Über Jahre wünschte ich mir, einmal - nur einmal!!! - das Tyrrell-Werk in England besichtigen zu dürfen. Einmal einen Blick in Ken Tyrrells alte Holzhütte zu werfen, wo 1960 alles begann... Nur wie??? Wie kommt man an ein Formel 1-Team heran??? Auf die einfachste Antwort bin ich zuletzt gekommen: Einfach fragen!

Irgendwann im Oktober 1993 schnappte ich mir meinen Laptop und formulierte in übelstem Realschulenglisch ein Fax an Tyrrell (noch heute wundert mich, dass überhaupt jemand dort kapiert hat, was ich eigentlich wollte...). Darin faselte ich etwas von leidenschaftlichem Tyrrell Fan, von einem beruflichen Aufenthalt in England im Dezember und ob es denn nicht vielleicht möglich wäre... nur für ein paar Minuten... Ich druckte das Dokument aus, steckte es in die Faxmaschine und rannte aus dem Zimmer...

Nach vier Stunden kam die Antwort aus Ockham., Foto: Sutton
Nach vier Stunden kam die Antwort aus Ockham., Foto: Sutton

Es dauerte genau 4 Stunden, dann ratterte das Fax wieder und ganz langsam schob sich ein Tyrrell-Logo aus dem Gerät. Unglaublich - die antworten mir sogar!!! Und was ich dann zu lesen bekam, das verschlug mir den Atem: Ich sei herzlich zu einer Führung durch die Tyrrell-Fabrik eingeladen und zur Absprache des genauen Termins und weiterer Details sollte ich mich bitte mit Mrs. X von der Marketing-Abteilung in Verbindung setzen. Waaaaaahnsinn!! Später erklärte man mir, dass eigentlich nur selten Besuche in der Fabrik möglich sind, und wenn, dann organisierte Führungen in Gruppen. Bei meiner Anfrage war man beeindruckt, dass sie 1.) aus Deutschland kam und 2.) nach der damals schlechtesten Saison in der Geschichte des Teams (Letzter / keine Punkte). Man entschied sich, den verrückten Deutschen einzuladen - vielleicht war's auch Mitleid... Um's kurz zu machen: Ruck-zuck war der Termin festgelegt, eine Städterreise nach London gebucht und ein Bekannter als Begleitung überredet.

Am 21.12.1993 war's dann soweit: Nach 4 Tagen Sightseeing in London fuhren wir mit dem Zug von London Waterloo nach East Horsley, etwa 40 Kilometer südwestlich von London. Dort holte uns am verschlafenen Provinzbahnhof ein gewisser Richard Impett ab, der sich als Tyrrells Production Manager vorstellte und uns durch die Fabrik führen sollte (heute gehört Richard zu meinem engsten Freundeskreis). In den folgenden knapp 2 Stunden kam ich aus dem Staunen nicht mehr heraus: Richard führte uns durch die gesamte Fabrik, zeigte jede Abteilung erklärte genau, was dort wie gefertigt wird. Wir begannen in der Abteilung Design, wo alles mit einem Stück weißen Papier beginnt, kämpften uns ca. 1 Stunde durch das gesamte Gebäude und hinter der letzten Tür standen dann in 4 Boxen die aktuellen Tyrrell-Rennwagen (Mike Coughlans enttäuschender 021 - heute ist er für den aktuellen Arrows verantwortlich...), welche gerade für Testfahrten verladen wurden und vor den Garagen arbeiteten einige Mechaniker.

Ein Blick hinter die Kulissen der Tyrrell Fabrik., Foto: Sutton
Ein Blick hinter die Kulissen der Tyrrell Fabrik., Foto: Sutton

Nach knapp 2 Stunden war der ganze Zauber dann zu Ende und Richard fuhr uns zum Bahnhof zurück. Auf der Fahrt dorthin zeigte ich so nebenbei noch meine ganzen Aufzeichnungen, Statistiken und Fotos meiner Sammlung zu Hause (hatte ich alles ganz zufällig dabei...). Richard war (wie er mir Jahre später sagte) überwältigt, dass sich jemand im Jahre 1993 noch in diesem Maße für Tyrrell interessiert und sagte mir zu, mich ab sofort mit allen wichtigen Pressemitteilungen und News von Tyrrell zu versorgen. Tatsächlich: Schon ein paar Tage später ratterte die erste Pressemitteilung aus meinem Faxgerät und eine wunderbare Zeit begann. Das letzte Fax erhielt ich dann am Abend als die Tyrrell-Fabrik geschlossen wurde...

Während des Jahre 1994 war der Kontakt zu Production Manager Richard Impett und einer Kollegin von Tyrrells Marketingabteilung nie abgerissen und meiner Anfrage zu einem zweiten Besuch in Ockham wurde sofort zugestimmt. Wieder ging es kurz vor Weihnachten nach England und der Besuch sollte den vom Vorjahr noch in den Schatten stellen. Der Knaller gleich nach unserem Eintreffen: Schon im Eingangsbereich wurde ich Ken Tyrrell und Dr. Harvey Postlethwaite vorgestellt. Kurzes Händeschütteln und belangloser Smalltalk, mehr nicht - aber das war schon einer der ganz großen Momente... Leider gibt es von dieser Begegnung keine Fotos :( Nach der obligatorischen Werksbesichtigung ging es zum Mittagessen zu einem Pub ganz in der Nähe, dem "Barley Mow", wo sich öfters irgendwelche Persönlichkeiten der britischen Formel 1-Szene zu Bierchen treffen (leider aber nicht an diesem Tage...). Und zum Abschied am Abend erhielt ich doch tatsächlich ein original Lenkrad aus Mark Blundells Rennwagen und diverse andere Souvenirs überreicht. Wir verabredeten, weiterhin in Kontakt zu bleiben und kurz bevor ich wieder in Richtung London abreiste, lud ich Richard Impett zu einem Gegenbesuch in Deutschland ein.