Viel wurde in den vergangenen Tagen über die Indy-Farce geschrieben und noch viel mehr wurde darüber diskutiert. Minardi-Teamchef Paul Stoddart nahm sich nun mit etwas Abstand zu den absurden Ereignissen des letzten 'Renn'wochenendes noch einmal die Zeit in einem sehr berüchtigten langen Briefe das Indy-Wochenende zu analysieren.

Vorweg schob der Australier aber noch einmal seine altbekannte Meinung: "Für all diejenigen, welche die politischen Entwicklungen in der F1 zuletzt nicht verfolgt haben, sei vorweg erwähnt, dass die F1-Teams schon seit über einem Jahr mit den Entscheidungen der FIA und von Max Mosley uneins sind. Es ist kein Wochenende vergangenen, an welchem nicht einige oder alle Teams über die Regeln diskutiert hätten."

Angesichts des beinahe schon unbeschreiblichen Umfangs von Stoddarts Beschreibung der Abläufe am letzten Wochenende, fassen wir für Sie die Kernaussagen und Schlüsselpunkte seiner Sicht der US-Affäre zusammen.

Freitag, 17. Juni 2005

Stoddart verfolgt die Reifenschäden bei Ricardo Zonta und Ralf Schumacher zuerst minder, danach mehr interessiert am Kommandostand seines Minardi-Teams und vermutet einen Reifenschäden. Diese Ansicht verbreitet sich danach im Laufe des Nachmittags im gesamten Paddock. "Später an jenem Abend wurde mir erstmals ein potenzielles Problem der Michelin-Reifen bei diesem Event bewusst. Ehrlich gesagt räumte ich dem aber keine allzu große Beachtung ein, da wir ja ein Bridgestone-Team sind."

Samstag, 18. Juni

Als Stoddart am nächsten Morgen im Fahrerlager ankommt, wird bereits überall über ein "potenzielles Problem" der Michelin Hinterreifen gesprochen. Wie ernsthaft dieses Problem ist, wurde Paul dann im Laufe der beiden Samstagstrainings bewusst, als die Michelin-Teams nur mit neuen Reifen durch die Steilkurve fuhren und ansonsten durch die Boxengasse ratterten.

"Im Paddock wurde deshalb darüber diskutiert, dass einige Michelin-Teams möglicherweise nicht am Qualifying teilnehmen würden", entsinnt er sich. Bereits während der Freien Trainings wurde Stoddart über ein anstehendes Teamchef-Meeting mit Bernie Ecclestone um 14:30 Ortszeit nach dem Qualifying informiert.

Zehn Minuten früher begannen Paul und alle anderen Teamchefs, auch Jean Todt von Ferrari, mit dem Meeting. "Überraschenderweise waren die Hauptthemen die Anzahl der Rennen für den Rennkalender von 2006 sowie der Vorschlag eines weiteren Meetings beim nächsten Rennen. Bei diesem sollten einerseits ein Einheitsreifenhersteller und andererseits die Notwendigkeit eines Low-Fuel-Qualifyings für 2006 besprochen werden. Erst am Ende des Meetings kam das Michelin-Reifen-Thema zur Sprache, wurde dabei aber nicht en Detail diskutiert. Ich empfand dies als seltsam, aber da es Minardi nicht direkt betraf, gab es für mich keinen Grund mich zu beschweren."

In den Abendstunden kam es dennoch im gesamten Paddock zu Spekulationen, dass das Reifenproblem ernsthafter als zunächst angenommen sei. "Die Leute sprachen darüber, dass frische Reifen aus Frankreich eingeflogen werden sollten und welche Strafen den Michelin-Teams blühen konnten."

Als Paul das Fahrerlager am späte Abend verließ, nahmen die ersten bereits Wetten auf Punkteankünfte von Minardi und Jordan an.

Sonntag, 19. Juni

Um 8:15 kehrte Stoddart am nächsten Morgen wieder in den schon jetzt mit wilden Stories gefüllten Paddock zurück. Zu diesem Zeitpunkt bekam auch er den bekannten Briefwechsel zwischen Michelin und der FIA in die Hand gedrückt und fragten ihn die ersten Journalisten, ob er einer Regeländerung zustimmen würde.

Eine Stunde später war er gegen 9:30 in einem Meeting mit Jordan, Bernie Ecclestone, zwei Michelin-Vertretern, Tony George, den Teamchefs und den technischen Vertretern der Michelin-Teams. Zu diesem Zeitpunkt enthüllten die Franzosen, dass ihre Reifen ohne eine Änderung des Streckenlayouts keine Renndistanz durchhalten würden. Zudem erklärte Michelin, welche Anstrengungen man in den vergangenen 48 Stunden unternommen hatte, um die Situation zu analysieren respektive irgendwie zu lösen.

"Von den Bridgestone Teams wurde nun verlangt, dass sie der Errichtung einer Schikane in Kurve 13 zustimmen." Dabei machten die Franzosen laut Stoddart "deutlich", dass dies die einzige sinnvolle Lösung wäre, da die bisherigen drei Gegenvorschläge der FIA einen "monumentalen Unfall" heraufbeschwören könnten.

Während die Verantwortlichen des IMS bereits erste Überlegungen für das Design einer solchen Schikane vornahmen, wollte Bernie Ecclestone mit dem einzigen nicht anwesenden Teamchef, Jean Todt, sowie dem FIA-Präsidenten Max Mosley über den Sachverhalt sprechen.

Um 10:55 informierte Bernie die Teamchefs dann darüber, dass Todt dem Vorschlag nicht zustimmt, da dies kein Problem von Ferrari wäre, sondern eines der FIA und von Michelin. "Allerdings hatte auch Mr Mosley betont, dass jeder Versuch die Strecke zu verändern in eine Absage des Grand Prix münden würde."

