Für viele ist es ein Traum, einen Formel-1-Boliden fahren zu dürfen. Für 99 Prozent bleibt dieser Traum unerfüllt. Selbst ehemalige Rennfahrer haben kaum die Gelegenheit, die neueste Generation der Boliden auf einer realen Strecke zu testen. Motorsport-Magazin.com-Experte Christian Danner bekam vor ein paar Wochen aber die Chance, den Mercedes aus dem Vorjahr pilotieren zu dürfen. Einsatzort: Hockenheimring. Im Interview schildert Danner sein Erlebnis.

Wie kommt man dazu, ein aktuelles Formel-1-Weltmeister-Auto fahren zu dürfen?
Christian Danner: Man muss nachfragen, ob man es denn endlich mal fahren darf [lacht]. Dann muss man sich beschweren, dass der Kollege Brundle das schon gefahren ist und dann muss man auch dafür sorgen, dass es im richtigen Zusammenhang steht, das heißt, dass es sinnvoll ist, weil es so exorbitant euer ist. Also es ist schon etwas Besonderes.

Intensive Vorbereitung im Simulator

Wie haben Sie sich auf diese Fahrt vorbereitet? Wir wissen, heute ist es nicht mehr damit getan, in ein Auto reinzuhüpfen?
Christian Danner: Also wenn ich mir überlege, wie ich vorbereitet wurde, bevor ich mein erstes Formel-1-Auto fuhr und wie ich jetzt vorbereitet wurde - das ist unglaublich. Als ich meinen allerersten Formel-1-Test gefahren bin - das war 1983 in Paul Ricard mit dem Brabham vom Piquet -, da hieß es: 'Hier ist das Auto und steig ein. Raus, fahr los!' Und jetzt war natürlich erstmal Simulator. Du musst ja über die ganzen Knöpfe ein bisschen aufgeklärt werden: Was darf ich drücken, was darf ich nicht drücken, was ist richtig, was ist falsch. Und dann auch ein bisschen Sicherheitsthemen, und da bist du mit dem Simulator schon relativ gut beschäftigt. Und dann bist du auch mit dem richtigen Auto, mit dem Sitz, eine Zeit lang beschäftigt. Wobei das mit dem Sitz für mich immer ein Thema war, weil ich immer schon so groß war, wie ich jetzt immer noch bin.

Christian Danner im Cockpit des Silberpfeils, Foto: Mercedes
Christian Danner im Cockpit des Silberpfeils, Foto: Mercedes

Was kann man da an einem solchen Auto ändern? Wo sind die Problemzonen? Die Schultern?
Christian Danner: Nein, die Seite und die Schultern sind nicht das Problem. Das Problem ist, dass du die Pedale nicht weiter nach vorne stellen kannst. Man könnte das schon, weil genug Platz wäre, aber das verlangt aufgrund des elektronischen Bremspedals und des elektronischen Gaspedals eine komplette Rekalibrierung. Und das ist ein Riesenaufwand. Und das Lenkrad müsste höher sein, das geht aber nicht, weil es nicht dafür vorgesehen ist. Das heißt also, ich konnte nur mit dem Hintern nach hinten, und damit kommt der Kopf nach oben, denn das kritische Thema ist der Oberschenkel.

Wenn du mit dem Lenkrad am Oberschenkel hängen bleibst, kannst du nicht lenken. Das Normale ist, die Lenkung höher zu stellen, das geht nicht. Das Zweitbeste ist die Lenkung weiter nach vorne, da kommt der Oberschenkel weiter runter, und das Drittbeste ist den Hintern weiter nach hinten zu setzen, aber das heißt auch, dass die Schulter wieder höher ist, und die ist dann limitiert am Headrest. So ging es dann schon irgendwie.

So einen Simulator von einem Spitzenteam fährt man ja auch nicht jeden Tag...
Christian Danner: Die Eindrücke, die man da hat, sind unglaublich toll, weil man es immer vergleicht mit dem, was man schon kennt. Das Ding ist einfach unglaublich komfortabel. Die Bedienung ist unglaublich komfortabel. Man kann losfahren und schalten und bremsen, und es funktioniert alles. Das Auto hat so eine stabile Aerodynamik: Es ist ein und dasselbe Auto vom Anfang bis zum Ende der Kurve, so etwas hat man natürlich selten erlebt. Das ist sehr kommod, sehr bequem, sehr angenehm. Auch wie die Beine am Monocoque anliegen... so bequem habe ich noch nie im Auto gesessen.

