die Zahlen steigen und in die richtige Richtung gehen. Es ist ein Lernprozess. Die Leute sind manchmal skeptisch, bis sie es einmal gesehen haben. Wir sehen es auch an den Kollegen bei Porsche.Man sieht, dass mehr und mehr Leute die Formel E verfolgen und positiv empfinden.

Rallye-Legende Walter Röhrl: Das große Interview (01:18:03)

Im April 2018 bezeichnete Porsche-Ikone Walter Röhrl die Formel E als abartig. Können Sie den hartgesottenen 911er-Fans das Formel-E-Projekt von Porsche schmackhaft machen?
Pascal Zurlinden: Wenn man den neuen Taycan gefahren ist, sieht man, dass das ein richtiger Sportwagen ist. Man sieht das auch bei Walter, er hat seine Meinung geändert im Bezug auf Elektromobilität und Tradition. Am Ende kann man beide Welten zusammenbringen, und das ist es, woran wir im Moment arbeiten. Wir bleiben im Motorsport in beiden Welten vertreten und ich glaube, dass die Fans von der einen in die andere überschwappen können.

Können Fans des klassischen Verbrenner-Motorsports auch die Formel E cool finden?
Pascal Zurlinden: Die Leute sollten sich nur einmal ein Rennen anschauen!