Stoddart kannte solche Worte bereits von seinen Erfahrungen aus Melbourne, als er ebenfalls mit Jean Todt und Max Mosley über eine Regelausnahme verhandelte. "Aber wieder einmal war Mr. Mosley bei einem Grand Prix nicht vor Ort!" Entsprechend sollen die Anwesenden laut Stoddart festegestellt haben, dass der FIA-Präsident "weit über das Ziel hinausgeschossen ist, die Sachlage nicht kannte und sich zudem noch weniger um den US Grand Prix, die Organisatoren, die Fans und hunderte Millionen von TV-Zuschauern Sorgen machte".

Zu diesem Zeitpunkt kam den neun Teams die Idee eines Nicht-WM-Laufes oder eines Rennens, bei welchem die Michelin-Teams keine WM-Punkte holen konnten. "Mittlerweile gab es für viele nur noch eine Lösung: Mit einer Schikane und notfalls auch ohne Ferrari in einem Nicht-WM-Lauf zu fahren."

Da die FIA dann zweifelsohne ihre Angestellten zurückgezogen hätte, teilten die Teams zusammen mit Ecclestone ihren eigenen Renndirektor, Safety-Car-Fahrer und sonstigen wichtigen Positionen ein.

Danach wurden alle 20 Fahrer zu einem Meeting eingeladen und über den Plan informiert. "Während ich nicht sagen kann, ob alle 20 Fahrer uns stimmten, konnte ich doch erkennen, dass keiner von ihnen nicht zustimmte und die GPDA erklärte sich bereit die Errichtung der Schikane zu überwachen. Nur Jean Todt war als einziger nicht anwesend, was die Ferrari-Fahrer damit begründeten, dass dies seine freie Entscheidung gewesen wäre."

Nach diesem Meeting stimmten die neun Teams darin überein, dass keiner ihrer Piloten ins Rennen gehen würde, wenn man keine Lösung für das Problem finden würde. Als Stoddart sich danach zu einem weiteren Treffen im Büro von Bernie einfand, verzweifelte Flavio Briatore gerade daran Max Mosley am Telefon von den vorgeschlagenen Ideen zu überzeugen. "Als Ergebnis des Anrufs war klar ersichtlich, dass viele Anwesende in diesem Raum jegliches Vertrauen in Mr Mosley und seine Fähigkeit als FIA-Präsident für die Formel 1 zu handeln verloren hatten."

Und während laut Stoddart viele F1-Verantwortliche dies nicht offen aussprechen möchte, betont er, dass "Mr. Mosley und zu einem kleineren Anteil auch Mr. Todt für eines der größten FIAskos der Formel 1 Geschichte" verantwortlich zeichneten.

Nachdem auch noch Anrufe von Bernie Ecclestone, Ron Dennis und Tony George scheiterten, erfuhr Stoddart vom FIA-US-Repräsentanten Martin, dass Mosley angedroht hatte sämtliche FIA-Rennen in Amerika auszusetzen, sollte ein Nicht-WM-Lauf oder ein Rennen auf einer veränderten Strecke stattfinden. "Also genau die gleiche Taktik, welche er auch schon in Australien angewendet hatte", erinnert sich Stoddart zurück.

"Damit war klar: Mosley hatte den Promoter des US GP unterworfen, Bernie Ecclestone war machtlos einzugreifen und alle Versuche der Teamchefs, mit der Ausnahme von Jean Todt, den US GP zu retten waren gescheitert."

Mittlerweile war die Boxengasse geöffnet worden, in welcher hastige Diskussionen darüber stattfanden, ob die Michelin-Teams teilnehmen sollten oder nicht. "Interessanterweise war der Jordan-Teamchef zu diesem Zeitpunkt nicht anwesend und fuhren die Jordan, gefolgt von Ferrari, als erste auf die Strecke."

Nach einer weiteren Unterredung mit Bernie fuhren dann auch die Michelin-Autos in den Grid, wo weitere Gespräche stattfanden und Stoddart mit Colin Kolles von Jordan sprach, ob dieser vor habe am Rennen teilzunehmen. "Auf unmissverständliche Art und Weise machte er mir klar, dass Jordan antreten würde. Zudem erklärte mir ein Bridgestone-Vertreter, dass sie auch uns gerne fahren sehen würden. Dies konfrontierte mich mit einer der schwierigsten Entscheidungen, die ich jemals in meiner Zeit in der F1 treffen musste. Da ich nicht fahren wollte, aber angesichts meiner aktuellen Beziehung zu Mr Mosley fühlte ich, dass mir weitere Sanktionen bevorstehen würden, wenn wir nicht fahren sollten. Ich erklärte Bernie und den Teamchefs, dass wenn die Jordan ausscheiden würden, ich meine Autos sofort vom Rennen zurückziehen würde."

Stoddarts Fazit

"Es ist also wichtig für die Leute zu wissen, dass Minardi, die sieben Michelin-Teams, Bernie Ecclestone und die Veranstalter nicht mit Mr Mosleys Taktiken übereinstimmten", kommt Stoddart in seinem langen Schreiben langsam zum Ende. "Deshalb steht für mich zweifelsohne fest, dass die Farce, welche sich am Sonntag, den 19. Juni 2005 in Indianapolis abspielte die Schuld von FIA-Präsident Max Mosley im Zusammenspiel mit der fehlenden Unterstützung von Jean Todt ist."

"Mosley lehnte alle vorgeschlagenen Lösungen ab und diese Ablehnung war meiner Meinung nach politisch motiviert. Deswegen kam er seinen Pflichten nicht nach und deshalb habe ich seinen Rücktritt verlangt."