Am kommenden Wochenende ist es so weit: Dann findet das schier unerträglich lange Warten endlich ein Ende. Dann ertönen am Freitagmorgen wieder die V10-Motoren auf ihrer Abschiedstournee. Dann starten die 20 schnellsten Sonntagsfahrer dieses kleinen, blauen Planeten endlich wieder in ein Rennwochenende. Und dann gehen am Sonntag auch endlich wieder die roten Ampellämpchen aus, um den Start in die 56. Formel 1 Weltmeisterschaftssaison freizugeben.

Doch vor all dem steht noch eine große und bis zum Rennende am Sonntagnachmittag nur schwer zu beantwortende Frage: Haben die zehn Teams in der zurückliegenden Winterpause ihre Hausaufgaben gut gemacht? Haben Sie diese vielleicht sogar so gut gemacht, dass sie von Saisonbeginn an mit dem Klassenprimus der vergangenen Semester mithalten oder diesen sogar übertrumpfen können?

Ferrari: Noch ein Trumpf in der Hinterhand?

Jenem Klassenbesten der letzten fünf Jahre wird jedenfalls vor dem Beginn der neuen Saison von einigen Seiten eine nachlassende Form und ein gewisser Schlendrian vorgeworfen. So sollen die auf die neuen Regeln umgebauten Vorjahrestriebwerke nicht haltbar genug und der modifizierte Vorjahreswagen nicht konkurrenzfähig genug sein.

Wenn man allein nach den reinen Testergebnissen der zurückliegenden Wintertestmeisterschaft geht, dann könnten die eher mittelmäßigen Zeiten der Roten einen solchen Schluss durchaus zulassen. Doch so richtig traut niemand diesem Frieden und den tief stapelnden Worten aus Maranello, welche eine "harte Saison" und vier "schwierige" Anfangsrennen mit dem F2004 M voraussagen.

Entsprechend schwebt immer jene Warnung im Hinterkopf mit, welche nicht nur Niki Lauda zuletzt kundtat: "Man darf Ferrari niemals abschreiben." Besonders nicht, da der Albert Park in Melbourne mit keiner der Teststrecken in spanischen Gefilden zu vergleichen ist. Man sollte sich also nicht wundern, wenn die Scuderia am Sonntag erneut wie ein Pferdchen aus der rot glühenden Asche herausspringt.

B·A·R Honda: Noch ein Ass im Ärmel?

Ähnlich wie der Konstrukteursweltmeister schwächelte auch der amtierende Vizekonstrukteursweltmeister British American Racing während der abgelaufenen Wintertestzeit. So schwang man in Brackley zwar große Reden über den ersten GP-Sieg und den Angriff auf den WM-Titel, doch war davon bei den Testfahrten in Spanien noch nichts zu sehen.

Stattdessen verrauchten die Honda-Motoren am laufenden Band und beschwerten sich die Piloten über mangelnden Speed. Rein äußerlich betrachtet also die gleichen Anzeichen wie bei Ferrari. Nur mit dem Unterschied: Während man den Roten die trügerische Ruhe nicht ganz abkauft, scheint bei den Mannen von Neu-Teamchef Nick Fry niemand mit einer Auferstehung in Melbourne zu rechnen. Selbst da Jenson Button noch vor dem Jahreswechsel seinen ersten Sieg für das Auftaktrennen angekündigt hatte.

Näher betrachtet scheinen die Weißen vor dem Saisonstart tatsächlich noch nicht so weit zu sein, um ohne äußere Einflüsse um den Sieg mitfahren zu können. Aber in Melbourne lauern ja bekanntlich nicht nur aufgrund der vielen neuen Regeln einige Unbekannte auf die Teams, welche durchaus Unmögliches möglich machen könnten...

Renault: Die Favoriten

Kein Wunder wäre es hingegen, wenn nach den gezeigten Testleistungen, einer der beiden Renault-Piloten im Albert Park als Erster die Ziellinie überqueren würde. Denn rein nach den famosen Testzeiten gehend, sind die Franzosen aus Enstone und Viry-Châtillon derzeit die neue "Meßlatte", wie Ralf Schumacher zuletzt treffend anmerkte.

Mit dem hoch gepriesenen Spanier Fernando Alonso und dem zuweilen stark unterschätzten Italiener Giancarlo Fisichella besitzt die Truppe von Flavio Briatore zudem eine starke Fahrerpaarung, die sich - das richtige Arbeitsgerät vorausgesetzt - vor nichts und niemandem zu verstecken braucht und jederzeit für Siege gut ist.

