Die Kernfrage beim Grand Prix von Belgien in Spa-Francorchamps lautete: Auf Trockenreifen wechseln oder auf Intermediates bleiben? Die erste Versuchung, auf die so genannten Slicks zu wechseln, gab es bereits in der Safety Car-Phase - die halbnasse Strecke versprach, weiter aufzutrocknen...

"Als das Safety-Car auf die Strecke ging, mussten wir eine schnelle Entscheidung treffen. Die Stecke war noch nass und ich wollte auf Intermediates bleiben. Aber das Team entschied sich für Trockenreifen. Es war ein Risiko und es zahlte sich nicht aus. Ich konnte gerade so die Pace des Safety Cars mitgehen und musste noch einmal stoppen", sagte Toyota-Pilot Jarno Trulli nach dem verlorenen Reifenpoker in den Ardennen, später bezeichnete der Italiener die Entscheidung seines Teams sogar als "kolossale Absurdität", man habe ihn "eines Podestplatzes beraubt", beschwerte sich Trulli.

Doch Toyota war nicht das einzige Team, das in der Safety Car-Phase auf Trockenreifen wechselte - und Jarno Trulli war auch nicht der Einzige, dessen Rennen nach dem Reifenfehlgriff zerstört wurde...

Das Rennen von Michael Schumacher wurde zwar von Takuma Sato zerstört, doch auch die Scuderia ließ sich von der auftrocknenden Bahn täuschen. Schumacher erklärte nachher, dass "sofort klar wurde, dass man mit den Trockenreifen wie auf Eis fuhr", weshalb der Weltmeister wieder Intermediates aufziehen ließ. Letztlich mussten alle, die in der Safety Car-Phase auf Slicks setzten, eine Runde später reumütig auf Intermediates zurückwechseln.

Schumacher musste wie viele ein zweites Mal an die Box., Foto: Sutton
Schumacher musste wie viele ein zweites Mal an die Box., Foto: Sutton

BMW-Direktor Mario Theissen erklärte, dass "fast alle während der Safety Car-Phase es probiert" hätten, auf Slicks zu wechseln. Die beiden Red Bull-Piloten David Coulthard und Christian Klien können ebenfalls ein Lied davon singen, zudem musste sich Klien hinter Coulthard anstellen. Laut dem Hohenemser war das Auto auf den Trockenpneus "nicht zu kontrollieren". Klien hätte ohne den zusätzlichen Stopp auf jeden Fall WM-Punkte erobern können.

Doch nicht alle erlagen dieser ersten Versuchung, während der Safety Car-Phase. Jacques Villeneuve beispielsweise blieb überhaupt draußen, war plötzlich Zweiter. "Die Entscheidung, während der Safety Car Phase draußen zu bleiben, war genau richtig", jubelte der Kanadier, der am Ende als Sechster über die Ziellinie brauste.

Und da war auch Ralf Schumacher, der kurz vor der Safety Car-Phase die Box ansteuerte und dabei auf Intermediates blieb. Nachdem Villeneuve, der ultraschwer ins Rennen ging, seinen überfälligen Stopp erledigte, lag Ralf auf Platz 2 und holte immer mehr auf den Führenden Montoya auf. Zeitweise lagen nur noch wenige Zehntelsekunden zwischen den früheren Teamkollegen...

Doch dann kam auch schon die nächste Versuchung, als Ralf Schumacher in Runde 23 seinen zweiten Stopp erledigte. Toyota war abermals der Meinung, dass Trockenreifen besser wären. "Die Strecke war einfach unglaublich rutschig", erklärte Schumacher - und so musste er zähneknirschend wieder an die Box, Intermediates ausfassen. Immerhin konnte Ralf noch zwei Punkte an Land ziehen, doch ohne den Gummifehlgriff hätte er auf dem Siegerpodest stehen können.

Reger Betrieb in der Safety Car-Phase..., Foto: Sutton
Reger Betrieb in der Safety Car-Phase..., Foto: Sutton

In etwa zur selben Zeit wie Ralf Schumacher tappte auch Felipe Massa in den Slickfettnapf. Und auch er rutschte nur noch hilflos umher, musste umgehend wieder die Box ansteuern. Ein frustrierter Felipe meldete: "Was soll ich sagen? Wir hätten heute auf dem Podium stehen können, wenn ich auf Intermediates geblieben wäre. Denn ich war zu diesem Zeitpunkt vor Button. Mein Ingenieur Mike Krack fragte mich, ob ich wechseln wollte. Weil die Strecke ähnlich wie am Freitag war, als die Rillenreifen gut funktioniert haben, entschied ich mich, das Risiko einzugehen. Wenn es funktioniert hätte, wären wir Helden gewesen. Aber leider wurde das Auto einfach nur unfahrbar."

Letztlich gab es nur einen Zeitpunkt, an dem Trockenreifen keinen Nach- sondern einen Vorteil brachten: Und zwar ganz am Ende des Rennens, wie das die Williams-Piloten unter Beweis stellen konnten. Die Weiß-Blauen wechselten nämlich vier Runden vor Schluss auf Trockenreifen. "Unsere Autos funktionierten im letzten Stint mit den Intermediates überhaupt nicht mehr, wir waren fünf bis sechs Sekunden langsamer pro Runde", erklärt Mario Theissen. Der späte Reifenwechsel erntete die Kritik von McLaren-Boss Ron Dennis - dieser sah darin den Auslöser dafür, dass Antonio Pizzonia ins Heck von Juan Pablo Montoya krachte und damit einen Doppelsieg der Silberpfeile und sogar eine Übernahme der WM-Führung bei den Konstrukteuren vereitelte.

Dennis hat jedoch nur insofern Recht, als dass Pizzonia laut eigenen Angaben um vier Sekunden pro Runde schneller fahren hätte können, als er hinter Montoya fuhr und sich schließlich der Auffahrunfall ereignete. Unter Beweis stellt diese Theorie Mark Webber, der mit seinen Trockenrillenreifen sich noch auf Platz 4 vorarbeiten konnte. Theissen: "Mark ist dann ja auch mit den Slicks die zweitschnellste Rennrunde gefahren." Dass Webber am Ende noch Barrichello überholen konnte, liegt laut dem Brasilianer zumindest an einem anderen Grund. Denn auch Rubens holte sich Trockenpneus - nur: "Ich tat mir schwer dabei, diese auf Temperatur zu bekommen, und so konnte mich Mark überholen."