Die Formel-1-Saison 2023 macht bislang auf den ersten Blick einen langweiligen Eindruck: Red Bull dominiert und es scheint kein Team die Pace mitgehen zu können. Doch wenn man sich die Zeitabstände dahinter anschaut, tritt ein ganz anderes Bild zutage. Das Feld ist so eng zusammen wie selten zuvor. Erleben wir gemessen an den Zeitabständen sogar die spannendste Formel-1-Saison, die es je gab?

Ein Blick in die Daten zeigt: Vielleicht! Denn es kommt jeweils auf die Messgrößen an. Wenn man nur betrachtet, wie groß der Abstand zwischen dem schnellsten und dem langsamsten Team in einer Saison ist, dann geht es in der Saison 2023 ultra-knapp zu. Als beste Bemessungsgrundlage dafür dient die Qualifying-Pace, da dort sämtliche Teams unter vergleichbaren Bedingungen versuchen, die schnellste Rundenzeit zu erreichen, während ein Rennergebnis von vielen Variablen beeinflusst wird.

Formel 1 2023: So eng ist das Feld

AlphaTauri war im Durchschnitt auf eine Runde bislang das langsamste Team, mit einem Zeitverlust von 1,96 Prozent gemessen an der schnellsten Qualifying-Runde, die jeweils Red Bull aufstellte. Ein solch enges Feld gab es tatsächlich in der Qualifikation seit über zehn Jahren nicht mehr. In Rundenzeit umgerechnet sind das im Mittelwert 1,661 Sekunden. Zum Vergleich: 2022 lagen im Durchschnitt über die gesamte Saison drei Teams über diesem Wert.

2023Rückstand (%)⌀ Zeit2022Rückstand (%)⌀ Zeit
Red Bull1:24,902Ferrari1:23,598
Ferrari0,401:25,242Red Bull0,051:23,644
Aston Martin0,521:25,342Mercedes0,811:24,274
Mercedes0,561:25,378McLaren1,301:24,684
Haas1,151:25,880Alpine1,391:24,763
Alpine1,211:25,925Alfa Romeo1,621:24,956
McLaren1,591:26,255AlphaTauri1,791:25,092
Williams1,691:26,333Haas2,031:25,293
Alfa Romeo1,881:26,499Aston Martin2,191:25,429
AlphaTauri1,961:26,563Williams2,581:25,758

Aber das ist noch die kleinste Überraschung. Denn aufgrund des Regelumbruchs war sowieso zu erwarten, dass sich das Feld im Vergleich zum Vorjahr etwas zusammenschiebt. Doch auch im letzten Jahr des alten Reglements (2021) lag das Feld deutlich weiter auseinander. Das langsamste Team, Haas, hatte im Qualifying im Vergleich zu Mercedes (schnellstes Team im Qualifying) 3,19 Prozent Rückstand zu verzeichnen, also durchschnittlich etwa 2,5 Sekunden.

2021Rückstand (%)⌀ Zeit2020Rückstand (%)⌀ Zeit
Mercedes1:19,296Mercedes1:19,951
Red Bull0,091:19,366Red Bull0,731:20,533
Ferrari0,741:19,882Racing Point1,241:20,945
McLaren0,741:19,886McLaren1,371:21,045
AlphaTauri0,831:19,951Ferrari1,451:21,114
Alpine1,331:20,347Renault1,471:21,124
Aston Martin1,541:20,516AlphaTauri1,661:21,278
Alfa Romeo1,851:20,764Williams2,761:22,162
Williams1,981:20,868Alfa Romeo2,801:22,19
Haas3,191:21,828Haas2,861:22,236

Eine Zahl, die natürlich stark davon beeinflusst wurde, dass Haas sein Auto in dieser Saison gar nicht weiterentwickelte. Doch auch Williams verlor im Qualifying durchschnittlich 1,98 Prozent (ca. 1,5 Sekunden), also etwas mehr als die Schlusslichter in dieser Saison.

Alle Teams konkurrenzfähig

Das Haas-Beispiel zeigt, dass die reine Messung der Topmannschaft auf eine Runde mit dem jeweils langsamsten Team nur bedingt aussagekräftig für das gesamte Feld ist. In erster Linie zeigt es auch, dass in der Formel-1-Saison 2023 jedes Team konkurrenzfähig ist und es keine negativen Ausreißer am Ende des Feldes gibt.

