Christian Danner versteht die (Formel 1)-Welt nicht mehr. Die Kritik an der neuen Turbo-Formel ist auch nach fünf Rennen in der neuen Ära noch nicht verstummt, das Zuschauer-Interesse ist im Vergleich zum Vorjahr rückläufig. Motorsport-Magazin.com gab sich gemeinsam mit seinem Formel-1-Experten Danner auf die Suche nach den Ursachen.

Sind die Rennen langweilig?

Nach dem Bahrain GP verstummten die kritischen Stimmen an der Formel 1 etwas. Das Rennen im Wüstenstaat wurde von vielen als bestes Rennen seit Jahren angesehen. Nach dem etwas ereignisärmeren Rennen in Spanien schreien die Kritiker wieder auf. Doch genau genommen war das Rennen nicht schlecht - das meint auch Danner.

"Das war ein Rennen, das man durchaus anschauen konnte. Vor allem im Vergleich zu schrecklich langweiligen Rennen, die wir in Barcelona Mitte der 2000er Jahre hatten." Zwar fuhren die beiden Mercedes-Piloten auf und davon, der teaminterne Kampf blieb aber bis zur letzten Runde spannend. Am Ende trennten Lewis Hamilton und Nico Rosberg nur 0,6 Sekunden voneinander.

"Ist ein Formel-1-Rennen heutzutage langweilig? Oder ist es eine Frage der Kommunikation, wie ich das, was dort passiert, rüberbringe? Ich finde es eigentlich außerordentlich spannend, wenn man auch etwas genauer hinsehen muss. Die Taktik, die Rosberg - also die linke Seite der Mercedes-Garage gegen die rechte Seite der Garage - gefahren ist, war faszinierend. Weich - Hart - Weich gegen Weich - Weich -Hart. Dazu kamen die ständig variierenden Abstände. Und der Showdown am Ende hat gezeigt, dass die taktische Spannung nicht nur eine Erfindung von mir war."

"Im Gegensatz zu früher werden heute ja auch Teamradios eingespielt, die nicht zensiert sind und die dem Zuschauer die Möglichkeit geben, genau zu verstehen, was dort auf der Strecke gerade abgeht."

"Dadurch sind die Anforderungen an den Zuschauer sind gestiegen", stellt Danner fest. Heute gibt es neben dem eigentlichen Rennen noch ein zweites, virtuelles Rennen in den Simulations-Büros der Teams. Ein 'Cyber-War' zwischen Maranello, Brackley, Milton Keynes und Co. "Aber die Modernität der Formel 1 kann doch nicht der Grund sein, weshalb sie die Fans heute nicht so toll finden", gibt Danner zu bedenken.

Das Rad der Zeit nicht zurückdrehen

Modern ist aber nicht nur der Cyber-War abseits der Strecke. Auf der Strecke werden die Rennen in diesem Jahr mit dem modernsten ausgetragen, was die Ingenieure zu bieten haben. Statt hochdrehender Saugmotoren sind in den Hecks der Boliden Hybrid-Turbomotoren eingebaut, die ähnliche Leistung liefern und dabei noch deutlich weniger Benzin verbrauchen.

Turbo und Turbo: Der eine wird gefeiert, der andere kritisiert, Foto: Renault Sport F1
Turbo und Turbo: Der eine wird gefeiert, der andere kritisiert, Foto: Renault Sport F1

"Jegliche Innovation, die letztendlich zu einer Veränderung geführt hat, ist immer mit Skepsis aufgenommen worden. Aber: Man konnte das Rad der Zeit damals nicht zurückdrehen und heute auch nicht", sagt Danner. In der Tat: Als Renault Anfang der 1980er Jahre erstmals mit dem Turbo experimentierte , waren auch nicht alle Fans von der neuen Technologie begeistert. Jahrzehnte später sehnen nicht wenige Fans diese Zeiten wieder herbei.

Das Argument, die neue Technik sei zu kompliziert für den normalen Fan, lässt Danner nicht gelten. "Wenn wir auf die 'selige' Zehnzylinder-Ära zurückblicken: Wie hat da bei 20.000 Umdrehungen der pneumatische Ventiltrieb oder die Nockenwellenverstellung funktioniert? Das kann ich genauso wenig sagen wie die Metalllegierung, aus der die Pleuel besteht, oder wie eine Formel-1-Kurbelwelle geschmiedet wird. Das habe ich noch nie verstanden."

