Andre, was hat dich an deinem neuen Auto bei den Testfahrten in Valencia am meisten überrascht?
Andre Lotterer: Dass eine Kurve quasi drei Kurven sein können, weil Valencia so breit ist und unsere Reifen die Belastungen auf solchen Strecken nicht so gut aushalten, da sie für Stadtkurse ausgelegt sind. Auch das Bremsen ist komplizierter. Meine letzten Autos hatten sehr hohen Abtrieb, da kommt man mit hoher Geschwindigkeit an und haut voll in die Bremse rein mit allem was man hat. In der Formel E geht das nicht und man muss völlig anders bremsen. Das und die Reifen sind der größte Unterschied. Die Leistung ist eigentlich irrelevant, denn man kann sich rasch von hoher auf niedrige Leistung umgewöhnen.

Formel E 2017/18 Wissenswertes: Fahrer und Rennkalender (00:47 Min.)

Eure Autos haben nur rund 250 PS. Viele Fans denken daher, die Formel E wäre kein richtiger Motorsport. Was antwortest du solchen Leuten?
Andre Lotterer: Dass man hier fast genau so viel Adrenalin ausstößt. Auf diesen Strecken sind die Wände sehr nahe an uns dran, selbst wenn die Geschwindigkeiten niedriger sind als in Le Mans: Mit 200 km/h durch die Stadt mit so wenig Abstand nach links und rechts - das ist schon eine Nummer für sich.

Wenn man sich mit den Fahrern hier unterhält: Die wollen nicht unbedingt mehr Leistung, weil die Autos auch so schon schwer genug zu fahren sind. Viele Leute haben noch nicht ganz verstanden, was die Formel E bedeutet. Ich komme vom traditionellen Motorsport und war am Anfang auch ähnlicher Meinung. Aber die Formel E hat mittlerweile ihren Platz gefunden und ohne sie würde in solchen Städten überhaupt kein Motorsport stattfinden. Die Formel E ist etwas Neues und Cooles.

Du warst bisher sehr präzise Autos gewöhnt. Verhalten sich die Formel-E-Boliden zufälliger?
Andre Lotterer: Ja, es läuft hier viel zufälliger ab. In diesem Punkt muss ich noch einiges lernen. Ich konnte meiner Aero und den Reifen immer auf ein Zehntel genau vertrauen bislang. Jetzt ist das anders, hat aber auch Vorteile. Hier arbeiten kleine Teams, die nicht die Ressourcen von großen Werksteams haben. Faktoren wir Bremse und Reifen sind so dominant, dass man sich mit hohen Budgets gar keine Vorteile verschaffen könnte. In der Formel E kann also der Fahrer noch den Unterschied machen und man muss nicht unbedingt im besten Auto sitzen, um zu gewinnen.