Auf der anderen Seite: Wenn du fährst, ist es wie immer. Es lenkt und beschleunigt und du spürst das Auto wie jedes andere Rennauto oder jedes andere Formel-1-Auto auch. Also es ist jetzt nicht so, dass das Ding ganz anders wäre. Es ist nur kultivierter und viel besser entwickelt als alles, was ich bis jetzt gefahren bin.

Aktuelle Boliden verleihen Fahrspaß

Danner gefiel vor allem die neue Power Unit, Foto: Mercedes
Danner gefiel vor allem die neue Power Unit, Foto: Mercedes

Was war beim Fahren auf der Strecke das herausstechende Merkmal? Die Beschleunigung der aktuellen Boliden?
Christian Danner: Es ist wie immer die Summe, aber sagen wir mal so: Das Erste, was herausragend war, war die Tatsache festzustellen: Erstens, ich kann das noch ganz gut und es ist auch nicht anders als es immer war. Ich habe vier Aufstandsflächen und die fangen irgendwann an zu rutschen. Das ist schon Mal geil. Das Zweite ist die Bedienung des Autos. Das Herausragende ist, dass alles, was du vom Auto willst - Bremsen, Lenken, Gas geben, Schalten - in einer so harmonischen Art und Weise passiert. Das macht irrsinnig Spaß.

Und das vielleicht Schönste ist der Motor, weil du ja die Komplexität nicht spürst. Du gibst einfach Gas und dann kommt was, und zwar viel, sehr viel. Und das macht irrsinnig Spaß. So einen sanften Motor, der so seidenweich zu fahren ist und trotzdem so unheimlich viel Dampf an der Kette hat, bin ich noch nie gefahren. Ich bin Motoren gefahren mit mehr Leistung, ja. Die 1,5-Liter Turbos hatten mehr Leistung, aber in einem ganz schmalen Drehzahlbereich. Und der einzige Motor, den man so ein bisschen vergleichen kann - vom Ergebnis her, konstruktiv ist es etwas komplett anderes - war der Cosworth-IndyCar-Motor Ende der 90er Jahre. Der hatte ungefähr dieselbe Leistung, und auch ein sehr breites Drehzahlband. Aber das Ding ist einfach nur ein Traum, da willst du nicht mehr aussteigen. Da kommst du richtig in den Rhythmus.

Wenn wir über das Rutschen sprechen: Dazu muss man ja schon ein bisschen schneller fahren...
Christian Danner: Ein Rennauto ist gebaut, um schnell zu fahren und nicht langsam. Deswegen habe ich schon versucht, schnell zu fahren, logisch. Aber das Risiko, so ein Auto irgendwo rauszuwerfen, weil du es nicht kennst oder weil du nur ganz wenig Zeit zur Verfügung hast, das ist natürlich da. Und diese Blöße wollte ich mir nicht geben. Also ich habe schon ordentlich Sicherheitsabstand eingebaut.

Das war ja nicht das erste moderne Formel-1-Auto, das Sie fahren durften. Ende des letzten Jahrzehnts durften Sie schon in einem Renault Platz nehmen. Wie fällt dieser Vergleich aus?
Christian Danner: Die Entwicklung ist irre. Mein Arrows A8, Alonsos Renault, und jetzt den Mercedes, wenn ich das so vergleiche, über einen Zeitraum von genau 30 Jahren, dann stellst du fest: Das unfahrbarste Auto war das älteste. Dann das bereits schön zu fahrende Auto war der Renault, allerdings hatte der einen Motor... Die 2,4-Liter Achtzylinder waren Luftpumpen, die hatten keine Leistung und vor allem kein Drehmoment. Das aktuelle Auto ist noch schöner zu fahren, als der Renault - denn der Renault war auf Rillenreifen - und der Mercedes hat zudem einen Motor, der einfach das geilste ist, was es gibt. Das Ding hat fast 1.000 PS und eine sensationelle Fahrbarkeit. Da geht es echt vorwärts. Das ist nicht wie bei den Achtzylindern, die nur gekreischt haben, und nix kam.