Was Danner meint: Nicht nur die neuen Power Units sind kompliziert, auch die Saugmotoren waren hochentwickelt und im Detail genauso kompliziert. Das tut aber nichts zur Sache: "Das ist einfach ein Motor, der im Heck läuft. Mehr nicht."

Speed

Entscheidend ist, was dabei herauskommt. Und langsam ist das, was die neue Formel 1 auf den Asphalt brennt, nicht. Auf aerodynamisch anspruchsvollen Strecken wie Barcelona fehlt zwar auf die reine Rundenzeit betrachtet noch ein Stück auf die letztjährige Formel 1, doch im Wesentlichen ist es das, wonach Fans und Experten jahrelang geschrien haben.

So oft standen die Fahrer schon lange nicht mehr quer, Foto: Sutton
So oft standen die Fahrer schon lange nicht mehr quer, Foto: Sutton

Auf den Geraden sind die Autos nun deutlich schneller: Der Topwert betrug beim Spanien GP in diesem Jahr 342,9 Stundenkilometer. In der vergangenen Saison wurde der schnellste Pilot mit 318,5 km/h gemessen. Die schnellste Rennrunde war dabei um 2,7 Sekunden langsamer. Wo die moderne Formel 1 Zeit verliert, ist klar: In den Kurven. Denn die Aerodynamik wurde stark beschnitten, weniger Downforce bedeutet gleichzeitig geringere Kurvengeschwindigkeit.

Das wirkt sich mit gleichzeitig deutlich gestiegenem Drehmoment auf die Fahrweise aus. In Barcelona wurden die Fahrzeuge deutlich mehr quer bewegt, als in den vergangenen Jahren. "Ein Max Chilton, der normalerweise keinen Menschen interessiert - aber wenn der mit 240 quer um die Ecke fährt - Weltklasse! Oder Alonso: Der war im Training sowas von vogelwild unterwegs. Super Driftwinkel, unglaublich viel Action am Lenkrad und die Fahrer müssen mehr leisten als je zuvor."

Der Spanien GP im Fakten-Check20132014
Renndauer1:39:16,6 Stunden1:41:05,2 Stunden
Durchschnittliche Rennrunde1:30,2 Minuten1:31,9 Minuten
Höchstgeschwindigkeit318,5 km/h342,3 km/h
Schnellste Rennrunde1:26,2 Minuten1:28,9 Minuten
Boxenstopps7748

"Was Volkes Stimme oder des Fans Mund immer wieder versucht hat, zu bekommen - nämlich mehr Leistung und weniger Aerodynamik -, das hat er jetzt. Es gibt tatsächlich tolle Szenen und spannende Dinge und trotzdem sagen alle: Das ist aber langweilig. Warum nur?", fragt sich Danner.

Auch die vor der Saison haufenweise geäußerten Bedenken, die Formel 1 würde zu einer Spritspar-Formel verkommen hat sich als falsch erwiesen. "Denn Spritsparen tut da keiner, niemand muss Spritsparen." Die Rundenzeiten während des Spanien GPs bestätigen Danners These. Das Rennen 2014 dauerte nicht einmal zwei Minuten länger als im Jahr zuvor, Safety-Car-Phasen gab es zweimal keine. Die durchschnittliche Rundenzeit war 2014 um lediglich 1,7 Sekunden langsamer - das ist deutlich weniger als der Unterschied auf eine schnelle Runde.

Pirelli macht super Job

Im vergangenen Jahr richtete sich die Kritik der Fans vor allem gegen Pirelli. Derweil entwickelten die Italiener nur den Reifen, der von ihnen erwartet wurde. "Pirelli hat auf alles reagiert und die Probleme, die angesprochen wurden, in Eigenregie gelöst", so Danner. 2013 gab es in Spanien noch 77 Boxenstopps, am vergangenen Wochenende waren es 48. "Pirelli hat einen Reifen gebaut, der schneller auf Temperatur kommt, der länger hält und trotzdem Taktikvarianten zulässt. Auch durch die zusätzlichen Reifen sowohl im Freien Training als auch im Q3 hat man bei Pirelli auf die Wünsche der Fans reagiert. Also: Alles richtig gemacht."

