Jedes Jahr zu Saisonbeginn wird in Melbourne das traditionelle "Klassenfoto" geschossen, das alle kennen. Die wenigsten Formel 1-Fans wissen jedoch, dass es im Anschluss ein eigenes Foto mit den Neuen im Feld gibt. In den letzten Jahren waren das fast immer vier junge, hoffnungsvolle Talente die dem größten Tag ihrer Karriere aufgeregt entgegen blickten.

Vier gewinnt

An den einen Sonntag im März 2001 kann ich mich noch gut erinnern. Gequält lächelten sie einer Hundertschaft an Kamera-Objektiven entgegen:

Fernando Alonso, der stille Unbekannte bei Minardi.
Juan Pablo Montoya, der Indycar-Meister bei Williams.
Dieser Formel Renault-Fahrer Räikkönen aus Finnland, den der wahnwitzige Peter Sauber tatsächlich Formel 1 fahren lassen wollte.
Und – ach ja, jede Geschichte hat einen Haken – ein gewisser Enrique Bernoldi, wegen dem sich Sauber sogar mit Hauptgeldgeber Red Bull zerkracht hatte.

Ohne den Herren Karthikeyan, Monteiro, Albers und Friesacher zu nahe treten zu wollen – aber dieses Quartett von 2001 war eine etwas andere Kragenweite. Mit Ausnahme von Bernoldi, dessen Grenzen auch die sprudelnden Red Bull-Millionen nicht verschleiern konnten, haben die Jungs die Wachablöse in der Formel 1 heuer vollzogen. Sie SIND die Formel 1, gegen die Abo-Weltmeister Schumacher wie ein Fossil aus einer anderen Zeit wirkt.

Der Zauberlehrling

Fernando Alonso wird in die Geschichte eingehen – nicht nur als jüngster Sieger, Polesitter und Weltmeister aller Zeiten. Viel wichtiger ist: Er hat die Formel 1 von einem Fluch befreit. Als erster Fahrer in diesem Jahrtausend zeigt er die Grenzen des Michael Schumacher auf.

Wie immer im Moment eines Triumphes (und in Hockenheim war für mich der WM-Titel) treten plötzlich viele auf, die es ja schon immer gewusst haben. Auch ich bin so einer! Im Jahr 2000 habe ich für den ORF über die Formel 3000 berichtet. Bei Astromega fiel mir ein 18-jähriger auf. Innerhalb von zehn Rennen schaffte er den Sprung vom nervösen Anfänger zum Sieger. Ohne große Erfahrung düpierte er beim Finale in Spa-Francorchamps den Rest des Feldes. Den Beobachtern blieb vor Staunen der Mund offen.

Unser Siegerinterview fiel relativ kurz aus. Außer "yes", "no" und "good race" sprach Fernando damals kein Wort Englisch. Er stapfte unbeeindruckt von seinem Sensationssieg in die Formel 1-Hospitality von Minardi. Der Empfang war herzlich und alle wussten: Hier steht mit seinen 18 Lenzen einer, dem Minardi eigentlich schon eine Nummer zu klein ist.

Hartes Lehrjahr

Das Debütjahr im Minardi war "immer ein Ringkampf, um das Auto überhaupt auf der Straße zu halten". Immerhin war Gustav Brunners Billig-Bolide gut genug, um das Talent von Alonso zumindest in Spurenelementen nachweisen zu können. Soviel zur Ehrenrettung von Friesacher, Albers und Doornbos. Damals waren´s etwa drei Sekunden Rückstand zur Spitze, heute gut und gerne das Doppelte.

Dass Alonso heute die WM anführt ist der Karriereplanung durch Flavio Briatore zu verdanken. Anstatt ein weiteres Jahr sein Talent am Ende der Startaufstellung zu verschwenden, konnte Alonso 2002 ein Jahr lang im Trockenen üben. Die Benetton-Mannschaft musste ihm oft erklären, dass ein scheinbar verlorenes Jahr auch ein gewonnenes sein kann. Der Rest ist bekannt. Fernando Alonso dominiert "diszipliniert, konzentriert und emotionslos – also völlig unspanisch", wie sein Entdecker Adrian Campos es bezeichnet.

Für die Statistikfreunde: Fernando stand bei Renault bereits bei einem Drittel seiner Rennen auf dem Podium, nämlich 17 Mal in 46 Rennen. Noch irgendwelche Fragen?

Der Nationalheld

Wer bis vor drei Jahren Spanien besuchte und "Formula Uno" in den Mund nahm erntete höchstens gelangweilte Blicke. In jenem Land, in dem Motorrad-Siege einer Seligsprechung gleichkommen, fristete die Formel 1 ein Schattendasein.

Anfang der 90er Jahre zählte man beim spanischen Grand Prix in Jerez ganze 8.000 Zuseher auf den Tribünen. Zum Vormittagstraining der Fußballklubs der Primera Division kommen manchmal doppelt so viele.

Als ich einem Taxifahrer vor fünf Jahren in Jerez klarmachen wollte, er solle mich zur Strecke bringen, scheiterte ich kläglich. "Auto, Schumi, Ecclestone, Ferrari, Mika…", alles war vergeblich. Erst als mir "Moto, Biaggi, Doohan…" in den Sinn kam, da fiel bei ihm der Groschen.

Heute ruft der König persönlich bei Fernando an. Er kann sich längst nicht mehr frei in seinem Heimatland bewegen. Wegen ihm verzichten bis zu sieben Millionen Spanier am Sonntag auf die Siesta und schauen Formel 1.

Making history

Alonso stellt seine beiden Klassenkollegen von 2001 klar in den Schatten. "Es ist als gäbe es im Moment keine Grenzen", gibt er selbst nach erfolgreichen Arbeitstagen zu. "Ein Gefühl von Unbesiegbarkeit!"

Montoya hat seinen Platz in der Geschichte schon gefunden. Atemberaubende Wagenbeherrschung wie einst Ronnie Peterson oder Gilles Villeneuve. Allerdings wird seine fehlende Konstanz und Analytik ihn daran hindern, dauerhaft an Alonso und Räikkönen vorbeizuziehen.

Kimis Zeit wird noch kommen. Wenn McLaren es schafft, den übernatürlichen Finnen irgendwie bei Laune zu halten, dann wird er die Silberpfeile zu vielen Siegen führen. Und wenn nicht, dann halt Ferrari. Für gute Leute ist ja bekanntlich immer ein Platz frei.