Für Maximilian Günther begann der heiße Renntag in Santiago de Chile mit einer Entschuldigung. Der langjährige britische Formel-E-Kommentator Jack Nicholls bat während der Übertragung des 1. Trainings um Verzeihung.

"Hier sehen wir Max Günther", leitete er ein, während dessen BMW durchs Bild huschte. "Und nicht Maxi Günther, wie du ihn seit drei Jahren nennst", warf Co-Kommentator Dario Franchitti ein. Nicholls: "Ich weiß gar nicht, warum ich damit angefangen habe. Tut mir leid!"

Trotz seiner 22 Jahre ist Günther schon längst kein 'Maxi' mehr. Wie 'Max' er ist, bewies Günther sowohl Nicholls als auch dem Rest der Motorsportwelt ziemlich genau acht Stunden später, als er sich in Santiago zum jüngsten Rennsieger in der Geschichte der Formel E kürte. Sein erster Sieg im erst dritten Rennen seit dem Wechsel ins BMW-Werksteam.

In einem spektakulären Finish bewahrte Günther kühlen Kopf und überholte Gegner Antonio Felix da Costa in der viertletzten Kurve der letzten Runde, um den zweiten BMW-Sieg in Folge perfekt zu machen.

Doppelt abgelöst

Bemerkenswert: Günther löste den quirligen Portugiesen nicht nur als jüngsten Rennsieger in der Statistik ab, er ist effektiv auch dessen direkter Nachfolger bei BMW. Die aktuelle Erfolgswelle der Münchner ließ sogar den heutigen Techeetah-Piloten beim Blick auf seinen ehemaligen Arbeitgeber schmunzeln...

"Unglaublich, wie reif und abgezockt Maximilian in seinem erst dritten Formel-E-Rennen für unser Team gefahren ist", erhielt Günther großes Lob von BMW Motorsport-Direktor Jens Marquardt, der seinen 'Schützling' schon auf dem Podium beglückwünscht und in den Arm genommen hatte.

Günther macht sein Ding

Tatsächlich stellte Günther seine Rennfahrer-Reife im 33 Grad heißen Santiago in bester Manier unter Beweis, nachdem Felix da Costa mit Siebenmeilenstiefeln herangeprescht war, die Brechstange auspackte und den BMW-Youngster samt Kontakt in der viertletzten Rennrunde wegrempelte. "Darüber war ich nicht happy, aber ich habe mein Ding gemacht, das hat sich ausgezahlt", meinte Günther später unbeeindruckt.

'Sein Ding gemacht', was bedeutete, dass Günther während der intensiven Schlussphase in Schlagdistanz zu Felix da Costa blieb, ohne dabei jedoch sein Energie- und vor allem Temperatur-Management im Eifer des Gefechts zu überstrapazieren. Das zahlte sich vier Kurven vor der Zieleinfahrt aus, als sein Kontrahent abrupt verlangsamen musste, weil eine Überhitzung der Batterie und damit ein Ausfall akut drohten.

BMW feiert den zweiten Sieg in Folge in der Formel E, Foto: BMW Motorsport
BMW feiert den zweiten Sieg in Folge in der Formel E, Foto: BMW Motorsport

Günther ist angekommen

Mit dem Sieg in Chile beim dritten Saisonrennen der Formel E hat Günther endgültig manifestiert, dass er in der Welt der Profi-Rennfahrer angekommen ist. Ebenso, dass er mit dem Druck umgehen kann, das Dress eines Automobilgiganten überzustreifen. Daran waren in der Vergangenheit nicht selten hochgelobte Nachwuchstalente zerbrochen.

Sorge, dass die psychische Belastung zu hoch sein könnte, hatte der BMW-Verantwortliche Marquardt schon bei der Verpflichtung des jungen Allgäuers nicht. "Letzte Saison hatte er kein Top-Paket, hat aber trotzdem abgeliefert", sagte Marquardt Ende vergangenen Jahres zu Motorsport-Magazin.com. "Er hat gezeigt, wie sehr er als Fahrer gereift ist. Den Speed hatte er immer."