Während Fisichella deshalb mit der Hoffnung auf einen Auftakttriumph nach Melbourne reist, traut Alonso der Ferrari-Taktik noch nicht so ganz. Dennoch sollten die Organisatoren die spanische und italienische Nationalhymne für den Fall der Fälle schon einmal bereithalten.

Der neue R25, der zuletzt nur noch von einigen Kinderkrankheiten und Zuverlässigkeitsproblemchen geplagt wurde, scheint jedenfalls einen konkurrenzfähigen Speed mit der Fahrbarkeit des alten R23 zu vereinen und obendrein sehr sparsam mit den Reifen umzugehen. Was kann ein F1-Pilot dieser Tage mehr verlangen?

BMW-Williams: Zurück in den Windkanal

Zum Beispiel einen korrekt kallibrierten Windkanal, dürften sich Mark Webber und Nick Heidfeld bei dieser Frage denken. Für Melbourne wünschen sich die beiden Neu-Williams-Fahrer aber nicht mehr als einen R25, sondern "nur" einen besseren FW27. Denn dieser schwächelte zuletzt gewaltig.

Dabei mussten Frank Williams und Patrick Head sogar öffentlich eingestehen, dass sie einen Wurm im neuen Windkanal hatten, was zu einer bis zum ersten Grand Prix nicht behebbaren Aerodynamikschwäche führte. Neben dem Speed ließ bei den letzten Tests auch immer wieder die Zuverlässigkeit des neuen weiß-blauen Boliden zu wünschen übrig, wobei Nick Heidfeld die Haltbarkeit seines "besten F1-Autos" noch als die große Stärke ansieht.

Von einem Sieg zum Williams-Einstand dürfen aber wohl beide Neulinge nur träumen. Selbst da BMW-Motorsportdirektor Mario Theissen die überraschend offene Schwarzmalerei seiner britischen Kollegen nicht bestätigen wollte und stattdessen lieber darauf verwies, dass erst der Saisonstart das wahre Kräfteverhältnis aufdecken wird. Bleibt für Williams zu hoffen, dass ihnen dann nicht ein blaues Wunder droht.

McLaren Mercedes: Endlich wieder an der Spitze?

Die Bilder des letzten Saisonstarts haben sich in das silberne Kollektivgedächtnis eingebrannt wie die dazugehörigen Flammen aus dem Heck des MP4-19 sich in die aerodynamischen Anbauteile brutzelten. Doch solche Horrorbilder möchten Ron Dennis & Co in diesem Jahr nicht mehr sehen. Stattdessen soll der neue MP4-20 endlich wieder an längst vergangene silberne Zeiten anknüpfen.

Und die Vorzeichen dafür stehen noch nicht einmal schlecht. Neben Renault hinterließ McLaren Mercedes den stärksten Eindruck bei den - wie immer mit Vorsicht zu genießenden - Wintertests, wobei einige der Tagesbestzeiten auf das Konto des Vorjahres-MP4-19B gingen, welcher im Vergleich zu den 2005er Autos noch mit dem alten Aerodynamikpaket ausgestattet war.

Trotzdem darf davon ausgegangen werden, dass die Silberpfeile an diesem Wochenende mehr als nur theoretische Siegchancen besitzen werden. Die bei den vergangenen Tests gehäuft aufgetretenen mechanischen Fehlerteufelchen dürfen dann allerdings nicht mehr im eng gebauten silbernen Gehäuse ihr Unwesen treiben...

Sauber: Der Geheimfavorit?

Bei den ersten Tests mit dem alten Auto und den neuen Michelin-Pneus sorgte das Schweizer Sauber Team für weit heraufgezogene Augenbrauen: Testbestzeiten standen an der Tagesordnung. Doch mit dem Debüt des neuen C24 rückten die Schweizer in den Zeitentabellen etwas weiter nach hinten.

Dabei musste Peter Sauber sogar eingestehen, dass man einen Fehler in der Aerodynamik des C24 beseitigen musste, welcher dem Brasilianer Felipe Massa sehr viel besser zu liegen scheint als dem franko-kanadischen Neuzugang Jacques Villeneuve.

Denn letzterer kämpft noch immer mit dem Setup seines neuen Arbeitsgerätes, wobei er betont, dass Sauber einfach nicht die finanziellen Mittel habe, um den Wagen an ihn anzupassen, weswegen er sich umstellen müsse. Ob ihm dies gelungen ist, wird sich nun in Melbourne erstmals zeigen. Eine Überraschung wäre es aufgrund der bisherigen Testerfahrungen aber nicht, wenn Villeneuve dem jungen Südamerikaner hinterherfahren würde.