Fahrer

Auch bei den Fahrern sucht Danner vergeblich nach der Ursache für die rückläufige Formel-1-Faszination. "Wir haben ein super Fahrerfeld: Wir haben die beiden Mercedes-Piloten, wir haben Kimi Räikkönen und Fernando Alonso, wir haben Jenson Button, der Weltmeister war, wir haben Sebastian Vettel als vierfachen Champion und mit Daniel Ricciardo auch einen tollen, jungen Typen. Die Fahrer sind allesamt Weltklasse, tolle Typen und haben massenweise Weltmeistertitel und Grand-Prix-Siege. Es ist kein Übergangsjahr mit Pizzonias oder dergleichen."

Dominanz

Ist es die erdrückende Mercedes-Dominanz, die den Fans in diesem Jahr nicht gefällt? "Ja, sie sind überlegen. Aber Vettel hat letztes Jahr auch neunmal hintereinander gewonnen. Wo ist der Unterschied zwischen 'Vettel gewinnt immer alles' und 'Mercedes gewinnt immer alles'? Wo ist der Attraktivitätsunterschied?" Dass am Anfang eines neues Reglements die Performance-Unterschiede größer sind als am Ende eines solchen, dürfte klar sein.

Schumacher war Anfang der 2000er ähnlich dominant, Foto: Sutton
Schumacher war Anfang der 2000er ähnlich dominant, Foto: Sutton

Doch das ist wahrlich keine Neuheit in der Formel 1. Ayrton Senna und Alain Prost haben 1988 15 von 16 Rennen gewonnen, heute wird dieses Jahr glorifiziert. "Ein eklatantes Beispiel", so führt Danner auf, "ist die Schumacher-Ära. Schumacher fuhr als Letzter los und hat gewonnen, Schumacher fuhr als Erster los und hat gewonnen." Trotzdem erlebte die Formel 1 - vor allem in Deutschland - einen Boom.

Dabei kommt die deutsche Komponente auch heute nicht zu kurz. "Wir haben mit Rosberg einen Fahrer, der bislang WM-Führender war. Da ist es doch egal, dass Hamilton ein paar Rennen gewonnen hat - irgendwann gewinnt Rosberg auch wieder. Wir haben ein deutsches Team und dort zwei unglaublich tolle Typen, die unglaublich unterschiedlich sind." Zusätzlich hat Sebastian Vettel in Barcelona aus seinem Tief herausgefunden und war klar der Mann des Rennens und Nico Hülkenberg war Anfang des Jahres Dritter in der WM-Wertung. Vom deutschen Standpunkt her gesehen sind wir doch sehr ordentlich bedient.

Stimmung gegen F1

"Ich weiß wirklich nicht, wo das Faszinations-Problem liegt", konstatiert Danner. Sind es die negativen Kommentare einiger Beteiligten, die den Sport in ein falsches Licht rücken? "Es kann nicht sein, dass ein Montezemolo - indem er völlige wirre Unwahrheiten erzählt - bewirkt, dass alle sagen: Das ist doof. Montezemolo hat sich zuvor über die Aerodynamik beschwert, er hätte gerne eine motorlastigere Formel 1. Jetzt hat er mehr Motor und was ist? Wenn seine Jungs nicht richtig arbeiten, dann ist daran nicht die Formel 1 nicht schuld."

"Es kann aber auch nicht sein, dass ein frustrierter Sebastian Vettel in den ersten Rennen sagt, das ist alles unmöglich und seit Barcelona das alles doch wieder ganz okay findet."

"Ich habe meinen Eindruck und die öffentliche Wahrnehmung ist offensichtlich eine andere", stellt Danner final fest. "Was ich sehe, ist toll. Oder bin ich schon betriebsblind?"

Danners Formel-1-Zutaten

  • Rennen taktisch anspruchsvoll und spannend
  • Mindestens so viel Action auf der Strecke wie in der Vergangenheit
  • Weniger Aerodynamik, mehr Drehmoment - Fahrer stärker gefordert
  • Zukunftsweisende Technologie, Formel 1 als Vorreiter
  • Mit Weltmeistern und Charakterköpfen gespicktes Fahrerfeld
  • Mit Mercedes und Nico Rosberg auch deutsche Komponente vorne
  • Vettel in Lauerstellung

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