"Die Formel 1 ist tot.", hieß es am Montag nach dem schwarzen Sonntag von Indianapolis im britischen Blätterwald. Ganz so schlimm sieht Ex-F1-Pilot Hans-Joachim Stuck die gesundheitliche Gesamtlage der Königsklasse des Motorsports aber nicht. Denn aus seiner Sicht reichte bereits ein großes Pflaster, um die Probleme von Max Mosley, Bernie Ecclestone & Co wieder etwas mehr in sichere Bahnen zu lenken. Und dieses weiß-blaue Super-Pflaster ist mit den drei Buchstaben BMW bedruckt.

Warum Strietzel Stuck den US Grand Prix trotzdem als "Volksverarschung" ansieht, warum er kein Interesse an der Rolle des BMW-Teamchefs hat und warum Nick Heidfeld den Jackpot geknackt hat, verriet er in einem ausführlichen Exklusivgespräch mit motorsport-magazin.com Chefredakteur Stephan Heublein.

Strietzel, beginnen wir bei all dem Wahnsinn der letzten Tage mit dem, was am einfachsten und auch am schönsten war: Nämlich mit BMW und Sauber.

Hans Joachim Stuck: [lacht] Ja, genau. Das ist eine Superentscheidung von BMW sich langfristig an die Formel 1 zu binden und als Hersteller seine Kompetenz als Gesamtes nachzuweisen. Als Motorenlieferant musste man bislang Kompromisse eingehen, da man nicht genügend Einfluss auf das Team oder die Fahrerwahl hatte. Jetzt kann man mit einem eigenen Team richtig zeigen, was BMW im Motorsport heißt. Es ist also unternehmerisch eine richtige, aber ebenso mutige Entscheidung.

Gerade da Sauber bislang nicht zu den Top-Teams zählte...

Hans Joachim Stuck: Sauber ist noch kein Top-Team, hat aber eine gute Infrastruktur und kann durchaus ein Top-Team werden. Wenn sie es geschickt umsetzen, dann müssen in zwei, drei Jahren die Erfolge kommen. Aber gerade zum jetzigen Zeitpunkt ist solch ein Commitment eines Premiumherstellers wie BMW unheimlich wichtig für die gesamte Formel 1. Diese Bekanntgabe hat genau reingepasst.

Bei all dem Wahnsinn, auf den wir gleich noch zu sprechen kommen werden, auf jeden Fall. Was in den kommenden Wochen und Monaten noch für viele Diskussionen sorgen wird, ist hingegen die Personalfrage beim neuen Team. Und hier werden mit Sicherheit die Namen Gerhard Berger und Nick Heidfeld vermehrt fallen.

Hans Joachim Stuck: Nick hat gestern sicherlich den Jackpot geknackt. Berger macht für mich hingegen keinen Sinn. Das steht denke ich auch nicht zur Debatte. Denn Gerhard ist ja kein Teamchef. Wenn man einen solchen suchen sollte, dann braucht man jemanden vom Schlage eines Flavio Briatore oder David Richards. Ich kann mir also nicht vorstellen, dass Gerhard sich in Hinwil auf's Dach setzt und da oben wohnt.

In unserem Forum haben einige unserer motorsport-magazin.com-Leser schon scherzhaft gesagt, dass Du unbedingt die Rolle des Teamchefs übernehmen müsstest...

Hans Joachim Stuck: [lacht] Bis jetzt hat mich noch keiner gefragt, aber das würde ich mir auch dreimal überlegen.

Gerade dieser Tage muss man sich als Teamchef ständig mit dem FIA-Präsidenten, Bernie und den anderen neun uneinigen Teambossen herumschlagen...

Hans Joachim Stuck: Ich glaube, das brauche ich nicht. Das ist bei Gerhard und mir ähnlich. Ich habe bei BMW einen Superjob und davon abgesehen, dass ich das ja gar nicht könnte, da ich gar nicht die Erfahrung dafür habe, ist das ein 24h-Commitment. Ich bin persönlich mit John Howett [Toyota Motorsport Präsident, d. Red.] recht gut befreundet und ich weiß auch, wo und wie der in der Firma schläft. Da gibt's genügend Tage, wo er die Zahnbürste mit ins Büro nimmt. Das ist weder Gerhards noch meine Aufgabe.

Die Zukunftschancen von BMW sind durch den Sauber-Deal aber stark gestiegen...