Wo die Hinwiler im Gesamtvergleich stehen, lässt sich derweil nur schwer sagen, da man einige Tests mit der Konkurrenz ausließ und zuletzt alleine im vereisten Imola seine Runden drehte. Mario Theissen traut dem potenziellen Motorenkunden in Spe jedenfalls eine "Überraschung" zu.

Red Bull: Auf die Hörner genommen?

Red Bull hat den Bullen und McLaren die Hörner. So oder so ähnlich könnte eine der Schlagzeilen nach dem Australien GP lauten. Die umbenannte und umlackierte Jaguar-Truppe stellt dabei für viele ein großes Fragezeichen dar.

Wie stark hat sich der Ford-Ausstieg auf die Entwicklung des RB1 ausgewirkt und wie schnell können die neuen Männer hinter den Kulissen, allen voran Sportdirektor Christian Horner, Technikchef Günther Steiner und Technikdirektor Mark Smith ihren Einfluss Performance steigernd geltend machen?

Beim ersten Rennen der dunkelblauen Boliden darf von Routinier David Coulthard und Christian Klien, der den Vorzug vor Tonio Liuzzi erhielt, nicht zu viel erwartet werden. Sollten sie Minardi und Jordan deutlich distanzieren und sich mit Toyota und Sauber messen können, wäre dies fast schon das Maximum.

Toyota: Der Druck wird größer

Mit zwei GP-Siegern, einem schon vor dem ersten Rennen generalüberholten Boliden und riesigen Erwartungshaltungen in der Vorstandsetage ist der Druck vor der vierten F1-Saison von Toyota gewiss nicht geringer geworden.

Und auch für Technikdirektor Mike Gascoyne gibt es nun keine Ausflüchte mehr: Der TF105 ist der erste Toyota der komplett unter seiner Regie entstanden und ebenso komplett unter seiner Regie überholt worden ist, nachdem er sich bei den ersten Tests als wenig konkurrenzfähig über Long Runs herausgestellt hatte.

Auf einer Runde war der neue weiß-rote Renner aus Köln-Marsdorf aber durchaus für einige Überraschungen gut. Zudem scheint auch die Zuverlässigkeit des Arbeitsgerätes von Jarno Trulli und Ralf Schumacher Grund zum Optimismus zu geben. Besonders in einer Zeit, in welcher viele Experten und Fahrer während der ersten Rennen eine hohe Ausfallquote erwarten.

Mehr als eine Platzierung in den WM-Punkterängen wäre dennoch - unter normalen Umständen - eine große Überraschung.

Jordan: Alex Shnaider, übernehmen Sie.

Ohne den Teamgründer Eddie Jordan geht es für den vom kanadisch-russischen Midland Konzern übernommenen Rennstall zum Auftaktrennen nach Melbourne. Dafür sind jede Menge anderer neuer Leute an Bord: Sportdirektor Trevor Carlin zum Beispiel. Oder die beiden F1-Rookies Tiago Monteiro und Narain Karthikeyan.

Mit der Entscheidung zugunsten dieser beiden F1-Neulinge löste Midland zugleich Applaus als auch Kritik aus. So freuten sich die einen, dass endlich einmal nicht die Geldkoffer über die Cockpitvergabe bei Jordan entschieden haben, während die anderen kritisierten, dass man mit zwei unerfahrenen Piloten über die Saison gesehen keinerlei Chancen habe das Auto weiterzuentwickeln.

Dies dürfte aber wohl dringend notwendig sein, da der bei den Testfahrten eingesetzte EJ15 nur marginale Änderungen im Vergleich zu seinem Vorgänger aufwies, was natürlich auf die lange Zeit ungewisse Zukunft sowie die finanziell maue Situation des letzten Jahres zurückzuführen ist.

In Melbourne werden sich die gelben Boliden wohl eher eine Schlacht mit den Minardi liefern als an den Bremslichtern von Red Bull oder Sauber zu schnüffeln.

Minardi: Und sie leben immer noch!

Die wichtigste Nachricht vorne weg: Minardi wird in Australien beim Heim-GP von Teamchef Paul Stoddart am Start sein! Und zwar allen finanziellen und politischen Problemen zum Trotz.

Mit dem niederländischen Ex-DTM-Vizechampion Christijan Albers und dem österreichischen Talent Patrick Friesacher weist die kleine Truppe aus Faenza und Ledbury zudem eine der vielversprechendsten Fahrerpaarungen der letzten Jahre auf.

Bis zum Debüt des neuen PS05 in Imola werden die schwarzen Boliden, die offiziell erst am Donnerstag zusammen mit Red Bull präsentiert werden, aber mit dem mittlerweile fast vier Jahre alten Vorjahresmodell hoffnungslos hinterherfahren.