Jahre, Jahrzehnte oder ein ganzes Leben lang hat man ein Ziel vor Augen - wenn man dieses dann tatsächlich erreicht, werden unterschiedlichste Emotionen geweckt. Hinzu kommt quasi eine Art von plötzlichem Druckverlust. Eine Art von Schwerelosigkeit. Ein nicht vertrautes Gefühl, weil das Vollbringen eines Lebensziels kein Akt des Alltäglichen ist. Im zarten Alter von 24 Jahren hat Fernando Alonso etwas vollbracht, was in diesem Jahrtausend bislang nur einem einzigen Erdenbewohner vergönnt war. Nur wenige Menschen wissen, wie sich der erste Titel als Formel 1-Weltmeister anfühlt - der Rest kann das nur erahnen...

Wie ist das Leben als frischgebackener Formel 1-Weltmeister? Was ist das für ein Gefühl, wenn man es geschafft hat? Und andererseits - wie ist das, wenn man es - wieder einmal - nicht geschafft hat? Wenn man knapp davor stand, das Lebensziel zu verwirklichen? Diese Fragen standen im Raum - bei der FIA-Pressekonferenz auf der japanischen Insel Honshu, im Medienzentrum des Suzuka Racing Circuit.

Stille Retrospektive

So wenig alltäglich der Gewinn einer Formel 1-WM ist, so schwer scheint es, die dadurch ausgelösten Gefühle zu beschreiben. Für Fernando Alonso ist es einfach nur "strange". Und er sagt: "Es ist ein Traum, der wahr geworden ist und ich habe die Woche nach dem Titelgewinn sehr genossen. Ich habe nichts Spezielles getan, ich habe einfach nur an die großartigen Momente gedacht, die ich in dieser Saison und in meiner gesamten Karriere erlebt habe." Alonso hat diese Woche der inneren Retrospektive nicht in seiner Heimat Spanien, sondern auf seinem Wohnsitz in Oxford verbracht, inklusive dem Besuch von Familie und Freunden - "quite easy", wie Alonso sagt. Eine Woche also in jener Ruhe und Beschaulichkeit, die er zuhause, wo er sogar zum "Messias" erklärt wurde, nie wieder finden wird...

Fernando Alonso verbrachte eine ruhige Woche in Oxford., Foto: Sutton
Fernando Alonso verbrachte eine ruhige Woche in Oxford., Foto: Sutton

Und auch Flavio Briatore reagierte auf den Gewinn der Formel 1-WM mit einem Verlangen nach Ruhe. Obwohl der Renault-Teamboss dieses Gefühl des Vollbringens schon vor einem Jahrzehnt bei Benetton, mit Michael Schumacher, auskostete, übermannte ihn ein seltsames Gefühl. "Flavio, es sind mystische Dinge passiert in Interlagos. Erstens hast du Fernando nicht begrüßt nach dem Rennen, zweitens bist du auf keinem der großen Teamfotos zu sehen und drittens warst du nicht auf der Siegesfeier. Warum das? Hattest du persönliche Probleme?", wird der Weltmeistermacher gefragt. Briatore sagt trocken: "Ich war einfach nicht fotogen an diesem Tag." Um hinzuzufügen: "Nein, es ist sehr einfach. Wenn du die ganze Zeit kämpfst und man die ganze Zeit beieinander ist - ich war einfach wirklich total müde und saß in meinem Büro. Fernando ist ein bisschen jünger als ich - und er und die Mechaniker hatten eine Menge Spaß und Freude. Und ehrlich - ich weiß nicht wirklich, was mit mir geschehen ist. Ich habe ja auch die Boxengasse verlassen - das habe ich in 15 Jahren Formel 1 noch nie getan. Ich weiß nicht, was passiert ist, woher diese Emotionen kamen. Aber wie Fernando vorhin sagte, dass er sich zurückerinnerte an die Saison 2005 - ich habe an all meine 15 Formel 1-Jahre zurückgedacht. Ich denke, ich habe einfach eine Privatsphäre gebraucht."