Autos sind nicht einfacher zu fahren, sondern anders

Die neuen F1-Autos sind kein Vergleich zu früher für Danner, Foto: Mercedes
Die neuen F1-Autos sind kein Vergleich zu früher für Danner, Foto: Mercedes

Wenn man jetzt sagt, die aktuellen Autos sind so wunderschön zu fahren, dann gibt es wieder Leute, die sagen, es ist zu einfach, die Autos zu fahren. Ist es einfacher, oder nur angenehmer?
Danner: In der Bedienung wesentlich einfacher. Bedienung heißt Lenken, Bremsen, Gas geben, Schalten, Kuppeln usw., das ist wesentlich einfacher. Beim Fahren ist der Unterschied, dass es nicht ein Auto ist, das den Abtrieb in der Kurve viermal verändert. Oder beim Bremsen der Abtrieb auf einmal nach vorne geht oder beim Beschleunigen nach vorne oder was weiß ich. Es ist alles stabil. So gesehen ist es leichter, Vertrauen ins Auto zu kriegen. Das Ding schnell zu fahren ist immer noch genau so schwer, wie es immer war. Da gibt es keinen Unterschied. Auch wenn ein Auto von der Basis her viel besser ist, kommst du immer an den Punkt, wo es anfängt zu rutschen, wo es anfängt, schwierig zu werden, wo es anfängt die Zehntel wegzufeilen. Und das ist heute genau so schwierig wie früher, nur teilweise unter anderen Parametern.

Früher war es zum Beispiel sehr wichtig, dass man das Herunterschalten konnte, ohne dass die Hinterachse stehen geblieben ist. In die Kurve hineinfahren, zweimal runterschalten und dann einlenken. Das waren andere Parameter als heute. Heute machst du einfach patsch, patsch am linken Paddel, und das Ding schaltet runter und das Auto bleibt stabil. Das ist aber nicht einfacher, weil es dafür auch ein Limit gibt. Es sind nur andere Parameter. Die Autos sind sauschnell, schneller als die Leute immer glauben.

Natürlich hätte jeder Rennfahrer gerne noch ein bisschen mehr Leistung, noch ein bisschen mehr Abtrieb, das verstehe ich ja. Ich bin ja aus dem selben Holz geschnitzt. Und am Ende meines Runs dachte ich mir auch so, man könnte ja mal eine andere Engine-Strat ausprobieren oder so [lacht]. Das ist normal. Nur es ist nicht so, dass du sagst, es ist jetzt leichter als früher. Der Anfang, wo es auf die Bedienung ankommt, ist sicherlich einfacher. Aber wenn es um das richtige Schnellfahren geht, ist es genau so schwierig wie immer.

Es ist nur aufgrund der Datenflut komplizierter. So mit ein bisschen oder ungefähr, was früher gereicht hat, geht es heute nicht mehr. Das heißt, in bestimmten Bereichen ist es auch wieder schwieriger geworden. Und damit meine ich nicht, den richtigen Knopf zu drücken. Das ist eine ganz andere Baustelle. Zu analysieren, wo kann ich noch ein Zehntel gewinnen, ist heute möglich. Das war früher gar nicht möglich. Da bist du so schnell gefahren, wie es ging und fertig.

Meine Überschrift ist: Man kann das Rad der Zeit nicht zurückgehen. Man kann nicht erfundene Dinge unerfunden machen. Du kannst nicht sagen, weil heute die Windkanäle und das CFD so gut sind, hätte ich gerne ein Auto, das schlecht ist. Sorry, das geht nicht. Du kannst nicht Dinge, die sich in der technischen Weiterentwicklung etabliert haben, abschaffen und so tun, als hätte das Auto gar keinen stabilen Abtrieb.

Die guten Fahrer setzen sich nach wie vor durch

Christian Danner kennt die Formel-1-Autos noch aus seiner aktiven Zeit, Foto: Sutton
Christian Danner kennt die Formel-1-Autos noch aus seiner aktiven Zeit, Foto: Sutton

Wenn man das mal auf ein Praxisbeispiel überträgt: Viele Fahrer, die man zum ersten Mal in einem Formel-1-Auto sieht, schlagen sich gar nicht so schlecht.
Christian Danner: Genau das ist es.

Aber wenn ich ein sauschneller Fahrer sein will, brauche ich noch genau dasselbe wie früher?
Christian Danner: Damals wie heute - die Guten erkennt man schon irgendwann. Aber der Zeitraum, um an das Limit von einem Auto zu kommen, um ordentlich schnell zu sein, hat früher bei dem Arrows A8 fast ein Jahr gedauert. Das Ding war bestialisch. Bist du das kapiert hast, wie du die Qualifyer auf Temperatur bringst, wie du die ganzen Fuel Readings richtig kapiert hast, bis du mit deiner Lenkung und deiner Sitzposition so klar kamst, dass du ohne Servolenkung das Ding überhaupt gehalten hast, und wusstest, das kann ich machen, das kann ich nicht machen, hat es meist ein Jahr gedauert. Denn es gab so viel Unvorhersehbares, auf das man eingestellt sein musste.