Hans Joachim Stuck: Ja, natürlich. Gerade für BMW ist es als Premiumhersteller wichtig Kompetenz nachzuweisen. Das kann man jetzt, aber es wird seine Zeit brauchen. Man darf sich nicht vor zwei, drei Jahren den großen Erfolg erhoffen, aber dann ist es sicherlich möglich. Und da ist Sauber natürlich eine gute Basis. Denn sie haben einen Superwindkanal und alles andere muss eben auf Vordermann gebracht werden. Man braucht einen neuen Aerodynamiker, man braucht einen Cheftechniker, aber dann ist sicherlich Potenzial vorhanden um Weltmeister zu werden.

Besonders da bislang die Ressourcen als das große Problem des Teams galten...

Hans Joachim Stuck: Die Ressourcen werden jetzt natürlich stark verbessert. Das war ja auch immer einer jener Punkte, bei denen Williams nicht gewillt war die ganzen BMW-Ressourcen, die ihm angeboten wurden, zu nutzen. Er hat sich nicht genügend geöffnet und das war eigentlich schade, weil BMW in München schon einige Möglichkeiten hat.

Und wie wird es jetzt mit Williams weitergehen?

Hans Joachim Stuck: Wenn Frank Williams gescheit ist, dann fährt er weiter einen BMW-Motor, damit ist er gut bedient. Ob er mit einem Honda-Triebwerk besser bedient wäre, weiß ich nicht. Für Williams wäre es sicherlich interessant wieder einen solch starken Partner wie BMW zu finden, der ihn auch finanziell unterstützt. Vielleicht müssen sich Frank Williams und Patrick Head etwas mehr öffnen und ein bisschen ihr System ändern und etwas moderner werden, damit sie mit einem neuen Partner auch wieder etwas bewegen können. Man darf Williams nur nie unterschätzen. Sie haben eine riesige Erfahrung und einen riesigen Background und ein Team wie Williams zu verlieren ist natürlich auch ein großer Verlust.

Gerade wenn BMW in diesem Jahr noch mit Williams gewinnen sollte und man dann im nächsten Jahr nur mit Punkterängen Vorlieb nehmen muss.

Hans Joachim Stuck: Ich bin davon überzeugt, dass BMW-Williams in diesem Jahr mindestens ein paar Rennen gewinnen wird. Und das wird Williams auch mit anderen Motoren hinbekommen.

Damit haben wir den schönen Teil abgehakt und kommen jetzt zum letzten Wochenende.

Hans Joachim Stuck: [lacht] Ja, genau. Da muss ich gleich mal lachen. Ich finde es einfach bedauernswert, dass die ganzen Herrschaften in der Formel 1, inklusive eines Max Mosley oder Bernie Ecclestone, es nicht geschafft haben innerhalb von 48 Stunden eine Lösung zu finden, die dem gerecht wird, was man von der Formel 1 erwartet. Denn das, was sie abgeliefert haben, war Volksverarschung. Und da die Sicherheit über allem zu stehen hat, hätte es eigentlich nur eine Lösung gegeben: Man fährt gar kein Qualifying und sagt die Veranstaltung bereits am Samstagmittag vor dem Qualifying komplett ab. Aber was hier als Lösung gebracht wurde, war unmöglich. Das kann man nicht machen. Und ich empfinde es als eine echte Farce, dass sich ein Mosley jetzt noch dazu erdreistet die Teamchefs bestrafen zu wollen.

Vor allem angesichts der Tatsache, dass seine Vorschläge auch nicht gerade die besten waren - Stichwort: Mit reduzierter Geschwindigkeit durch die Steilkurve zu fahren.

Hans Joachim Stuck: Wo sind wir denn da? Das war ja wohl ein Witz. Aber auch das, was sie dort aufgeführt haben, war für mich nicht Formel 1 like und sie können nur lachen, dass jetzt BMW als Premiumhersteller eingestiegen ist, weil dies ein richtig großes Pflaster für die Wunde ist.

Der Auslöser war unterdessen ganz klar Michelin.

Hans Joachim Stuck: Das ist klar. Der Auslöser war Michelin. Aber auch hier gehört sehr viel Mut dazu zu sagen: 'Wir haben einen Fehler gemacht, die Reifen funktionieren nicht und sind ein Sicherheitsrisiko. Wir fahren nicht.' Das halte ich für sehr mutig von Michelin. Denn für sie ist das natürlich auch ein schwerer Imageschaden, welchen sie sich nicht absichtlich zugefügt haben.

Die großen Gewinner heißen hingegen Bridgestone und Ferrari.

Hans Joachim Stuck: Da darf man natürlich nicht böse sein. Aber wenn es abgesagt worden wäre, hätte es sie genauso getroffen. Und deswegen finde ich es etwas schade, dass der gute Bernie etwas die Zügel aus der Hand verloren hat. Vor fünf, sechs Jahren wäre das einem Ecclestone nicht passiert. Da hätte er noch die Gewalt gehabt zu sagen wir ziehen den Schwanz ein und fahren überhaupt nicht. Aber mittlerweile hat er solche Charaktere und Hersteller in die Formel 1 rein bekommen, dass er scheinbar nicht mehr allein die Obermacht hat.