Partyverzicht

"Ich hatte schon so viele Partys in meinem Leben", sagt Briatore - "da kommt es auf die eine mehr oder weniger auch nicht an". Und: "Ich sagte: Okay, ihr habt heute eine Party. Aber es geht nicht nur um das Rennteam. Es geht auch um die Leute in der Fabrik - in Frankreich und in England." Ein Flavio Briatore also, der auf die Weltmeister-Party verzichtet, um den Teammitgliedern in den Fabriken "ein privates Dankeschön" zukommen zu lassen. Briatore erzählt: "Ich flog nach Paris und die Leute haben in der Fabrik auf mich gewartet. Und alle waren sehr gerührt, manche weinten - für mich hatte das höchste Priorität, die Leute in England und in Frankreich. Denn wir haben die WM aus dem Grund gewonnen, weil unser Auto so fantastisch zuverlässig war - und ich wollte mich bei diesen Menschen einfach bedanken, so simpel ist das."

Kimi Räikkönen hofft auf die Saison 2006., Foto: Sutton
Kimi Räikkönen hofft auf die Saison 2006., Foto: Sutton

Der Teamboss erzählt weiter: "Am nächsten Tag stieß Fernando im Werk in Enstone hinzu und wir haben den Tag gemeinsam verbracht - ich meine, manchmal macht es den Eindruck, dass ich auch sehr emotional sein kann. Ich denke an den ersten Tag, an dem ich Fernando traf, ich denke an sein erstes Rennen und daran, dass alle, all die Medien, sagten, dass es ein großer Fehler sei, dass ich Jenson Button durch Fernando ersetze. All diese Bilder gehen einem durch den Kopf und so war das an diesem Tag. Und da hat auch niemand etwas Falsches gemacht und mir ging es auch nicht schlecht - es war alles in Ordnung, ich fühlte mich gut."

Nichts gelernt

Während Fernando Alonso und sein Chef den Titelgewinn auf unterschiedliche Art und Weise, und dennoch beide recht emotional zelebrierten, musste Kimi Räikkönen endgültig alle Hoffnungen begraben, zum zweiten Mal in seiner jungen Karriere. Welcher der beiden Niederlagen sei bitterer gewesen, wird Räikkönen gefragt. Er sagt: "Ich denke, die erste. Da war es knapper und daher war es auch schmerzhafter. Diesmal wussten wir schon seit langem, dass es schwer werden würde, sie einzuholen. Wir sahen, dass sie zuverlässig sind und dass sie, auch wenn wir gewinnen, direkt hinter uns ins Ziel kommen. Es war also nicht so schlimm. Natürlich hätten wir lieber den Titel geholt, als ihn zu verlieren."

Wenn der Anblick auf das Vergangene schmerzt, blickt man umso lieber in die Zukunft - und für Kimi Räikkönen gibt es jetzt nur ein Ziel: "Wir wollen die Weltmeisterschaft der Konstrukteure gewinnen." Und im nächsten Jahr möchte Räikkönen natürlich abermals versuchen, Weltmeister zu werden. Einige glauben, der Finne könnte nach 2006 bei Ferrari anheuern - die Gerüchteküche brodelt, manche sprechen sogar von einem bereits unterzeichneten Vertrag mit der Scuderia. Räikkönen sagt dazu nur: "Diese Gerüchte sind ja nicht neu, die gibt es schon seit drei Jahren. Aber klar - jetzt, wo alle wissen, dass mein McLaren-Vertrag im nächsten Jahr ausläuft, ist es für die Journalisten scheinbar noch interessanter, diese Spekulationen zu schreiben. Fakt ist, dass ich einen Vertrag für das kommende Jahr habe und dass ich in meinem Team glücklich bin. Das Auto wird sicher auch im nächsten Jahr gut sein und ich sehe keinen Grund, warum ich in ein anderes Team wechseln sollte. Okay, nach dem kommenden Jahr werden wir uns das wieder ansehen, aber derzeit bin ich froh, hier zu bleiben."

Bleibt noch eine Frage: Was haben sie gelernt aus diesem Jahr, die beiden Titelfighter? Fernando Alonso sagt: "Ich habe gelernt, dass man mit einem guten Auto gewinnen kann..." Kimi Räikkönen sagt: "Ich habe keine Ahnung, was ich gelernt habe, wirklich. Sicher, man lernt immer aus Fehlern - aber ich habe nichts wirklich Signifikantes gelernt."