Zwar ist die Start-Vollautomatik seit der Saison 2003 bereits verboten, doch von den Zeiten, als das Zusammenspiel zwischen Gas und Kupplung über den Erfolg eines Start entschieden hat, ist die Formel 1 so weit entfernt wie der Mercedes W06 Hybrid vom W196 von 1955. Auch nach dem Verbot der Startautomatik war der Fahrer mehr eine Marionette als ein Akteur. Der Automobil-Weltverband FIA versucht nun, den Einfluss des Fahrers wieder zu vergrößern. Auf dem Papier wird nur die Kommunikation zwischen Fahrer und Ingenieur massiv eingeschränkt - am Funk muss nun vor dem Rennen Stille herrschen.

Was sich ändert

Vettels Renningenieur Riccardo Adami muss in der Einführungsrunde nun den Mund halten, Foto: Sutton
Vettels Renningenieur Riccardo Adami muss in der Einführungsrunde nun den Mund halten, Foto: Sutton

Prinzipiell ist es nur eine einzige Änderung, die aber einige Folgen hat: Der Ingenieur darf keine Informationen mehr per Funk über die Kupplung geben. Das bedeutet, dass der Fahrer selbst herausfinden muss, wo der optimale Schleifpunkt ist. Und er muss sich selbst vergewissern, welche Temperatur die Kupplung hat. "Mein Ingenieur hat schon gesagt, dass er vor dem Rennen die Füße auf den Tisch legt, sich eine Zigarette anzündet, sich einen Kaffee holt und zuschaut", scherzte Nico Rosberg bereits in Ungarn gegenüber Motorsport-Magazin.com. Konkrete Auswirkungen sind:

  • In der Recon Lap auf dem Weg in die Startaufstellung fällt ein ausgedehnter Dialog zwischen Fahrer und Ingenieur weg, im Zuge dessen der optimale Schleifpunkt bislang vorbestimmt wurde.
  • In der Einführungsrunde kann der Fahrer nicht mehr mit dem Ingenieur gemeinsam den optimalen Schleifpunkt für die Kupplung überprüfen und endgültig festlegen.
  • Auf dem Startplatz muss der Fahrer nun selbst die Kupplungstemperatur kontrollieren, weil der Ingenieur ihm diese nicht mehr durchgeben darf.
  • Am Start selbst ändert sich nichts: Der Fahrer hält nach wie vor einen Kupplungshebel am Schleifpunkt, den anderen durchgezogen. Gehen die Ampeln aus, lässt er den gezogenen Kupplungshebel fallen und justiert mit dem noch halb gezogenen den zweiten Teil der Beschleunigungsphase.

Insgesamt geht es um die beiden Hauptaspekte Schleifpunkt und Temperatur. Zuvor wurde der Schleifpunkt computergestützt vom Ingenieur bestimmt und der Fahrer musste den "Schleifpunkt-Hebel" lediglich in die vorausberechnete Position bringen. Nun muss er diese Position selber festlegen. Das Temperatur-Problem hingegen lässt sich simpel über eine Einblendung auf dem Lenkrad-Display lösen.

Einführungsrunde wird Arbeitsrunde

Die größte Änderungen für den Fahrer ist mentaler Natur: Er muss nun das gesamte Prozedere, das er zuvor mit dem Ingenieur in Recon Lap und Einführungsrunde durchgegangen ist, alleine durchführen. "Das erinnert mich an meine Schulzeit: Man muss vieles auswendig lernen, was man vor dem Start durchführen muss", lacht Romain Grosjean. Auch Nico Rosberg fürchtet die Mehrarbeit in der Einführungsrunde: "Das ist so fürchterlich viel mit all den Einstellungen und Knöpfen", stöhnte der WM-Zweite auf Nachfrage von Motorsport-Magazin.com Jenson Button hingegen will eher sein Kurzzeitgedächtnis trainieren: "Normalerweise kriegt man fünf Sekunden vorher gesagt, was man zu tun hat - jetzt sind es zehn Minuten.

Bislang folgten die Starts einem festgelegten Protokoll, das nun auswendig gelernt werden muss, Foto: Sutton
Bislang folgten die Starts einem festgelegten Protokoll, das nun auswendig gelernt werden muss, Foto: Sutton

Zählen wir auf: Der Fahrer muss jetzt in der Einführungsrunde die Reifen anwärmen, den Motor in einem gesunden Temperaturfenster halten (er darf in der Startaufstellung nicht zu heiß werden), die Bremsen auf Temperatur bringen, Startprotokolle hinsichtlich des Motormappings durchgehen (die jetzt ebenfalls auswendig gelernt werden müssen) und auch noch den Schleifpunkt für die Kupplung bestimmen. Das Glück der Fahrer: Genau jetzt beim ersten Mal steht die längste Strecke der Saison auf dem Programm - genug Zeit sollte also zur Verfügung stehen.

