"Genial", "super", "sensationell": Unsere Leser überschlugen sich nach dem Großen Preis von Belgien geradezu mit Superlativen. Allerdings nicht für das an sich weitestgehend öde Rennen. Vielmehr lobpreisten sie Jacques Villeneuves unglaubliche Fahrzeugbeherrschung.

"Ich hatte einige abenteuerliche Momente zu überstehen", sah der Franko-Kanadier die so sehr gelobte Szene relativ nüchtern. "In einer Runde stand ich in Eau Rouge quer, und ich dachte, das ist das Ende. Aber ich konnte das Auto auffangen."

Was war passiert? Wie zuvor schon Giancalo Fisichella geriet Villeneuve mit den Reifen auf den nassen Kerb. Das Auto drohte auszubrechen und der Kanadier abermals in Eau Rouge heftig abzufliegen. Solche Erfahrungen sammelte er bekanntlich schon vor geraumer Zeit bei British American Racing.

Doch das Reaktionswunder Villeneuve schaltete blitzschnell. Der Ex-Weltmeister verhinderte ein Ausbrechen des Hecks, vermied einen Dreher sowie folgenschweren Abflug und zeigte einen spektakulären Drift bei 300 km/h in der berüchtigsten Kurve der F1-Welt.

Aber wie hat der Kanadier diese weltmeisterliche Leistung geschafft? "Großartige Fahrer verlassen sich im Fall von Drifts auf ihre schnellen Reaktionen", sagt Villeneuves Ex-Renningenieur Jock Clear. "Aber die wirklich überragenden Fahrer haben die Fähigkeit, ein Ausbrechen des Autos zu 'sehen', bevor es passiert. Sie haben so ausreichend Gelegenheit für Gegenmaßnahmen, sie 'lesen' den Wagen förmlich."

Somit sind die Besten nicht einfach schneller. "Sie fangen einfach früher damit an", betont der heutige B·A·R-Renningenieur von Takuma Sato. Ein Fahrer der ebenfalls für einen wilden Fahrstil und gute Reaktionen bekannt ist. Clear sagte uns sogar einmal, dass ihn der Japaner stark an seinen Ex-Schützling Villeneuve erinnere.

Wie funktioniert das Gehirn?

Aber wie funktioniert nun das Gehirn eines Formel 1 Fahrers, wenn ihm das Heck seines Autos auszubrechen droht? In nur 0,3 bis 0,4 Sekunden muss er entscheiden was zu tun ist und wie stark er Gegenlenken muss. Sonst fliegt er unweigerlich ins Kiesbett oder die Reifenstapel ab.

Neben der visuellen Wahrnehmung über die Augen und den gefühlten Vibrationen und Bewegungen des Autos, setzen Rennfahrer auch auf ihre "eingebauten" Bewegungssensoren des Ohrs. Das so genannte vestibuläre System.

Dieses reagiert im Gegensatz zu den Augen (40-60 ms) und dem Tatsinn (15-20 ms) bereits nach kaum messbaren 1-2 Millisekunden. Verantwortlich dafür sind mikroskopisch kleine, mit einer Flüssigkeit gefüllte Röhren, die sich an verschiedenen Stellen im Ohr befinden. Schon die kleinste Bewegung des Kopfes sorgt dafür, dass die Flüssigkeit winzige Härchen stimuliert und über den Vestibularnerv einen Impuls an das Gehirn sendet.

Bei Rennfahrern ist dieses System im Vergleich zu normalen Autofahrern sehr viel ausgeprägter. Das bedeutet allerdings nicht, dass die F1-Piloten mehr Daten erhalten oder diese schneller verarbeiten können. Die Sinne der Rennstars sind einfach nur besser trainiert als die eines Ottonormalfahrers, der nicht jede Woche mit über 300 km/h durch High-Speed-Kurven rast.

Zu diesem Zeitpunkt ist allerdings erst die Information über die ersten Tendenzen eines ausbrechenden Hecks im Gehirn des Fahrers angekommen. Ein normaler Entscheidungsprozess von 100 ms würde jetzt aber viel zu lange dauern, um den drohenden Abflug noch zu verhindern.

An diesem Punkt beginnt bei den Fahrern eine so genannte ideomotorische Reaktion. Anstatt zu überlegen, welche Reaktion notwendig ist und eine Entscheidung zu treffen diese auch auszuführen, gehen die Fahrer direkt von der Wahrnehmung zur Reaktion über. Sobald der Fahrer spürt, dass Balance aus dem Gleichgewicht geraten ist, gleicht er diese mit einer Art Urinstinkt wieder aus.

Bei Vollblutracern wie Jacques Villeneuve ist dies sprichwörtlich angeboren. "Seit meinem fünften Lebensjahr wollte ich immer nur Rennfahrer sein", so der Driftmeister von Spa. "Ich mache, wofür ich geboren wurde: Rennen fahren."