Andy, was war der Grundgedanke hinter den neuen Power Units?
Andy Cowell: Die ersten Gespräche zwischen der FIA und den Motorenherstellern konzentrierten sich auf einen effizienteren Verbrennungsmotor und leistungsfähigere Hybrid-Systeme. Beide Seiten wollten den Weg der Formel 1 in diese Richtung vorantreiben. Bei einem Saugmotor wird das Leistungspotential vom Luftfluss in den Motor über den Hubraum und die Drehzahl kontrolliert. Die Automobilindustrie hat ihren Blick jedoch nicht auf den Luftverbrauch, sondern auf den Kraftstoffverbrauch - und die damit verbundenen CO2-Emissionen - gerichtet. Die Formel 1 hat deshalb ihre Regeln auf den Kopf gestellt, sodass die Performance mittels zweier Kraftstoffeinschränkungen beeinflusst wird: Nämlich ein maximaler Benzindurchfluss von 100 kg pro Stunde und eine maximale Kraftstoffmenge von 100 kg pro Rennen. Die wesentliche Herausforderung ist es, so viel chemische Energie wie möglich aus dem Benzin in mechanische Energie umzuwandeln und dabei möglichst effizient zu sein. Die Effizienz ist bei dieser Umwandlung der Schlüssel.

Foto: Sutton
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Welche Technologien setzen Sie ein, um diese Effizienz zu erreichen?
Andy Cowell: Die genannte Effizienz-Steigerung ist nötig, um das Performance-Niveau zu halten. Um dies zu erreichen, betreten wir mit den von uns entwickelten Technologien Neuland, und zwar nicht nur mit Blick auf den Rennsport, sondern auch im Hinblick auf die Automobilindustrie. Als das Reglement verfasst wurde, entschied man sich dazu, Bereiche wie die Motorkonfiguration, die Bohrungen und die Höhe der Kurbelwellenachse fix festzulegen. Dies verhindert, dass die Ingenieure viel Zeit mit Bereichen verbringen, die uns bereits bekannt sind, aber keine weiteren Effizienz-Steigerungen mehr beinhalten. Stattdessen konzentrieren wir uns auf Gebiete wie die abgegebene Energie im Auspuffsystem des Verbrennungsmotors. Ein Teil dieser Energie lässt sich mit einer Turbine zurückgewinnen, um so einen Kompressor anzutreiben und damit die Effizienz des Verbrennungsmotors zu steigern. Genauso lässt sich jede überschüssige Energie mittels eines Elektromotors in einer Batterie speichern, um das Turboloch zu verringern und damit das Auto schneller zu machen. Auf die gleiche Weise gewinnen wir mittels eines weiteren Elektromotors, der mit einer Batterie verbunden ist, kinetische Energie beim Bremsen zurück. Wenn dieser Elektromotor mit dem Verbrennungsmotor verbunden wird, können wir die Wellenleistung während dieser Phase erhöhen. Wir haben eine Effizienz-Steigerung von mehr als 30 Prozent erzielt - anders ausgedrückt bedeutet dies, dass wir im Vergleich zum letztjährigen V8-Motor für jede verbrauchte Benzin-Einheit über 30 Prozent mehr Leistung herausholen.

Wie groß ist diese Veränderung?
Andy Cowell: Ich glaube nicht, dass die Regeln je zuvor eine so große Veränderung vorgeschrieben haben. Der Wechsel von V10- auf V8-Motoren war ebenfalls verpflichtend, aber wir hatten es immer noch mit einem Saugmotor zu tun, selbst angesichts der vorgeschriebenen Einschränkungen. Der Einsatz von KERS war in der Saison 2009 nicht verpflichtend, sondern eher eine Möglichkeit, die Performance zu steigern, wenn man es schaffte. Diese Regeländerungen jetzt besitzen eine ganz andere Größenordnung.

Die neue Power Unit wurde Hand in Hand mit dem Team für den neuen F1 W05 entwickelt. Welche Vorteile brachte es mit sich, das Projekt als komplettes Werksteam anzugehen?
Andy Cowell: Hierzu müssen wir bis zu den Diskussionen rund um das Reglement zurückgehen, noch bevor dieses finalisiert wurde. Diese Gespräche fanden gemeinsam mit unseren Kollegen in Brackley statt. Von der ersten Simulationsübung an arbeiteten wir daran, das schnellstmögliche Rennauto innerhalb des Reglements zu entwickeln, um letztlich damit die meisten WM-Punkte einzufahren. Alle arbeiteten als eine Gruppe an Ingenieuren zusammen. Eine solche Beziehung von Beginn an zu haben ist ein enormer Vorteil, denn auf diesem gemeinsamen Punkt bauen das Verständnis, die Schlussfolgerungen und die Diskussionen auf. Wir haben keine Zeit damit verloren, dass ein System-Team das andere einholen musste - das machte den Entwicklungsprozess effizienter.

Gleichzeitig sorgte es für eine konstante Arbeitsmoral und wenn Hürden überwunden werden mussten, besaßen wir eine gute Balance in unserem Entscheidungsfindungsprozess. Wir wussten, wo sich Kompromisse lohnen und wo nicht. Dies führte zu einem stark integrierten Entwicklungsprozess mit einem gemeinsamen Verständnis dafür, was ein Auto schnell und zuverlässig macht. Dieser Teamgeist dehnte sich auch auf unsere Kollegen im Forschungs- und Entwicklungszentrum in Stuttgart aus, die in bestimmten Bereichen, wie etwa dem Turbolader, einen unschätzbaren Beitrag zu diesem Projekt geleistet haben. Es war eine echte Mannschaftsleistung, in deren Verlauf die bestmögliche Technologie entwickelt wurde, die Mercedes-Benz zu bieten hat.