Effekt minimal, oder doch nicht?

Aber inwiefern wird sich das nun genau niederschlagen? Die meisten Fahrer glauben an keinen großen Effekt. "Ich denke, es bleibt dieselbe Prozedur, die wir jedes Wochenende haben", sagt Fernando Alonso. "In zwei bis drei Rennen wird es wieder so aussehen wie bisher", glaubt Sebastian Vettel. Auch Nico Hülkenberg denkt nicht, dass nicht ganz richtig eingestellte Kupplungen etwas Neues wären: "Das war schon oft der Fall. In der Formationsrunde ist es nie 100 Prozent perfekt. Danach wurde immer feingetunt und gehofft, dass es beim Rennstart 100 Prozent richtig ist." Jetzt muss eben nur der Fahrer alleine ohne Hilfe von außen justieren. Sein Teamkollege Sergio Perez geht noch weiter: "Die Starts waren in der Formel 1 schon immer ein Glücksspiel."

Auch Felipe Massa glaubt schon an eine zusätzliche Herausforderung, allerdings an keinen großen Effekt. "Wir sprechen hier über einen wirklich kleinen Unterschied", sagt er bezogen auf eine möglicherweise nicht komplett richtig eingestellte Kupplung. "Es wird auch nicht komplett die Mentalität verändern. Aber warten wir mal den Sonntag ab."

Es gibt aber auch Fahrer, die einen positiven Effekt erwarten. "Niemand weiß, wie sich das auswirken wird, aber ich denke, das macht die Formel 1 spannender", glaubt Lewis Hamilton. "Es gibt jetzt mehr Potenzial für bessere, aber auch für schlechtere Starts. Ich spüre, dass sich vieles zum Positiven verändert." Bekanntermaßen bevorzugt Hamilton "old school" Racing. "Wir müssen uns wieder mehr auf unseren Instinkt verlassen", fügt Fernando Alonso hinzu.

Sergio Perez erinnert sich noch gut an seine GP2-Zeit: "Da kam es komplett auf den Fahrer an. Wir mussten den Punkt selber festlegen, also alle Faktoren wie Reifenmischungen, Temperatur und Griplevel kennen. Es ist definitiv ein Schritt nach vorn in der Formel 1." Marcus Ericsson ergänzt: "Dort konnte man nicht einmal die Kupplung vom Trainingsstart zum echten Start hin verändern." Das aber wird in der F1 weiter erlaubt bleiben.

Teams mit Simulator im Vorteil

Glaubt an mehr Spannung beim Start: Lewis Hamilton, Foto: Sutton
Glaubt an mehr Spannung beim Start: Lewis Hamilton, Foto: Sutton

Der Sauber-Pilot gehört zu den Benachteiligten der neuen Regeln, schließlich verfügt Sauber über keinerlei Simulator. "Ja, wir haben einen gewissen Nachteil", gibt Teamchefin Monisha Kaltenborn zu. Ericsson und Teamkollege Felipe Nasr müssen sich daher im Training an die neuen Gegebenheiten möglichst schnell anpassen. Andere Teams haben es da besser. "Die Jungs in der Fabrik haben sich das bereits angesehen", reflektiert Romain Grosjean über unzählige Probestarts im Simulator. Alle großen Teams haben diese bereits in Dutzendware im Simulator abgeliefert.

Es ist davon auszugehen, dass die Teams die Kupplungen nun auf ein etwas breiteres Fenster auslegen, um den Fahrern mehr Spielraum für kleine Fehler zu geben. Insgesamt wurde jedoch eine mögliche Fehlerquelle von der FIA eingebaut. Es ist aber nicht davon auszugehen, dass es künftig völlig vermasselte Starts gibt wie man sie aus der GP2 kennt. Es gibt in der F1 nach wie vor genügend technische Möglichkeiten, das zu verhindern. Doch für 2016 sind weitere, tiefgreifende Änderungen geplant. "Da wird es komplett manuell werden und am Fahrer liegen, den Wheelspin mit Gas und Kupplung zu kontrollieren", verspricht Jenson Button.