1. - S wie Startaufstellung

Gewohntes Bild an der Spitze der Startaufstellung zum Formel-1-Rennen in Silverstone 2020 (Start heute 15:10 Uhr live auf RTL, Sky und im Live-Stream F1 TV Pro): Lokalmatador und Weltmeister Lewis Hamilton startet nach einer neuen überragenden Mercedes-Show im Qualifying von der Pole Position, direkt daneben steht Valtteri Bottas.

In der zweite Reihe wird es explosiv: Mit Max Verstappen und einem erstaunlich gut platzierten Ferrari von Charles Leclerc bilden zwei hungrige Youngster die Vorhut der Mercedes-Jäger. Auf P5 folgt mit Lando Norris der nächste junge Wilde, erst auf dem sechsten Rang startet mit Lance Stroll der erste von zwei im Qualifying enttäuschenden Racing Point.

Die Top-10 komplettieren der zweite McLaren von Carlos Sainz, das Renault-Duo Daniel Ricciardo und Esteban Ocon sowie Sebastian Vettel, nach einem von Pleiten, Pech und Pannen geprägten Wochenende weit hinter Leclerc auf Platz zehn. Nico Hülkenberg nimmt sein F1-Comeback vom dreizehnten Rang in Angriff. Wegen Gridstrafen von ganz hinten starten Daniil Kvyat (Getriebe) und George Russell (Gelbvergehen).

2. - S wie Start

Der Weg bis zum ersten Bremspunkt hat auf dem Silverstone Circuit wenig mit dem Weg bis zur ersten Kurve gemein. Erst nach rund 640 Metern müssen die Fahrer in die Eisen steigen - für Turn drei, die schnelle Rechts-Links direkt nach dem Start zuvor geht voll. Unfallgefahr bietet der erste Bremspunkt allerdings. Dort drehte 2018 etwa Kimi Räikkönen Lewis Hamilton. Zwei Jahre später muss der Brite auf einen anderen Finnen achten - seinen Teamkollegen.

Vor allem in den Start muss Bottas in Silverstone alles investieren - nicht, um es nur besser zu machen als bei seinem Patzer in Ungarn, sondern vor allem, um vor Hamilton zu kommen. Nur so kommt er in den Genuss des ersten Boxenstopps (s. 3. - S wie Silberpfeil-Duell). "Ich werde natürlich alles versuchen", kündigte der Finne bei Motorsport-Magazin.com volle Attacke an.

2019 duellierten sich Bottas und Hamilton um den Sieg, Foto: LAT Images
2019 duellierten sich Bottas und Hamilton um den Sieg, Foto: LAT Images

Dafür verfügt Bottas mit dem Medium-Reifen über die idente Ausgangslage wie Hamilton. Auch von hinten droht keine Gefahr durch Traktionsvorteile auf Soft - Verstappen und Leclerc beginnen das Rennen ebenfalls auf Medium. Über den weichen Reifen verfügt erst Norris - von P5 bräuchte der McLaren allerdings etwas mehr als nur diesen Traktionsvorteil, um ganz nach vorne zu schießen.

3. - S wie Silberpfeile im Taktik-Duell

Die Siegerfrage in Silverstone führt wohl nur über Mercedes - und ist eine mit Vorgeschichte. Im Vorjahr kämpften Bottas und Hamilton zu Rennbeginn hart um die Führung, durch einen längeren ersten Stint, und ein unterstützendes Safety Car, überlistete Hamilton seinen Teamkollegen letztlich erst strategisch. Anders ist das durch weiter gleiche wie klare Mercedes-Regeln auch nicht möglich.

„Morgen werden wir machen, was wir immer getan haben. Das führende Auto genießt Priorität, zu stoppen“, betont Motorsportchef Toto Wolff. So entrinnt Mercedes dem Dilemma, dem Führenden einen Undercut durch den eigenen Teamkollegen aufbürden und erklären zu müssen.

Biegt der Führende zum Stopp ab, gesteht Mercedes - wie bei Hamilton im Vorjahr - dem Zweiten jedoch zu, den ersten Stint auszudehnen. „Wenn das zweitplatzierte Auto dann Performance aus seinen Reifen ziehen kann, dann geht das für unsere Vorstellung von Rennsport in Ordnung. Dass Hamilton diese Option nutzen durfte, sollte am Start die Führung verlieren, scheint fast offensichtlich. In solchen Situationen liebt der Weltmeister nichts mehr als antizyklische Entscheidungen.

4. - S wie Strategie

Interessant: Grundlegend hält Pirelli strategisch den Medium im ersten Stint für alles andere als ideal. Die Italiener empfehlen als schnellsten Weg, die 52 Runden von Silverstone zu beenden gleich zwei Varianten, die mit Soft beginnen. Idealerweise eine Einstopp-Strategie mit Wechsel auf Hard nach 18 bis 22 Runden - oder eine Zweistopp-Strategie mit zweimal Soft für je 16 bis 18 Runden und einem Schlussstint auf Medium für 16 bis 20 Umläufe.

Medium für 21 bis 24 Runden, dann Hard ins Ziel folgt erst als drittschnellste Optionen. Hat sich Vettel also umsonst über den Start auf Soft geärgert und Leclerc zu Unrecht über den Medium gejubelt? Möglich. Zumindest bei Ferrari könnte jedoch etwas anderes gelten. Die Scuderia fuhr den Soft auf den Longruns rasant herunter, muss offensichtlich alles tun, um den weichen Pneu zu meiden. Aber: Derart heiß wie am Freitag wird es im Rennen ohnehin nicht. Grundlegend andere Voraussetzungen also.

