Unbequeme Szenen für die Formel 1 und die FIA ereigneten sich zu Beginn der zweiten Session des Qualifyings zum Großen Preis der Türkei 2020 in Istanbul. Obwohl sich nach einem Abflug des Williams-Piloten Nicholas Latifi am Ende des Q1 noch ein Bergungskran an der Unfallstelle in Kurve acht befand, startete die Rennleitung das Q2. Die F1-Piloten fuhren somit bei unwirtlichen Regenverhältnissen direkt an dieser potenziellen Gefahrenstelle vorbei.

Erinnerungen an Jules Bianchi wurden wach. Der Franzose war bei ähnlichen Bedingungen beim Japan GP 2014 abgeflogen und unter einen noch in einer Auslaufzone befindlichen Bergungskran gerutscht. Später erlag Bianchi seinen Verletzungen. Spätestens seit diesem Vorfall sind Bergungsfahrzeuge auf der Strecke ein sensibles Thema in der Königsklasse.

Alex Albon kritisierte zu frühen Q2-Start

Dennoch kam es nun in Istanbul zur besagten Szene, die auch mancher Fahrer kritisierte. "Wie um Himmels Willen könnt ihr die Session starten, wenn noch ein Truck auf der Strecke ist? Habt ihr nichts aus der Vergangenheit gelernt", polterte Ex-F1-Fahrer Marcus Ericsson bei Twitter. "Wir wissen, dass das passieren sollte", sagte Daniel Ricciardo. "Das war dumm. Ich bin mir sicher, dass wir auch noch fünf Minuten hätten warten können, bis der Kran weg ist", monierte Red-Bull-Pilot Alexander Albon. "Ich denke, sie haben versucht, es vor Sonnenuntergang über die Bühne zu bringen und haben dabei alles überstürzt." Das vermutete auch Ricciardo.

Noch in der Box beobachtete Albon, wie der Williams geborgen wurde und dennoch die Ampel auf Grün schaltete. "Ich hätte erwartet, dass es ein Fünf-Minuten-Signal gibt. Aber es war nur eine Minute, dann wurde auf Grün geschaltet. Ich dachte mir, dass sie den Kran wohl sehr schnell wegbekommen haben. Aber offenbar hatten sie nicht genug Zeit“, sagte der Brite mit thailändischen Wurzeln verwundert. Immerhin befand sich der Kran noch in der Auslaufzone, als die Fahrer auf ihren Outlaps die Passage erreichten.

FIA erklärt: Deshalb wurde Q2 trotz Bergung gestartet

Für Albon muss es sich um eine Fehleinschätzung gehandelt haben. „Das haben sie auf keinen Fall absichtlich so gemacht", widersprach Albon seiner ursprünglichen Aussage im Hinblick auf den Sonnenuntergang. Das passt zu einer Erklärung der FIA am späten Abend in Istanbul. Von der Dämmerung ist darin nicht die Rede. Stattdessen berichtet die FIA, dass es sich tatsächlich um eine Fehlkalkulation handelte und erklärte, wie genau es dazu kam.

„Wir haben die Autos aus der Boxengasse gelassen, als das Bergungsfahrzeug sich in Richtung des Notausgangs bewegt hat. Dabei haben wir uns an Informationen gehalten, die der Rennleitung durch den Clerk of the Course übermittelt wurden, wonach das Fahrzeug sich von der Strecke entfernt haben würde, ehe die Autos auf ihren Outlaps Kurve acht erreicht haben würden, wo sich die Bergung abspielte“, schilderte Rennleiter Michael Masi.

Masi räumt Fehler ein: Haben aber noch reagiert

Genau das erwies sich jedoch schnell als Fehleinschätzung. Die Rennleitung habe deshalb umgehend reagiert. Masi: „Sobald klar war, dass es bei der vollständigen Bewegung des Bergungsfahrzeugs in die Öffnung der Streckenbegrenzung zu einer Vorzögerung gekommen war, haben wir den Bereich der doppelt Gelb geschwenkten Flaggen von Kurve acht bis zum Eingangspunkt von Kurve sieben erweitert, um die Autos auf ihren Outlaps noch weiter einzubremsen.“

Der Australier räumt dennoch einen Fehler ein, rückblickend würde Masi nun anders handeln. „Ganz klar ist das kein Szenario, das wir sehen wollen. Im Nachhinein hätten wir es anders gemacht und die Autos zurückgehalten, bis die Bergung abgeschlossen war“, sagte Masi und gelobte Besserung: „Wir werden unsere Abläufe prüfen, um die Wahrscheinlichkeit für ähnliche Vorfälle in Zukunft zu minimieren.“