Mario Theissen über die Saison 2005:

Mario Theissen: Unsere sechste Saison seit dem Wiedereinstieg von BMW zum Jahr 2000 war gleichzeitig unsere schwierigste. Mit Platz fünf in der Konstrukteurs-Weltmeisterschaft sind BMW und Williams selbstverständlich unzufrieden. Es haperte in zu vielen Bereichen, um sie unter der Belastung der Formel-1-Saison mit den meisten Rennen der Geschichte in den Griff zu bekommen.

Das Chassis war beim Saisonstart nicht top. Die umfangreiche Überarbeitung zur Saisonhalbzeit brachte nicht den erhofften Fortschritt, sondern zunächst einen Rückschritt. In Grove wurde unermüdlich gearbeitet. Der Fleiß verdient Respekt. Aber bei zu vielen Rennen waren wir von vornherein nicht schnell genug für Punkte. Hinzu kamen zwei Motorschäden im Rennen, die beide Nick Heidfeld trafen. Der erste, im Hitzerennen von Bahrain, war auf einen fehlerhaften Kolben zurückzuführen. Der zweite in Kanada auf eine absehbare Überhitzung des Motors. Die Ingenieure waren von geringeren Außentemperaturen ausgegangen, wir sind nicht mit maximalen Kühlluftöffnungen gefahren. Nick fuhr praktisch das ganze Rennen über dicht hinter einem Konkurrenten her. Das war unter diesen Umständen thermisch nicht verkraftbar. Neun Mal waren Unfälle dafür Verantwortlich, dass ein Fahrer leer ausging. In Indianapolis konnten wir aufgrund der bekannten Reifenproblematik nicht antreten. In der Türkei sind wir an einem hausgemachten Problem gescheitert, das zu Schäden an den Reifenflanken führte.

Mario Theissen über den Einfluss der Trennung von Williams:

Mario Theissen: Alle Beteiligten haben ihr Bestes gegeben. Auch, um ihrer jeweils eigenen Zukunft willen. Eine weiterhin gemeinsame Zukunftsorientierung hätte uns nicht schneller gemacht.

Mario Theissen über die Vorbereitungen für 2006:

Mario Theissen: Zunächst einmal haben wir uns auf die laufende Saison mit unserem Partner Williams konzentriert, und zwar mit ungebrochener Intensität bis zum letzten Rennen. Parallel lief unser neues Projekt an. Wir sind die Zusammenführung der Standorte München und Hinwil für das neue Team systematisch angegangen und liegen im Plan. Seit dem Vorstandsbeschluss vom 22. Juni gehen Mitarbeiter der verschiedenen Abteilungen an beiden Standorten praktisch täglich ein und aus. Wir haben im ersten Schritt die beiderseitigen Ressourcen in den verschiedenen Aufgabenfeldern gesichtet. Dann haben wir die entsprechenden Ziele definiert und die Arbeitsprozesse festgelegt. Seit September werden Einstellungsgespräche geführt. Oberste Priorität bei der personellen Aufstockung in Hinwil hat die Aerodynamikabteilung. Wir wollen den hervorragenden Windkanal schnellstmöglich im Mehrschichtbetrieb nutzen.

Mario Theissen über die Personalsuche:

Mario Theissen: Gegenwärtig arbeiten in München und in Hinwil je rund 300 Beschäftigte an dem Formel-1-Projekt. Wir planen in Hinwil eine Erhöhung um gut 100 Mitarbeiter. Das Ziel ist eine Personalstärke von insgesamt 700. Wir gehen bei der Personalsuche sehr gründlich vor. Im Motorsport gibt es viele Bewerbungen aus Faszination, die gründlich auf Qualifikation, Leistungsbereitschaft und Teamfähigkeit zu prüfen sind. Wir setzen auf eine Mischung aus BMW Mitarbeitern, die zum Motorsport wechseln wollen, Hochschulabsolventen und gestandenen Spezialisten unterschiedlicher Herkunft.

Mario Theissen über Chassis und Antrieb für 2006:

Mario Theissen: Schon vor dem Saisonende 2005 war die Grundauslegung des 2006er Chassis definiert, die Aerodynamikabteilung in Hinwil arbeitet seither an der Optimierung der einzelnen Komponenten. Zeitgleich wurde in München der neue V8-Motor P86 für die Wintertests weiterentwickelt.

Mario Theissen über den Umstieg von V10 auf V8:

Mario Theissen: Auch wenn der V8 optisch wie ein abgeschnittener V10 mit gleichem Zylinderwinkel aussieht, ist er technisch ein eigenständiges Konzept. Zündfolge und Zündabstände unterscheiden sich, was zu einem erheblich anderen Schwingungsverhalten führt. Beim V10 liegt der kritische Bereich zwischen 12 000 U/min und 14 000 U/min. In dem Bereich fährt man nicht viel. Die längste Verweildauer liegt in den Spitzendrehzahlen, und da wird es beim V8 problematisch. Die Schwingungen steigen ab 16 000 U/min in kritische Bereiche und nehmen darüber noch weiter zu. Den besten V8 baut der, der die Schwingungsproblematik am besten in den Griff bekommt Berechnung und Analyse jedes einzelnen Bauteils und Simulation des Gesamtsystems sind hier die wichtigsten Werkzeuge. Bei der Leistung kann man – proportional zum Hubraum – von einem Rückgang um 20 Prozent ausgehen. Auch die Kühler können entsprechend um 20 Prozent kleiner ausfallen. Die Drehzahlen dürften etwa auf dem gleichen Niveau wie beim V10 liegen. Schwieriger darstellbar wird eine gute Fahrbarkeit, weil ab 2006 eine fixe Kanallänge für die Ansaugrohre vorgeschrieben ist. Mit den variablen Ansaugrohren konnten wir den Drehmomentverlauf optimieren. Man muss einen Kompromiss finden zwischen maximaler Power und guter Fahrbarkeit. Da spielen auch Faktoren wie die Streckenführung und sogar das Wetter eine Rolle. Theoretisch braucht man verschiedene Rohrlängen für verschiedene Bedingungen. Praktisch bleibt festzuhalten, dass der Umstieg auf V8-Motoren das Ziel der Kostenreduzierung verfehlt.

Mario Theissen über die BMW-Vorteile eines eigenen Teams:

Mario Theissen: Wir beurteilen sowohl die Innen- als auch die Außenwirkung positiv. Dadurch, dass wir von Anfang an einen ungewöhnlich hohen Eigenfertigungsanteil bis hin zur Motorelektronik am Standort München umgesetzt haben, haben wir den Technologietransfer zwischen Serie und Formel 1 bzw. umgekehrt maximiert. Auch intern hat ein so emotionales Projekt wie die Formel 1 einen hohen Motivationseffekt. Nach außen profitiert BMW laut einer neutralen Marktstudie von 2005 mehr als jeder andere Hersteller vom Formel-1-Engagement. Man kann sich den Motorsport ohne BMW genauso wenig vorstellen wie BMW ohne Motorsport. Das Thema ist praktisch maßgeschneidert für unser Unternehmen – das betrifft nicht nur die Formel 1, sondern auch Tourenwagensport und die Nachwuchsserie Formel BMW.