Bei seiner Abschiedstournee kam Andre Lotterer nicht einmal zwei Runden weit. In beiden Rennen beim Formel-E-Saisonfinale in Seoul fiel der Porsche-Pilot nach Kollisionen höchst frühzeitig aus. Unterm Strich ein kurzer Auftritt für den 40-Jährigen, der in der südkoreanischen Hauptstadt seine letzten Rennen für das Porsche-Werksteam in der Elektro-Rennserie bestritten hat.

Ob Lotterer trotz des längst bestätigten Abschieds vom Porsche-Werksteam der Formel E erhalten bleibt, bleibt noch ein Geheimnis. Gerüchtehalber könnte er mit dem neuen Porsche-Kundenteam Andretti in die Elektro-Rennserie zurückkehren. Der Fokus soll laut Porsche-Motorsportchef Thomas Laudenbach aber voll auf dem LMDh-Projekt liegen, mit dem Lotterer auf seine ebenso geliebte Langstrecke zurückkehren wird.

"Das war keine einfache Entscheidung, denn beide Programme wären gut für mich gewesen", sagte Lotterer in Seoul im Interview mit Motorsport-Magazin.com und Auto Motor und Sport. "Es ist auch nicht so, dass ich mich dabei gegen etwas entschieden hätte. Ich wollte wieder nach Le Mans zurück und die Herausforderung mit den neuen LMDh-Prototypen mitmachen. Das bedeutet nicht, dass ich die Formel E nicht mehr toll finde oder dass ich keine Lust mehr habe."

Lotterer gilt als Rennfahrer mit enorm hoher Markentreue - das weiß man in Zuffenhausen und Weissach seit Jahren zu schätzen. 2017 wechselte er von Audi zur VW-Konzernschwester, um mit dem Porsche 919 Hybrid LMP1 an vergangene Erfolge in Le Mans anzuknüpfen. Nur: Das Programm wurde zum Jahresende eingestellt. Stattdessen gab Porsche Ende Juli 2017 bekannt, zur Saison 2019 mit einem Werksteam in die Formel E einzusteigen.

Foto: Porsche AG
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Lotterer blieb eng mit Porsche verbandelt und machte sich über den Umweg bei Techeetah mit dem zweifachen Meister Jean-Eric Vergne - heute ein sehr guter Freund des gebürtigen Duisburgers - in der Formel E vertraut. Lotterer: "Ich habe damals meine Hausaufgaben gemacht und bin sofort in die Formel E umgestiegen, um die nötige Erfahrung zu sammeln. Ich wusste, dass sie bei Porsche auf dem Plan stand. Es war mein Wunsch, so unsere Geschichte gemeinsam weiterzuführen."

Trotz anfänglicher Rookie-Schwierigkeiten - "Mein Debüt in Hongkong war hart, ich habe etliche Strafen gefangen. Zum Beispiel habe ich vergessen, das Auto auszuschalten. Nach dem ganzen Chaos im Rennen und wegen des fehlenden Sounds bin ich einfach so ausgestiegen" - in der Rennserie, die sich in einigen Aspekten deutlich vom klassischen Rennsport unterscheidet, fand Lotterer schnell Gefallen an der Formel E und fuchste sich immer weiter in die Materie rein. Ein britischer Journalist stellte gar fest, dass Lotterer im Gegensatz zu einigen anderen Fahrern in der Formel E tatsächlich Spaß mit dem eher unüblichen Sportgerät habe.

Foto: Porsche AG
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In bislang 66 Rennen für Techeetah und Porsche fuhr Lotterer siebenmal aufs Podium - kurioserweise stets auf den zweiten Platz! An einem Sieg war er mehrfach haarscharf dran, wie in Mexiko, als er beim bisher einzigen Porsche-Sieg die Ziellinie hinter Wehrlein als Zweiter überquerte. Szene-Kenner waren damals überzeugt, dass Lotterer dank seines Energie-Vorteils hätte gewinnen können, doch auf dem Weg zum Doppelsieg wollte Porsche kein Risiko eingehen. Lotterer spielte bei der Teamorder brav mit.

Weniger brav ging Lotterer bei einigen anderen Rennen zu Werke. Kein Geheimnis im Fahrerlager: Neben dem amtierenden Weltmeister Nyck de Vries zählt Lotterer zu den Fahrern mit einem äußerst aggressiven Fahrstil, die man nur ungern im Rückspiegel erblickt. Fast schon legendär und bis heute von den Motorsport-Fans gefeiert: 2018 in Santiago de Chile auf dem Weg zum ersten Doppelsieg in der Geschichte der Formel E, steckte Lotterer gegen Vordermann Vergne kaum zurück und fuhr knallhart auf Sieg - Berührungen inklusive! Damals ging es glimpflich aus, das war jedoch nicht immer der Fall...

Foto: Porsche AG
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"Ich versuche, immer fair zu sein", sagt Lotterer heute. "Natürlich mögen es meine Konkurrenten nicht, wenn ich nahe auffahre und sie manchmal berühre. Das geschieht aber nie mit der Absicht, sie abzuschießen. Ich muss mir dann anhören: Wenn Andre hinter mir ist, kriege ich zu 100 Prozent einen Schubser. Ich denke, es ist besser geworden (schmunzelt)."

Und weiter: "Bei einigen Szenen in der letzten Saison war ich zur falschen Zeit am falschen Ort. Und am Ende sind wir alle ziemlich krass unterwegs. Aber was soll man bei so engen Stadtkursen mit nur einer echten Linie auch anderes erwarten? Das gehört zur Show!"

Dabei gefällt sich Lotterer durchaus in der Rolle des 'Racers der alten Schule', der auf eine unheimlich große Erfahrung in Le Mans, den japanischen Rennserien Super Formula und Super GT und sogar in der Formel 1 zurückblickt. 2014 sprang Lotterer beim Großen Preis von Belgien einmalig im heillos unterlegenen Caterham ein (Lotterer: "Das war mehr eine Spritztour"), nachdem er bereits im Jahr 2001 Formel-1-Testfahrten für das damalige Jaguar-Team bestritten hatte.

Foto: Porsche AG
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"Ich mag die Challenge und das Rezept der Formel E", sagte Lotterer. "Hier kann man als Fahrer viel ausmachen, weil das Auto loser liegt und im Vergleich zu anderen Rundstrecken-Serien mehr gefahren werden will. Es ist wahrscheinlich das Stressigste, was ich je in meiner Karriere gemacht habe. Ich sage immer, dass sich die Zeit davor im Nachhinein fast wie Urlaub anfühlt. Nur mit Talent geht es in der Formel E nicht, man muss seine Hausaufgaben erledigen und etliche Szenarien im Kopf haben. Hier fährt man ein Rennauto und spielt parallel dazu noch im Kopf Schach."

In einem für Profi-Rennfahrer durchaus gehobenen Alter greift Lotterer mit dem LMDh-Projekt - Porsche-Prototypen starten ab 2023 in der WEC und IMSA-Serie - nach einer neuen Herausforderung.

Bei der Alters-Diskussion winkte der Renn-Veteran entschieden ab: "Es hat nichts mit dem Alter, sondern mit der Performance zu tun. Solange die da ist, werde ich weiterhin fahren. Im Moment spüre ich keinen Mangel an Motivation oder die Lust, etwas Anderes zu machen. Ich will meine Karriere dank Porsche auf diesem hohen Level fortführen, aber werde sie nicht zwanghaft in die Länge ziehen, wenn die Performance nicht mehr passt."