Immer wieder Chile

Günthers Weg hin zum großen BMW verlief alles andere als geradlinig. Kurios: An der Stelle, wo er sich erstmals in die Siegerlisten der Formel E eintrug, hatte seine Karriere vor ziemlich genau einem Jahr einen erheblichen Knick erlitten. In seiner Debütsaison beim US-Rennstall Dragon wurde Günther nach dem Santiago-Rennen durch den früheren Formel-1-Fahrer Felipe Nasr ersetzt.

Für die Öffentlichkeit damals mit großer Überraschung, schließlich hatte er im völlig unterlegenen Dragon-Boliden in den ersten drei Saisonrennen ordentliche Leistungen abgeliefert und einen Vorgeschmack auf das gegeben, was später die BMW-Verantwortlichen von einer Verpflichtung überzeugen sollte.

Für Günther selbst kam die kurzzeitige Ausbootung als Einsatzfahrer hingegen erwartungsgemäß. Er hatte sich auf einen solchen Deal einlassen müssen, um überhaupt Rennen in der Elektro-Rennserie bestreiten zu können. Nach einigen Konfusionen, angetrieben durch den für seine eigenwilligen Personalentscheidungen bekannten Teambesitzer Jay Penske, kehrte Günther ab dem Rom-Rennen von der Ersatzbank zurück ins Rennauto.

Im Unklaren darüber, wie genau es weitergehen würde, fuhr Günther sprichwörtlich um sein Leben beziehungsweise seine Karriere. In Rom und beim anschließenden Lauf in Paris qualifizierte er sich jeweils als Fünfter und damit für eine Fortsetzung seines Jobs bei Dragon. Fünfte Plätze in den Rennen von Paris und Bern ließen schließlich auch die damalige Konkurrenz aufhorchen.

Formel E - Chile-Sieger Max Günther: Unglaubliches Gefühl (01:20 Min.)

Druck hast du immer

Spätestens diese Leistungen unter extremen Rahmenbedingungen haben gezeigt, dass Günther für den nächsten Schritt bereit ist. So ging er die neue Aufgabe mit dem Propeller auf der Brust auch an, als er kurz vor dem Saisonstart beim Besuch in der Redaktion von Motorsport-Magazin.com sagte: "Druck hast du immer, egal, wo du fährst. Der größte kommt von mir selbst, weil ich mein Bestes abliefern möchte. Einfach sein eigenes Ding zu machen, das wird nach wie vor meine Herangehensweise bleiben."

Der Fokus wurde schon beim Saisonauftakt im November in Saudi-Arabien auf die Probe gestellt. Während Teamkollege Alexander Sims mit Pole Positions an beiden Tagen sowie einem Sieg an die Spitze der Meisterschaft stürmte, erlebte Günther ein Wochenende voller Pech und Pannen.

Im ersten Rennen warf ihn eine Durchfahrtstrafe in Folge eines technischen Vergehens aus den Punkterängen. Am Folgetag verlor er den zweiten Platz auf dem Podium hinter Sims nachträglich. Zwei Stunden nach Rennende brummten die Stewards Günther und weiteren Fahrern Zeitstrafen auf. Platz elf statt Podest wegen unglücklicher Kommunikation mit dem Team - so hatte sich Günther sein Debüt als Werksfahrer nicht vorgestellt.

Das i-Tüpfelchen

Trotz der frühen Rückschläge ließ sich Günther nicht verunsichern und schlug in Chile eindrucksvoll mit Platz zwei im Qualifying sowie wenig später dem Sieg in seinem 13. Formel-E-Rennen zurück.

Der irre und doch abgeklärte Schluss-Spurt von Santiago als 'Tüpfelchen auf dem i' seiner Leistung. Und nicht auf dem Vornamen.