5. - S wie Safety Car

Safety-Car-Garantie in Silverstone! Zumindest in der üblichen Fünfjahrestendenz, die Mercedes vor jedem Formel-1-Rennen herausgibt. Seit 2015 kam Bernd Mayländer tatsächlich in jedem Rennen in Silverstone mindestens einmal zum Einsatz. Dass es 2020 so weitergehen könnte, legten die Trainings und das Qualifying bereits nahe. Der Highspeedkurs sorgte bereits für etliche Zwischenfälle wie die Alfa-Dreher und Alex Albons Crash am Freitag oder Hamiltons Pirouette im Qualifying.

Genau das könnte einen Start auf Medium in der Praxis doch zur besseren Wahl machen. Wer länger fährt, hat länger die Chance von einem Safety Car zu profitieren, um zeitsparend zu stoppen. Pirellis Prognosen (s. 4. - S wie Strategie) basieren immerhin einzig auf einer perfekten Welt - ohne Zwischenfälle.

Alex Albons Wrack im Freitagstraining: Zwischenfälle gehören auf dem Highspeedkurs von Silverstone fast schon zum guten Ton, Foto: LAT Images
Alex Albons Wrack im Freitagstraining: Zwischenfälle gehören auf dem Highspeedkurs von Silverstone fast schon zum guten Ton, Foto: LAT Images

6. - S wie Sensationscomeback

Egal, was vorne passiert - ein Auge werden alle Fans in Deutschland ohnehin vor allem auf einen Mann richten: Nico Hülkenberg. Wie schlägt sich der Emmericher bei seinem spontanen F1-Comeback als Ersatz für den Corona-Infizierten Sergio Perez bei Racing Point. Das Qualifying lief mit P13 schon einmal solide, das Team zeigte sich jedenfalls zufrieden. Zufriedenen als Hülkenberg selbst sogar.

Im Rennen wittert der Rückkehr allerdings ohnehin bessere Chancen, will dort über die Konstanz das sicher große Potential des RP20 besser nutzen als in der Qualifikation. Viele hofften bei Bekanntgabe Hülkenbergs bereits auf ein Ende seines berühmten Podestfluchs. Doch so gut war der Racing Point - auch zu sehen an Strolls sechstem Platz - dann wider Erwarten doch nicht.

Ein Ziel hat Hülkenberg dennoch: Punkte sollen her. "Wir haben ein schnelles Auto und eine ordentliche Ausgangsposition. Das Auto gehört in die Top-10 und das werde ich morgen versuchen", sagte Hülkenberg. Die wohl größte Herausforderung sitzt ihm im Nacken. Nein, nicht in Startaufstellung, sondern im Hals. Den spürte Hülkenberg schon im Training und Qualifying. „"Die Autos sind hier schon abartig schnell“, sagte Hülkenberg.

52 Rennrunden sind nochmal eine andere Hausnummer. "Du kannst so viel trainieren, wie du willst. Die Fitness für das Fahren ist eine ganz andere Fitness. Vibrationen, Fliehkräfte, das gibt dir kein Gym“, weiß Hülkenberg. Die Folgen beobachteten bereits die Fahrerkollegen. "Nach dem ersten Training konnte man sehen, wie er seinen Hals auf einer Seite ein bisschen hängen ließ. Er hat einen ziemlich langen Hals, das bringt dir in der Formel 1 nicht unbedingt Vorteile", sagte etwa Max Verstappen.

7. - S wie Sieger

An dieser Stelle würden wir gerne Spannenderes berichten. Etwa - wie so oft im Vorjahr -auf die im Rennen stets bessere Pace Red-Bulls verweisen. Tatsächlich zeigten sich die Bullen bei den Longruns am Freitag in Silverstone sogar stärker als zuletzt, näher dran an Mercedes als in Ungarn. Besser als eine Sekunde dahinter wie im Qualifying sollte es zwar schon werden. „Im Rennen kann es anders laufen, da sind wir ein bisschen näher an ihnen dran“, sagte Verstappen nach dem Qualifying.

Doch näher dran reicht eben nicht, heißt längst nicht Schlagdistanz. Zumal es nun auch noch - ausnahmsweise mal den Prognosen entsprechend - merklich abgekühlt hat. Ein Trend, der sich am Sonntag noch verstärken soll. Eine zusätzliche Krücke für Mercedes. Auch deshalb macht sich Verstappen keine Illusionen: „Ich sage nicht, dass ich gegen sie kämpfen werde, aber ich kann ein bisschen näher dran sein.“

Geschieht nichts völlig Ungewöhnliches, lautet das Duell um den Sieg also einzig Hamilton vs. Bottas - unter Voraussetzungen, die „3. - S wie Silberpfeil-Duell“ bereits skizzierten. Ergänzend darf ein Stück Statistik allerdings nicht fehlen: Auf heimischem Boden ist Lewis Hamilton nahezu unantastbar. Seit 2014 gewann der Brite in Silverstone immer - bis auf eine Ausnahme. 2018. Und das auch nur wegen der schon genannten Kollision mit Räikkönen (s. 2. - S wie Start). Die Aufgabe für Bottas erscheint nahezu unmenschlich.