Foto: Sutton
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Wie zufrieden sind Sie mit dem Endergebnis und der finalen Integration ins Fahrzeug?
Andy Cowell: Die Integration der Power Unit war ein interessanter Prozess, der sich über die zurückliegenden Jahre erstreckte. Bei den ersten Entwürfen sahen wir uns die Ausmaße der Power Unit und die Aero-Oberfläche des Rennautos an und dachten uns: "Wie soll das bloß funktionieren?" An diesem Punkt begann unsere Reise, die zeigt: Wenn man zusammenarbeitet, kann man die nötigen Kompromisse auf eine offene Art und Weise finden. Wir waren eine große Gruppe an Ingenieuren, die nur ein Ziel hatte - der neue Silberpfeil sollte so schnell wie möglich werden.

Eine der größten Veränderungen ist das viel leistungsstärkere Hybrid Energierückgewinnungssystem (ERS). Welche Erkenntnisse konnten Sie von KERS auf das neue System übertragen?
Andy Cowell: Unsere Erkenntnisse aus dem KERS-Projekt waren das Fundament für die Entwicklung von ERS. Dabei sprechen wir über einen großen Schritt, nicht nur bei der Gesamtleistung, sondern vor allem bei der Nutzungsdauer, also dem Prozentanteil einer Runde, den es genutzt werden kann. In der Theorie könnte man einfach zwei der letztjährigen KERS-Elektromotoren an einer Kurbelwelle kombinieren, um so die maximale Leistung von 120 kW zu erreichen. Aber anstatt den Elektromotor lediglich für etwas weniger als sieben Sekunden pro Runde zu verwenden, wie das im vergangenen Jahr der Fall gewesen ist, sind es jetzt mehr als 30 Sekunden pro Runde. Hinzukommt eine höhere Anforderung an die Zuverlässigkeit, da in diesem Jahr nur fünf Elektromotoren pro Fahrer erlaubt sind. Zusammengefasst bedeutet dies: Mehr Leistung, eine längere Nutzungsdauer und viel höhere Zuverlässigkeitsanforderungen. Obendrein ist ERS nicht mehr nur eine "nette Zugabe" - angesichts der Leistung und der Nutzungsdauer wird ein Auto ohne eine funktionierende MGU-K mehrere Sekunden langsamer sein. Es muss also über die Distanz halten. All dies bei einer drohenden Deadline zusammenzufügen ist eine riesige Herausforderung, wahrscheinlich zehnmal schwieriger als bisher. Und dabei ist ERS nur einer von sechs Teilbereichen der Power Unit.

Das Reglement für die Saison 2014 enthält sowohl eine maximale Rennspritmenge als auch einen maximalen Benzindurchfluss. Somit ist der Kraftstoff die wichtigste Steuergröße geworden. Wie entscheidend war der Beitrag von Petronas zur Entwicklung der neuen Power Unit?
Andy Cowell: Petronas war ein wirklich wichtiger Partner mit enormem Einfluss auf das Projekt. Sie spielten eine zentrale Rolle bei der Feuerungs- und Verbrennungstechnik. Die Charakteristik des Primax Kraftstoffs und dessen Leistungsentfaltung während der Verbrennung sind ein Schlüsselelement für einen leistungsstarken, effizienten und zuverlässigen Verbrennungsmotor. Das Reglement lässt beim Kraftstoff relativ wenige Spielmöglichkeiten offen und definiert im Wesentlichen ein Arbeitsfenster. Bei einem hochdrehenden Saugmotor arbeitet man in der einen Ecke dieses Fensters, nun sind wir in meinen Augen auf der gegenüberliegenden Seite angelangt. Mit Blick auf eine geringe Reibung und eine lange Lebensdauer spielen die Petronas Syntium Schmierstoffe eine entscheidende Rolle, ganz besonders in den neuen Bereichen der Power Unit, etwa dem Turbolader, der ganz andere Schmiermittel erfordert. Für uns war es bei diesem Projekt von unschätzbarem Wert, Petronas von Beginn an als Partner im Boot gehabt zu haben.

Foto: Sutton
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Die Zuverlässigkeit wird in der allgemeinen Meinung als größtes Hindernis in dieser Saison angesehen. Wie groß ist die Herausforderung aus Ihrer Sicht?
Andy Cowell: Veränderungen bringen normalerweise Risiken bei der Zuverlässigkeit mit sich. Wenn es sich dabei um die Einführung eines komplett neuen Turboladers mit Elektromotoren handelt, die mehr als 100.000 Umdrehungen leisten, fällt die Herausforderung doppelt so groß aus, was natürlich mit einem größeren Risiko bei der Haltbarkeit verbunden ist. Es gibt dutzende Themen, welche unter gewissen Umständen die Zuverlässigkeit beeinträchtigen könnten - einige davon betreffen die Technologie, andere gehen ins Detail. So war es schon immer im Motorsport. Uns stehen schwierige Entscheidungen gegen starke Konkurrenten bevor, die uns bis ans Limit treiben werden, was vielleicht zu Fehlern führt. Es geht aber immer noch darum, vor jedem anderen die Zielflagge zu sehen, dabei am wenigsten Kraftstoff zu verbrauchen und bei der Zuverlässigkeit einen Ritt auf der Rasierklinge zu vollführen. So ist der Rennsport und aus diesem Grund ist die Formel 1 ein so leidenschaftliches und spannendes Umfeld für uns.