Es ist Freitag, 11:27 Uhr, auf dem Circuit Paul Ricard in Le Castellet. Motoren heulen in der Boxengasse auf und eine silbern glänzende Ducati Panigale Rennmaschine macht sich auf zur ersten Runde des Tages. Michael Schumacher sitzt auf dem zweirädrigen Silberpfeil, den bekannten roten Helm auf dem Kopf. Er steigt zum ersten Mal seit dem Ende seiner Formel-1-Karriere wieder auf das Motorrad und gibt Gas. Motorsport-Magazin.com wurde als einziges deutsches Medium zu diesem Event in Frankreich eingeladen.

Es war einer dieser seltenen Tage, an denen Journalisten die Möglichkeit bekamen, den Rekordweltmeister den ganzen Tag lang eng zu begleiten und einmal zu erleben, wie er sich abseits des hektischen Treibens in der Formel 1 gibt. Man erlebte an diesem Tag zwei Seiten des Michael Schumacher. Da war der bekannte, akribische Arbeiter, stets mit dem Streben nach Perfektionismus. Sein zweites Comeback in der Formel 1 mag sportlich nicht allzu erfolgreich gewesen sein, doch mangelnden Arbeitseifer konnte man ihm nie vorwerfen. Bevor er die erste Runde auf der Ducati in Angriff nahm, bat er um die Gelegenheit, die Strecke mit dem Auto abzufahren und sich mit dem Kurs vertraut zu machen.

An diesem Tag in Le Castellet ging es nicht darum, Bestzeiten in den kühlen Asphalt zu brennen und ein Rennen zu gewinnen. Das spielt für Schumacher aber keine Rolle, er will seinen Job erledigen - und das so gut wie möglich. "Es war immer meine Einstellung, mich zu 100 Prozent auf das zu konzentrieren, was ich gerade mache", erklärt Schumacher anschließend im Interview mit Motorsport-Magazin.com. Das Streckenlayout passt, der Sitz noch nicht. Schumacher fühlt sich nicht ganz wohl auf seiner Rennmaschine und nimmt leichte Veränderungen an seinem zweirädrigen Silberpfeil vor. Da ist er wieder, der Rennsport-Perfektionist. Schumacher ist sich nicht zu schade, die anwesenden Motorrad-Profis, wie den vielfachen TT-Sieger John McGuinness, Moto2-Vizeweltmeister Pol Espargaro und den ehemaligen MotoGP-Piloten Randy Mamola nach Tipps zu fragen.

"Im Zweiradsport kann ich noch ganz viel lernen und bin auch generell sehr daran interessiert zu lernen", sagt Schumacher ganz uneitel. "Ich wäre ja dumm, wenn ich mir eine solche Chance entgehen lassen würde." Nach jeder gefahrenen Runde bespricht er sich mit seinen Rennkollegen und den anwesenden Ingenieuren. Schumacher könnte die Angelegenheit auch ganz entspannt angehen, doch er will sein Bestes geben. Ein gewisser Unmut ist in seinem Gesicht zu erkennen, als es an diesem Freitag unerwartet anfängt zu regnen und der Fahrbetrieb aus Sicherheitsgründen zeitweise eingestellt wird.

Gern wäre Schumacher noch mehr gefahren und hätte sich mit dem Bike an die Grenzen herangetastet. "Genau so etwas macht mir immer wieder großen Spaß: Neue Dinge auszuprobieren und herauszufinden, ob mir das gefällt", sagt er. Sicher ist: Unter Rennbedingungen will er nicht mehr im Zweiradsport antreten, für seine Zeit nach der aktiven Motorsportkarriere setzt er andere Prioritäten. "Es gibt so viele schöne andere Dinge im Leben", entgegnet er mit einem Lächeln auf die Frage, ob er mental schon mit der Formel 1 abgeschlossen habe.

Dazu gehören auch Veranstaltungen wie diese. Eine kleine Runde mit einigen bekannten Gesichtern, keine Dutzenden Fotografen und Journalisten, die Schumacher auf Schritt und Tritt durchs Fahrerlager verfolgen. Lange Zeit dachte er über seinen Rücktritt aus der Formel 1 nach, zweifelte an der nötigen Motivation und Energie, noch ein oder zwei Jahre in der Königsklasse fahren zu können. Jetzt beginnt die neue Zeit, mit weitaus weniger Druck und Stress. In Le Castellet erlebte man diesen anderen Schumacher, den entspannten und ausgeruhten Rennsport-Passionierten. Es erweckte nicht im Ansatz den Eindruck, vor dem erfolgreichsten Piloten der F1-Geschichte zu stehen, als er sich zu Beginn des Tages jedem Anwesenden namentlich vorstellte.

Da war dieser Michael Schumacher, der einfach Spaß haben wollte an dem, was ihn sein ganzes Leben lang begleitete: der Motorsport als Leidenschaft. In aller Ruhe unterhielt er sich mit seinen Fahrerkollegen über Dieses und Jenes und lauschte ihren Geschichten. "Es war schön, sich mit den Fahrern einmal in Ruhe austauschen und unterhalten zu können", sagte Schumacher. "An normalen Rennwochenenden hat man kaum Zeit dafür. Bei diesem Event waren alle sehr gut drauf und es herrschte kein Stress. Jeder dieser Jungs ist eine Persönlichkeit und es ist umso schöner, wenn das Ganze auch im Privaten stimmt."

Schumacher auf der Renn-Ducati, Foto: Monster/Milagro
Schumacher auf der Renn-Ducati, Foto: Monster/Milagro

Es war ein Zusammentreffen Gleichgesinnter mit dem gleichen Ziel: Spaß zu haben am Fahren. Mit dabei war auch Keith Flint, Frontmann der Kultband 'The Prodigy', und selbst passionierter Motorradfahrer. "Ich musste mich mental zwicken, um zu realisieren, dass ich mit Jungs wie Michael fahren darf", war er beeindruckt. Randy Mamola, der häufig in Schumachers Box anzutreffen war und sich mit ihm über die Streckenverhältnisse und Setup des Bikes unterhielt, sagte: "Michael ist einer der Größten aller Zeiten und wir sind immer stolz, ihn im Motorrad-Fahrerlager willkommen zu heißen. Er hat immer einen Platz bei uns."

Worte, die Schumacher rührten und im Innern wird er die Einladung gern angenommen haben. "Ich werde sicherlich öfter an der Strecke sein und mit Freunden ein paar Runden drehen", sagt er. "Aus zeitlichen Gründen hatte ich in den vergangenen Jahren nicht so viele Möglichkeiten, dies zu tun." Die Zeit hat er nun. Ohne Druck, ohne Stress.