Zum ersten Mal seit langer Zeit reist Red Bull Racing nicht als großer Favorit zu einem Formel-1-Rennen. In Melbourne, wo an diesem Wochenende der Saisonauftakt stattfindet, wird sich für die Weltmeistermannschaft weisen, wie schwerwiegend die bei den Testfahrten aufgetretenen Probleme wirklich sind - sowohl Sebastian Vettel als auch Daniel Ricciardo kamen im Gegensatz zur Konkurrenz bislang noch nicht einmal dazu, eine Rennsimulation abzuspulen.

Renault hat geschlafen

"Renault hat die Entwicklung in der Motorenabteilung aus irgendeinem Grund verschlafen", weiß der ehemalige Grand-Prix-Pilot Gerhard Berger, weshalb es bei den Bullen bis dato alles andere als nach Wunsch läuft. Dennoch glaubt der Österreicher, dass die Franzosen wieder in die Spur finden werden: "Sie haben ausreichend Erfahrung und Ressourcen. Renault ist ein Autohersteller, der reagieren kann und muss."

Für Berger steht fest, dass Red Bulls Designgenie Adrian Newey den RB10 am äußersten Limit konstruiert hat, was Überhitzungsprobleme zur Folge hatte. "Zu Beginn haben seine Autos immer mit Überhitzung zu kämpfen gehabt. Manchmal war das nach einem Rennen behoben, manchmal nach fünf, manchmal nach einer halben Saison", erklärt der zehnfache Rennsieger. "Wenn es aber einmal funktioniert, wenn er kommt, dann fährt er um alle anderen Kreise."

Trotz der mannigfaltigen Schwierigkeiten hütet sich Berger jedoch davor, Red Bull bereits vor dem ersten Grand Prix abzuschreiben, denn immerhin würden weiterhin jene Leute im Team arbeiten, die auch für die großen Erfolge der letzten Jahre verantwortlich zeichneten. "Sie werden um die WM mitfahren, da bin ich mir sicher", betont der Tiroler. "Es kann sein, dass sie in den ersten drei Rennen schlecht ausschauen. Aber ich würde sie nicht unterschätzen. Nach drei Rennen wird Red Bull wieder da sein." Nachsatz: "Außerdem ist es ganz sympathisch, wenn ein vierfacher Weltmeister auch einmal Feuer am Dach hat."

Mercedes-Teams haben die besten Karten

Den besten Eindruck bei den Testfahrten hinterließen jene Teams, die ihre Motoren von Mercedes beziehen. "Es ist allgemein bekannt, dass Mercedes einen guten Job gemacht hat, was den Antriebsstrang betrifft", betont Berger. "Die Mercedes-Teams sind von Motor und der Elektronik her am besten aufgestellt. Danach kommt Ferrari, dann Renault."

Demzufolge erwartet Berger auch, dass Mercedes GP zumindest zu Saisonbeginn über den schnellsten Boliden im Feld verfügen wird, aber auch Williams und McLaren, die ebenfalls von einer Power Unit aus Brixworth befeuert werden, hat er auch der Rechnung. "Die ersten beiden Reihen werden beim Saisonstart sehr Mercedes-lastig sein", so der Tiroler im Gespräch mit der APA. "Dann kommt Ferrari. Und man weiß nicht, was Red Bull alles hineingebracht hat. Im Rennen werden sie Probleme mit der Standfestigkeit haben. Aber ich traue ihnen zu, weit vorne zu starten."

Wird Mercedes der Favoritenrolle gerecht?, Foto: Sutton
Wird Mercedes der Favoritenrolle gerecht?, Foto: Sutton

Laut Berger stammte das beste Aggregat der Königsklasse auch schon in den letzten Jahren aus dem Hause Mercedes, doch dank Sebastian Vettel und Adrian Newey konnte Red Bull diesen Nachteil kaschieren. "Heuer hat Mercedes den mit Abstand besten Motor", streicht der 54-Jährige noch einmal hervor, um anzufügen: "Bei Mercedes steht der ganze Antriebsstrang auf einmal auf dem Prüfstand. Da sind sie der Konkurrenz voraus, weil sie auch mehr Geld investieren."

Fahrer sind immer gefordert

Sympathisch findet der Österreicher, dass sein Ex-Team Toro Rosso dem jungen Russen Daniil Kvyat die Chance gibt, sich in der Formel 1 zu beweisen. "Man hat in der Formel 3 schon gesehen, dass er ein Talent ist", lobt er den regierenden GP3-Champion. "Kvyat ist ein Heißsporn, aber er kann es." Von Daniel Ricciardo, der bei Red Bull die Nachfolge von Mark Webber antritt, ist Berger hingegen noch nicht gänzlich überzeugt. "Ricciardo ist sympathisch, aber auf der Strecke muss er mich erst überzeugen. Vettel ist da heuer der perfekte Maßstab."

Wie viele Fans, stand auch Berger dem neuen Reglement mit den V6-Turbomotoren zunächst kritisch gegenüber, doch seit er bei den Testfahrten in Bahrain vor Ort war, hat sich seine Meinung geändert. "Aus meiner Sicht war es ein großer Schritt nach vorne", hält er fest. "Das ist Formel 1 pur. Die Autos sind 20 km/h schneller auf der Geraden und haben auch aus den Ecken richtig Power. Ich finde auch den Sound gut. Die Kritik daran kommt hauptsächlich von Leuten, die die neuen Motoren noch nicht gehört haben."

Doch nicht nur die Zuschauer müssen sich auf einige Änderungen einstellen, auch die Piloten stehen vor zahlreichen neuen Herausforderungen. "Sie haben mehr Arbeit mit Querstehen. Die Hinterreifen werden mehr belastet", weiß Berger, der in den ersten Rennen viele Defekte und Ausfälle erwartet. "Der Fahrer wird immer gefordert sein - einmal mit mehr, einmal mit weniger Leistung. Das ergibt auch unterschiedliche Strategien. Das werden turbulente Rennen im letzten Drittel."