So wie es im Nachhinein dargestellt wurde, soll vor allem Max Mosley ein Gegner der Schikanen-Idee gewesen sein.

Hans Joachim Stuck: Eine Schikane wäre eine Notlösung gewesen und dazu keine gute. Denn dann hätte man noch einmal trainieren müssen und eine Schikane ist wie der Name schon sagt eine Schikane. Das wäre für mich mit Sicherheit keine Lösung gewesen. Das einzige was man noch hätte machen können, wäre ein Reifenwechsel alle acht Runden gewesen, aber das ist vom Rennausgang her eine Farce. Bevor man solch einen Zirkus macht, sagt man es lieber ganz ab.

Welche Auswirkungen hat dieser Ausgang nun auf den WM-Kampf zwischen Renault und McLaren. Kann Ferrari da noch einmal eingreifen?

Hans Joachim Stuck: Rein rechnerisch schon. Aber das ist natürlich im Bereich des Fabelwesens. Wenn am Ende der Unterschied zwischen Alonso, Räikkönen und Michael Schumacher allerdings weniger als zehn Punkte betragen sollte, dann wird diese WM immer einen schwarzen Fleck besitzen.

Und wie wird es in Magny Cours weitergehen? McLaren und Renault wie üblich vorne weg?

Hans Joachim Stuck: Ich glaube schon, dass McLaren Mercedes gut unterwegs ist. Aber mein Geheimfavorit für Magny-Cours ist BMW-Williams.

Die testen in dieser Woche mit den anderen Teams neue Teile in Jerez...

Hans Joachim Stuck: Genau, da gibt es ein paar Entwicklungsstufen, wenn die richtig gezündet werden, dann geht es vorwärts.

Vorwärts ging es auch in den ersten acht spannenden Saisonrennen bis Indy. Wird es in der zweiten Saisonhälfte so weitergehen? Wird der Sport über die Politik siegen?

Hans Joachim Stuck: Es wird sogar noch spannender werden. Denn ich bin mir sicher, dass BMW-Williams einen Schritt nach vorne machen wird und Toyota ist ja auch ganz nah dran seinen ersten Grand Prix zu gewinnen. Wir werden also schon noch Rennen erleben, wo es einen Vierkampf geben könnte.

Ein ganz anderes Thema, welches vom Indy-Wahn etwas überdeckt wurde, sind die neuen Regelvorschläge von Max Mosley.

Hans Joachim Stuck: Die Idee eines Einheitsreifens empfinde ich hervorragend. Was sowohl Christian Danner als auch ich gut finden, ist das Schalten mit einem sequentiellen Getriebe. Ein Rennfahrer sollte schon dazu in der Lage sein mit der Hand zu schalten. Das Verbot der Traktionskontrolle wird wieder nur schwer zu kontrollieren sein, da man dann im Gegenzug sämtliche Sensoren am Auto verbieten müsste. Die Rückkehr zu Slicks und der aerodynamische Wegfall all dieser seitlichen Teile sind wiederum super. Die Vereinheitlichung von Getrieben oder Bremsen ist hingegen noch vernachlässigbar. Ein eigenes Getriebe zu bauen ist okay und bei den Bremsen ist ohnehin schon das meiste vorgeschrieben.

Zum Abschluss wollen wir noch einen Blick auf die Speed Academy der Deutsche Post werfen. Hier ist die erste Wertungsrunde gerade zu Ende gegangen. Wie lautet Dein erstes Fazit?

Hans Joachim Stuck: Die Speed Academy stellt für mich eine sehr wertvolle Pflanze dar, welche momentan noch etwas im Verborgenen blüht. Die Öffentlichkeit scheint noch gar nicht realisiert zu haben, zu was die Speed Academy eigentlich in der Lage ist. Wenn man sich jetzt die Burschen ansieht, die im ersten Wertungszeitraum vorne dabei waren, dann sind das schon Fahrer, die mit dem richtigen Material vorne mitfahren können.

Diese erste Wertungsrunde hat Nicolas Hülkenberg für sich entscheiden können, weil er in der Formel BMW ADAC sowohl überragend als auch überraschend gut gefahren ist.

Hans Joachim Stuck: Richtig, das war der richtige Mann. Es ist ja oft so, dass es viele Leute gibt, die ein Riesentalent haben, die aber leider nicht alle gefördert werden können. Aber es zeigt sich, dass die Fahrer die wir fördern, auch die in sie gesetzten Erwartungen erfüllen können.