Da waren es nur noch 15 Punkte. Während die Motorsportwelt über Lewis Hamiltons derzeitige Probleme diskutiert, mausert sich Valtteri Bottas klammheimlich zum Anwärter auf die Weltmeisterschaft. Nach seinem Sieg beim Österreich Grand Prix hat der Finne nur noch 15 Punkte Rückstand auf Mercedes-Teamkollege Hamilton. WM-Spitzenreiter Sebastian Vettel hat nach dem neunten Rennen der Formel-1-Saison 2017 noch 35 Zähler Vorsprung auf Bottas.

Bottas fuhr in den letzten drei Rennen zwei zweite Plätze sowie einen Sieg ein. Das vermeintliche Favoriten-Duo Vettel und Hamilton verpasste zuletzt je zweimal das Podest. Plötzlich Titelanwärter - kann Silberpfeil-Neuzugang Bottas wirklich der kaum vorstellbare Coup gelingen?

Hamilton: Bottas war immer mittendrin

"Ich würde sagen, dass er bis jetzt eine bessere Saison hatte", glaubte Hamilton und dachte dabei wohl an seine jüngsten Schwierigkeiten in Baku und Spielberg. "Aber es gab nie einen Zeitpunkt, zu dem er nicht im Titel-Fight war. Vielleicht habt ihr das gedacht, aber er war immer dabei."

Das sahen allerdings nicht alle so. Zeitweise hatte es eher danach ausgesehen, dass Bottas die klare Rolle des Nummer-2-Fahrers bei Mercedes einnehmen würde, der Platzhirsch Hamilton im WM-Kampf gegen Vettel unterstützt. Vor allem nach dem Grand Prix in Spanien, wo Bottas wegen eines technischen Defekts die Zielflagge nicht sah. Nach diesem fünften Rennen betrug Bottas' Rückstand auf Vettel 41 Punkte, zudem lag er 35 Zähler hinter Hamilton.

Zahlen, die nicht darauf hindeuteten, dass der frühere Williams-Pilot wirklich ein Wörtchen um die Weltmeisterschaft mitreden würde. Vier Rennen später sieht die Angelegenheit anders aus, auch wenn Bottas abwiegelt: "Ich denke überhaupt nicht darüber nach, weil man bei jedem Rennen das beste Ergebnis abliefern muss."

Ziel bleibt WM-Titel

Bottas bleibt weiter defensiv in seiner Haltung - kein Wunder bei noch elf ausstehenden Rennen. Nach dem Triumph in der Steiermark machte er allerdings deutlich, dass die Weltmeisterschaft bei ihm weiter ein Thema bleibt. "Mein Ziel war es immer", bekräftigte er. "Wenn du bei Mercedes unterschreibst, kannst du kein anderes Ziel haben." Worte, die man so von Bottas bereits vor dem ersten Rennen der Saison zu hören bekam.

Ein Dreier-Duell um den WM-Titel wäre förderlich für den Spannungsgehalt der Formel 1. Gleichzeitig könnte der erstarkte Bottas aber für Spannungen innerhalb des Teams sorgen. Noch loben sich er und Hamilton gegenseitig über den grünen Klee. Was aber, wenn plötzlich Bottas seinen Teamkameraden in der Gesamtwertung überholt? Wie intensiv ein Duell werden kann, konnte man in Baku zwischen Hamilton und Vettel sehen...

Valtteri Bottas tritt aus dem Schatten des WM-Zweierduells heraus, Foto: Ferrari
Valtteri Bottas tritt aus dem Schatten des WM-Zweierduells heraus, Foto: Ferrari

Alte Werte - neue Dynamik

Seitens Mercedes bleibt die Marschroute die gleiche wie zu Rosberg-Zeiten: Das Team lässt seine beiden Piloten frei gegeneinander fahren, solange es eine theoretische Chance auf den Titelsieg gibt. "Wir machen es wie in der Vergangenheit", versicherte Motorsportchef Toto Wolff. "Mit dem Unterschied, dass die Dynamik zwischen den Fahrern völlig anders ist."

Doch 'Bottas' und 'Titelkampf' waren zwei Worte, die Wolff bislang nur selten innerhalb eines Satzes genannt hatte. Der Fokus lag stets auf dem potenziell epischen Hamilton/Vettel-Schlagabtausch. Vor dem nächsten Rennen in Silverstone könnte sich diese Haltung ändern. Trotz Bottas' jüngsten Erfolgen war Wolff gleichzeitig darauf bedacht, Hamiltons Pech mehrfacht zu erwähnen.

Im Zweifel auf Hamilton setzen

Im Zweifel würde Mercedes seine Karten wohl doch auf den erfahrenen Hamilton setzen. Vor allem angesichts des Duells auf Augenhöhe mit Ferrari. "Für Lewis war es das Beste, dass Valtteri statt Sebastian das Rennen gewonnen hat", sagte der Silberpfeil-Chef am Sonntagabend im Fahrerlager von Spielberg. "Aber wir sind noch nicht mal in der Halbzeit der Saison und zählen schon die Punkte... Meiner Meinung nach hatte Lewis all das Pech, das man nur haben kann. Es ist jetzt an der Zeit, zurückzuschlagen."

Da kommt Hamiltons Heimrennen am kommenden Wochenende gerade recht. In Silverstone schlug er schon 2016 nach seinem schlechten Saisonstart und der vorangegangenen Österreich-Kollision mit Rosberg zurück und feierte in dieser Periode vier Siege in Folge.

Vettel freut sich

Vettel wird die derzeitige Team-Dynamik bei Mercedes mit großem Interesse verfolgen. Während sich zwischen Hamilton und Bottas ein Kopf-an-Kopf-Rennen entwickelt, ist er selbst die unangefochtene Nummer 1 bei Ferrari. Er kann davon profitieren, wenn sich die beiden Silberpfeile gegenseitig die Punkte wegnehmen - an der Spitze könnte ihm gleichzeitig die Unterstützung durch Kimi Räikkönen fehlen, der sich kaum noch in den WM-Kampf wird einschalten können.

Vettel habe Bottas schon länger als WM-Gegner im Blick gehabt: "Ich denke nicht, dass das erst seit heute der Fall ist. Valtteri hat bereits in anderen Rennen bewiesen, dass er schnell ist. Aber er war auch oft nicht sehr glücklich. Aber je mehr es vorne sind, desto besser. Umso mehr Spaß macht es uns auch."