Hat sich durch die Fahrt irgendwas beim Blickwinkel auf die aktuelle Formel 1 verändert?
Christian Danner: Ich habe vor jedem Formel-1-Fahrer Respekt, weil es für mich eine Kunst ist, ein Grand-Prix-Auto im Wettbewerb zu fahren. Ich habe das nie als "Dann sollen sie schauen wie sie weiterkommen" bezeichnet, sondern ich habe da einen sehr hohen Berufsethos, den ich auch auf mich selbst immer angewandt habe. Für mich war es immer ein Privileg und etwas ganz besonders, ein Formel-1-Auto fahren zu dürfen und fahren zu können. Fahren dürfen ist das erste, fahren können ist das zweite. Wenn du dann auch noch Erfolg hast, einen Punkt holst oder so etwas, dann kommt auch noch das Ergebnis dazu. Und das hat sich in meiner Einstellung gegenüber allen Fahrern heute nicht verändert.

Meine Sichtweise als Kommentator hat sich in vielen Details natürlich schon verändert, weil wenn man ein richtiges Gefühl hat, wie so ein Ding beschleunigt, wie es verzögert, und wieder das Gefühl in den Händen und im Popo hat. Damit kann man Fahrszenen besser kommentieren, und diese ganzen Bediensysteme sowieso.

Ich hatte noch nie einen Start mit zwei Lenkrad-Pedalen gemacht. Jetzt habe ich einen gemacht und weiß, wie einfach das ist und jetzt weiß ich auch, dass damals wirklich nichts schiefgehen konnte. Dass es jetzt schwieriger ist, ist gut. Ich bin mit der Handkupplung so und so oft aus der Box gefahren und weiß, wie das Gefühl ist. Und das kann man dem Zuschauer dann auch viel besser rüberbringen. Ich kenne jetzt das elektronische Bremspedal. Du hast einfach ganz viel Gefühl auf dem Bremspedal. Ich wusste auch nicht, wie viel Response der Motor hat. Wenn du da draufdrückst, das ist wie ein 12-Liter Zwölfzylinder Saugmotor. So ungefähr fährt sich das. Sagenhaft.

Foto: Mercedes
Foto: Mercedes

Also das, was man mit dem Fuß macht...
Christian Danner: ...das kommt an. Ob da jetzt ein Elektromotor, zwei, Turbo, rauf, runter - keine Ahnung, du spürst nichts. Und das sind schon Dinge, die man in bestimmte Situationen besser beschreiben kann. Da ist mein Verständnis deutlich besser geworden, weil ich das vorher zwar wusste, aber noch nicht erfahren habe. Ich wusste, wie man startet. Ich spreche ja mit den Fahrern. Ich weiß ja von den Ingenieuren, was zu tun ist. Aber es ist etwas, das ich jetzt selbst gemacht habe. Und wenn man es selbst macht, ist es anders gelernt, als wenn man es weiß. Es ist halt noch eine Stufe mehr. Eine wichtige Stufe, da bin ich sehr, sehr froh.

Wann kommt das Comeback?
Christian Danner: Danke, nein (lacht). Ich fahr mit dem Ding wahnsinnig gerne, aber lass Mal gut sein. Ich bin fast 60 Jahre alt und da kann man auch stolz genug drauf sein, dass man noch so fit ist, um mit so einem Ding problemlos fahren zu können. Ich hatte überhaupt keine Probleme, weder Fitness, noch Nacken noch sonst irgendwas.

Dazu muss man aber sagen: Christian Danner ist unheimlich fit. Nicht, dass das jemand falsch versteht...
Christian Danner: Ich bin stolz drauf, dass ich mich körperlich und geistig bis in mein jetziges Lebensalter so fit halten konnte und dass ich auch die Disziplin hatte, immer schön brav Sport zu machen und auch die geistige Fitness zu haben, die du brauchst, um so ein Auto zu fahren. Die Dinge passieren so schnell in so einem Rennauto. Die Hirngeschwindigkeit sollte mitkommen mit dem, was da passiert. Ich bin da gut über 300 gefahren auf der Geraden, und da wirfst du bei 200 Metern mal den Anker und sagst, 180 würden auch gehen. Beim nächsten Mal bremst du bei 190 Metern und sagst: 'Du Idiot! 180!' Und dann sagst du: 'Halt, halt, Christian, lass gut sein. Du fährst hier kein Rennen.'