Allein das ist eine Seltenheit in der Formel-1-Geschichte: 2021 war Haas abgeschlagener Letzter, in den Jahren zuvor waren es zeitweise Williams oder Alfa Romeo. Wenn man im letzten Jahrzehnt noch länger zurückblickt, hielten diese Stellung die gescheiterten Teams von Marussia, Caterham oder HRT, die praktisch ohne reelle Chancen am Ende des Feldes unterwegs waren.

Formel 1 2012: Die spannendste Saison der Geschichte?

Wenn man derartige Ausreißer aus der Statistik herausnimmt, dann ist das Feld in der Formel-1-Saison 2023 immer noch außergewöhnlich eng, aber in einer Saison ging es nochmal um einiges knapper her. Die Rede ist von 2012. Damals waren eben jene drei Teams praktisch außer Konkurrenz unterwegs. Die restlichen neun Mannschaften lagen allerdings innerhalb von gerade einmal 1,64 Prozent.

Bei einer durchschnittlichen Rundenzeit der Qualifying-Schnellsten, damals McLaren, von 1:31,039 ergibt das im Mittelwert einen Rückstand von 1,492 Sekunden. Noch beeindruckender wird diese Saison, wenn man sich die Differenz der anderen Mittelfeld-Teams zur Spitze ansieht. Denn Toro Rosso war damals allein auf weiter Flur zwischen den Hinterbänklern und dem Rest des Feldes unterwegs. Alle weiteren acht Teams lagen innerhalb einer Sekunde, getrennt durch weniger als 1,04 Prozent. Besonders eng ging es mit Mittelfeld zu. P3 und P8 trennte nur ein halber Prozentpunkt oder anders ausgedrückt: Etwas mehr als vier Zehntel.

2012Rückstand (%)⌀ Rundenzeit
McLaren1:31,039
Red Bull0,191:31,214
Lotus0,541:31,532
Ferrari0,651:31,631
Mercedes0,671:31,649
Williams0,861:31,823
Sauber1,041:31,982
Force India1,041:31,982
Toro Rosso1,641:32,531
Caterham3,451:34,184
Marussia4,781:35,391
HRT5,711:36,240

In diesem Jahr können bislang nur vier Teams diese Marke unterbieten. Ist 2012 also unumstritten die knappste Formel-1-Saison? Nicht unbedingt. Stichwort: Qualifying-Format. Seit 2010 ist es in der Formel 1 praktisch unverändert. In den Jahren davor war Nachtanken im Grand Prix noch erlaubt und Q3 wurde mit dem Start-Benzin für das Rennen absolviert. Die schnellsten Runden an einem Wochenende gab es also allesamt in Q2 oder sogar Q1.

Formel 1 2009: Knappste Saison dank Nachtanken?

Das verwässerte das Kräfteverhältnis ein wenig, da die Herangehensweise der Topteams in Q2 natürlich nicht dieselbe ist, wie wenn es tatsächlich um die Pole Position geht. Wenn man also dieselbe Bemessungsgrundlage verwendet, wie bei den bisherigen Vergleichen (jeweils die schnellste Qualifying-Runde pro Team), ging es etwa in den Formel-1-Saisonen 2008 und 2009 über viele Positionen gerechnet plötzlich wesentlich enger zu, als noch 2012.

2009Rückstand (%)⌀ Zeit2008Rückstand (%)⌀ Zeit
Red Bull1:30,091Ferrari1:25,384
Brawn GP0,121:30,200McLaren0,051:25,429
Williams0,421:30,467BMW0,311:25,647
McLaren0,421:30,474Toyota0,521:25,832
Ferrari0,431:30,477Renault0,581:25,881
Toyota0,431:30,479Red Bull0,671:25,958
Renault0,611:30,639Toro Rosso0,901:26,155
BMW0,701:30,718Williams1,061:26,287
Toro Rosso1,211:31,185Honda1,271:26,468
Force India1,381:31,339Force India2,411:27,445
Super Aguri3,161:28,08

Fazit: Es ist Auslegungssache, welche Formel-1-Saison tatsächlich die knappste ist. Einerseits ist die Qualifying- und Rennpace häufig nicht deckungsgleich, andererseits können Ausreißer nach vorne oder nach hinten die Daten stark beeinflussen. Und nicht zuletzt spielt auch das Qualifying-Reglement, das sich im Laufe der Zeit regelmäßig änderte, eine wesentliche Rolle. Eine Sache lässt sich allerdings mit Sicherheit sagen: Die Abstände 2023 in der Formel 1 sind zumindest nach dem Saisonstart so knapp wie selten zuvor - auch wenn die Red-Bull-Dominanz das bislang etwas in den Schatten rückt.