Ist Alejandro Agag der Bernie Ecclestone der Formel E? Wieso gehörte ihm ein Fußballklub zusammen mit Bernie und Flavio Briatore? Und warum hasst der Gründer und Boss der Formel E Mauern? Unser exklusives Interview gibt Einblicke in den Menschen, der den Motorsport revolutioniert hat.

MSM: Welche Autos fahren Sie eigentlich privat, Herr Agag?
Agag: Ich habe einen BMW i8, den fahre ich am meisten. Einen i3 habe ich auch in der Garage und jetzt auch einen Range Rover Hybrid, der ist ziemlich cool. Und - aber das ist ein kleines Geheimnis - ich besitze einen Ferrari 599. Wissen Sie, ich liebe Ferrari einfach, das ist meine Leidenschaft. Aber: Normalerweise fahre ich elektrische Autos. Im Ferrari sitze ich an vielleicht vier oder fünf Tagen im Jahr.

Sie verbringen vermutlich sowieso mehr Zeit im Flugzeug als im Auto. Erleben Sie gerade die anstrengendste Phase Ihres Lebens?
Ja, das ist auf jeden Fall die anstrengendste Phase. Und es wird immer anstrengender. Ich meine, ich liebe meinen Job und das, was ich mache. Das macht mich nicht müde. Aber: Ich bin ja das Gesicht der Formel E und wenn wir mit Sponsoren sprechen, dann wollen sie das mit mir tun. Am nächsten Tag reise ich dann zu einem anderen Event und am Tag darauf spreche ich mit einem Bürgermeister über ein mögliches Rennen. Die Formel E zu repräsentieren, frisst sehr viel Zeit. Ich will mich aber nicht beschweren. Es wäre viel schlimmer, wenn wir keine Sponsoren oder Hersteller hätten.

Kurz vor dem Rennen in Rom hatte die Formel E eine Audienz beim Papst. Wie ist so etwas möglich?
Durch ein Wunder! Nein, durch einen sehr guten Kontakt aus der Formel E kamen wir in den Vatikan. Ich glaube, dass der Papst niemals zugesagt hätte, wenn wir keine elektrische Rennserie wären. Dem Papst liegt viel an Nachhaltigkeit und er kümmert sich um die Umwelt. Als ich ihn traf, sagte er zu mir: 'Denken Sie darüber nach, was man gegen die Umweltverschmutzung tun kann'. Dann hat der Papst das Formel-E-Auto gesegnet, das war fantastisch. Wahrscheinlich der größte Moment in der Geschichte der Formel E.

Apropos Kontakte. Eine große spanische Zeitung hat einmal geschrieben, dass die SIM-Karte in Ihrem Handy unbezahlbar sei. Stimmen Sie zu?
Ich sage Ihnen etwas: Viele Handy-Nummern gespeichert zu haben, ist nicht notwendigerweise hilfreich. Es ist die Wahrnehmung dieser Menschen auf deine Person. Wenn du sie anrufst und sie dir zuhören und etwas unternehmen, dann ist es gut. Das Wichtigste ist aber die Reputation. Telefonnummern kannst du immer herausfinden, es geht aber darum, dass diese Leute dann auch an dich glauben und mit dir zusammenarbeiten wollen.

Wie wichtig sind Ihre Kontakte für das Wachstum der Formel E?
Sehr wichtig, denn es geht immer ums Netzwerken. Es geht um persönliche Beziehungen, um das gegenseitige Vertrauen. Ich habe viel Zeit damit verbracht, Beziehungen mit Menschen zu pflegen. Das ist für mich das Wichtigste, dass sie wissen, dass sie mir vertrauen können, wenn ich ihnen mein Wort gebe.

Wo wir bei Vertrauen sind: An den Rennwochenenden der Formel E fahren Sie Promis und VIPs persönlich über die Rennstrecke...
Haha, ja, aber ich weiß nicht, ob das noch das Richtige ist! Neulich habe ich da auch mit der FIA drüber gesprochen, weil sie meinten, dass ich dabei eigentlich einen Helm tragen sollte.

Guter Punkt, aber können Sie sich vorstellen, dass die Bosse anderer Serien auch solche Fahrten machen würden?
Wahrscheinlich nicht. Aber ich bin seit dem Beginn der Serie dabei und am Anfang hielt ich das für eine gute Idee. Verbieten konnte es mir sowieso niemand. Dann habe ich einfach damit weitergemacht bis heute. Es passt irgendwie zur Formel E, die Serie ist sehr zugänglich und flexibel. Wir können hier Dinge tun, die in keiner anderen Rennserie möglich sind. Und so muss es auch bleiben.

Sie haben zusammen mit Bernie Ecclestone und Flavio Briatore im Jahr 2007 den englischen Fußballklub Queens Park Rangers gekauft. Welche Geschichte steckt dahinter?
Flavio hatte zuerst diese Idee und überzeugte Bernie und auch mich davon. Mir gehörten nur rund 5 Prozent der Anteile, aber diese Zeit war eine sehr gute Erfahrung. Und vor allem hatten wir Erfolg und sind innerhalb von vier Jahren in die Premier League aufgestiegen. Es war aber auch ziemlich hart, weil wir keine Ahnung hatten, was wir da tun.

Was haben Sie von Ecclestone und Briatore lernen können?
Sehr viel. Bernie und Flavio sind unterschiedliche Businessmänner. Sie haben ihren eigenen Stil, aber beide sind sehr ehrgeizig, sehr fokussiert. Wie ein Hummer, immer am pushen, pushen, pushen. Auch von Jean Todt habe ich viel gelernt. Ich versuche immer, so viel wie irgendwie möglich von diesen Menschen zu lernen.

