Auf den ersten Blick war das Bild, das sich am Freitag in Abu Dhabi bot, ein gewohntes, einmal mehr behauptete Mercedes die Doppelspitze - Lewis Hamilton klassierte sich in beiden Trainingssitzungen vor Nico Rosberg. Doch sieht man genauer hin, scheint Mercedes alles andere als der haushohe Favorit zu sein, denn bei der Rennsimulation präsentierte sich Red Bull bärenstark.

Das nährt Hamiltons Hoffnung, doch noch Weltmeister zu werden, schließlich benötigt der Brite am Sonntag mindestens zwei Autos zwischen sich und Rosberg, um das Defizit von zwölf Punkten wettzumachen. Motorsport-Magazin.com liefert die Longrun-Analyse zu Saisonfinale in der Wüste.

Verstappen fliegt auf Ultrasoft

Pirelli stellt den Teams auf dem Yas Marina Circuit die drei weichsten im Sortiment befindlichen Reifenmischungen zur Verfügung. Die erste Serie der Longruns erfolgte im zweiten Training durchgehend auf den ultraweichen Pneus, von den Spitzenteams liegt lediglich von den Ferrari-Piloten mit dieser Mischung kein ernsthafter Stint vor.

Max Verstappen will wieder angreifen, Foto: Sutton
Max Verstappen will wieder angreifen, Foto: Sutton

Die mit Abstand beste durchschnittliche Rundenzeit verbuchte Red-Bull-Pilot Max Verstappen mit 1:45.697 Minuten, gefolgt von seinem Teamkollegen Daniel Ricciardo, der 1:46.249 Minuten anschrieb. Erst dann kamen auf Augenhöhe die Mercedes-Piloten mit Zeiten von 1:47.019 (Rosberg) beziehungsweise 1:47.086 (Hamilton).

Red Bull im Longrun also rund 1,3 Sekunden schneller als Mercedes? Nein, so eindeutig zugunsten der Bullen ist das Kräfteverhältnis dann doch nicht. Verstappen absolvierte auf den ultraweichen Reifen gerade einmal drei Runden, wohingegen Hamilton und Rosberg jeweils acht abspulten. Durch den relativ starken Reifenabbau stiegen die Rundenzeiten der Silberpfeile somit sukzessive an. "Bei der Vorbereitung auf das Rennen müssen wir vor allem das Graining an den Vorderreifen in den Griff bekommen", mahnte Rosberg.

Hamilton auf Soft vorn

Etwas anders stellte sich das Kräfteverhältnis auf den Soft-Reifen dar, hier hatte Hamilton in 1:45.628 Minuten die Nase vorne. Knapp dahinter reihte sich Verstappen ein (1:45.896), gefolgt von Ricciardo (1:46.007) sowie Rosberg (1:46.048). Dass die Zeiten auf den Soft-Reifen schneller waren als jene auf den Ultrasoft-Pneus, war vermutlich dem Umstand geschuldet, dass die Teams mit den Ultrasofts den Startstint simulierten und dementsprechend schwerer betankt waren. Neben den Supersofts, die nur von Räikkönen erprobt wurden, dürften die Softs wegen des geringeren Verschleißes die erste Wahl im Rennen darstellen.

"Das Auto fühlt sich großartig an und es steckt noch etwas Zeit drin", zeigt sich Hamilton mit seinem Arbeitsgerät bislang jedenfalls zufrieden und wird auch nicht ganz unglücklich darüber sein, dass es Red Bull offenbar mit Mercedes aufnehmen kann. Gelingt es Verstappen und Ricciardo, Rosberg in Zweikämpfe zu verwickeln, aus denen der Deutsche im Idealfall als Verlierer hervorgeht, während Hamilton wie zuletzt drei Mal von der Pole Position zum Sieg fährt, lebt der Traum vom dritten Titel in Serie.

Im Lager von Red Bull war man mit der freitäglichen Ausbeute ebenfalls zufrieden. Zwar ist man sich im Klaren, dass gegen Mercedes im Qualifying kein Kraut gewachsen sein wird, für das Rennen werden die Karten aber neu gemischt. Vor allem in den kurvenreichen Sektoren eins und drei ist der RB12 stark, während er aufgrund des Power-Nachteils im Mittelsektor mit seinen beiden langen Gerade gegenüber der Konkurrenz Zeit verliert. "Wie es heute aussieht, können wir sie am Sonntag herausfordern - das ist schön", freut sich Ricciardo auf ein Duell mit Mercedes.

Longruns in Abu Dhabi:

Fahrer Stint-Länge Reifen-Alter Schnitt
Ultrasoft
Verstappen 3 8 1:45.697
Ricciardo 6 11 1:46.249
Rosberg 8 12 1:47.019
Hamilton 8 12 1:47.086
Soft
Hamilton 9 18 1:45.628
Verstappen 5 12 1:45.896
Ricciardo 10 19 1:46.007
Rosberg 12 21 1:46.048
Vettel 15 21 1:47.108

Ferrari überzeugt über eine Runde

Als zweite Kraft im Qualifying-Trimm präsentierte sich am Freitag Ferrari. Sebastian Vettel belegte im zweiten Training den dritten Platz und wies lediglich 0,269 Sekunden Rückstand auf die Spitze auf. "Das war ein sehr guter Freitag für uns", konstatierte der Heppenheimer trotz eines späten Getriebeschadens, der jedoch keine Strafe für den Grand Prix nach sich ziehen wird.

Gelingt Ferrari zum Abschluss doch noch ein Sieg?, Foto: Ferrari
Gelingt Ferrari zum Abschluss doch noch ein Sieg?, Foto: Ferrari

Im Soft-Longrun blieb Vettel mit 1:47.108 Minuten recht deutlich hinter Mercedes und Red Bull zurück, absolvierte mit 15 Runden aber auch den längsten Stint aller Spitzenpiloten. Trotz des Rückstands gab sich der Ferrari-Pilot optimistisch. "Ich war mit dem Longrun ganz zufrieden", meinte er. "Zunächst hatte ich mit den Vorderreifen ein wenig zu kämpfen, vielleicht war ich etwas zu aggressiv, aber insgesamt fühlte sich das Auto gut an und wir sollten eine gute Pace haben."

Bewahrheiten sich die Eindrücke des Freitags, deutet nicht allzu viel auf ein Mercedes-Solo hin, was der Spannung in jeglicher Hinsicht nur zuträglich sein kann. Das sieht auch Red Bulls Motorsport-Berater Dr. Helmut Marko so. "Es wird im Qualifying sicher eng mit Ferrari, aber im Renn-Trimm sieht es so aus, dass Mercedes, Ferrari und wir näher zusammenkommen werden."