Wenn ich Sie als den Bernie Ecclestone der Formel E bezeichne, würden Sie mir zustimmen?
Wenn man einzig und allein auf meine Position schaut, dann ja. Bei allen anderen Dingen: nein. Bernie war wirklich etwas Besonderes. Wenn Sie mich in 40 Jahren noch einmal danach fragen, sehe ich das vielleicht anders. Ich glaube aber nicht, dass ich in 40 Jahren noch hier sein werde... Bernie hat diese einzigartige Geschichte, wie er die Formel 1 hochgezogen hat. Bei uns in der Formel E laufen viele Dinge anders. Deshalb sage ich jetzt, dass ich nicht der Bernie der Formel E bin.

Hat Ecclestone mal bei Ihnen angeklopft, um auch in die Formel E zu kommen?
Nein. Er sieht die Formel E sogar sehr positiv wegen all der Hersteller und so weiter. Aber er glaubt immer noch nicht wirklich an das Konzept. Ich glaube jedoch, dass er inzwischen verstanden hat, dass hier die Zukunft liegt. Deshalb sagte er ja auch, dass die Formel 1 elektrisch werden sollte.

In der Formel 1 sind immer wieder Hersteller kurzfristig ausgestiegen. Droht das auch in der Formel E?
Nur einer kann Erster, Zweiter oder Dritter werden - wir haben aber neun, zehn oder elf Hersteller. Und es wird enttäuschte Hersteller in der Formel E geben und vielleicht werden auch manche wieder gehen. Was wir brauchen, ist ein System, mit dem unabhängige Teams konkurrenzfähig sein können. Damit können wir garantieren, dass wir immer ein konkurrenzfähiges Feld haben. Selbst, wenn hier nur vier oder fünf statt zehn Herstellern mitfahren. Ich denke aber, dass eine ganze Weile vergehen wird, bis wirklich jemand aussteigt. In den kommenden fünf, sechs Jahren werden alle Hersteller bleiben.

Wie würden Sie lieber gesehen werden: als cleverer Geschäftsmann oder als Pionier im Motorsport?
Definitiv als Pionier im Motorsport. Ich weiß nicht, ob ich ein cleverer Geschäftsmann bin, aber ein Pionier bin ich. Beim ersten setzen wir ein Fragezeichen dahinter, beim zweiten ein Ausrufezeichen.

Ein Geschäftsmann sind sie in jedem Fall, Sie haben eigenes Geld in den Aufbau der Formel E investiert. Wie sehen ihre Langzeitpläne aus?
Natürlich ist das hier ein Business und ich will damit Geld verdienen. Mir geht es aber mehr darum, dass alles wächst. Ich wünsche mir, dass die Formel E mich überlebt. Nicht, weil ich sterbe, sondern für den Fall, falls ich irgendwann mal aussteige oder etwas anderes machen möchte.

Was muss sich bei der Formel E in Zukunft verbessern?
Viele Dinge. Die Rennstrecken zum Beispiel, die hätte ich gern komplett anders. Ich hasse diese Mauern und Zäune und all solche Sachen. Mittels Technologie sollten wir neue Wege finden, um die Sicherheit der Rennstrecken durch weitaus weniger störende Systeme in den Städten zu gewährleisten. Das ist eine sehr große Herausforderung. Darüber hinaus müssen wir die Technologie der Rennautos verbessern, aber wir sind ja mitten in diesem Prozess. Insgesamt müssen wir unsere Zahlen verbessern, obwohl wir sehr schnell wachsen und auf einem guten Weg sind.

Sie haben drei Wünsche für die Formel E frei. Welche wären das?
Autos mit Batterien, die unendlich lange halten. Dass uns die ganze Welt zuschaut und drittens, dass die ganze Welt elektrisch wird.

Auch, die Formel 1 irgendwann mal zu überholen?
Nein! Das ist mir vollkommen egal, das gehört gar nicht zu meinen Zielen. Ich liebe die Formel 1 und bin überzeugt, dass Platz für beide Serien ist. Ich glaube sogar: Je besser es für die Formel 1 läuft, desto besser ist das für die Formel E. Die Konkurrenz für Formel 1 und Formel E sind Fußball, Tennis oder Golf, aber nicht der Motorsport selbst.

Im September 2014 startete das allererste Rennen der Formel E in Peking. Wo haben Sie die Formel E damals zum heutigen Zeitpunkt erwartet?
Das konnte damals wirklich niemand wissen. Jedes Rennen hätte gleichzeitig das letzte sein können. Im ersten Jahr ging es vor allem darum, zu überleben. Das war eine harte Zeit. Wir hätten zu dieser Zeit niemals erwartet, dort zu stehen, wo wir heute sind. Wir haben unsere Erwartungen bei weitem übertroffen.

Hatten Sie damals Angst, dass die Formel E nicht überleben würde?
Absolut. Nach den ersten paar Rennen der ersten Saison ging uns das Geld aus. Das war ein taffer Moment. Wir mussten Kapital beschaffen und das dauerte eine Weile. Es war eine sehr intensive Zeit. Dann kamen aber die Investoren und es ging aufwärts. Ich hatte nie den Zweifel, dass die Formel E nicht funktionieren würde. Wir brauchten am Anfang nur einfach mehr Geld.

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