Fernando Alonso gegen Sebastian Vettel, so lautet aller Wahrscheinlichkeit nach das Duell um die Weltmeisterschaft. Der Red-Bull-Pilot liegt sechs Rennen vor dem Saisonende 29 Punkte hinter dem Spanier und konnte zuletzt mit seinem Sieg in Singapur sowohl wichtige Zähler als auch Selbstvertrauen im Titelkampf sammeln. Davon, dass es nicht nur auf die fahrerische Komponente, sondern auch auf die mentalen Eigenschaften ankommt, ist Red Bulls Motorsport-Berater Dr. Helmut Marko überzeugt.

"Wenn wir die mentalen Fähigkeiten der beiden vergleichen, dann muss man feststellen, dass Sebastian mit Alonso einsam an der Spitze steht", erklärte der Österreicher. "Je größer der Druck, desto besser reagiert er darauf, desto besser werden seine Ergebnisse." Der Grund dafür liege laut Marko an Vettels unglaublich großem Willen zur Perfektion. "Er weiß, was er will, und er weiß, wie man das erreicht. Wenn er einen Schwachpunkt entdeckt, dann arbeitet er intensiv daran, bis der Schwachpunkt beseitigt ist."

Unterschiede im Oberstübchen

Während zahlreiche Piloten ihre Boliden gut beherrschen würden, käme es laut Marko vor allem auf die mentale Stärke an, die Sieger zu Siegern macht. "Die Unterschiede spielen sich im Oberstübchen ab", ließ er im Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wissen. Als Beispiel nannte der gebürtige Grazer dafür das Rennen in Spa, wo sich Vettel erst aus dem Mittelfeld nach vorne kämpfen musste und seine Strategie im Laufe des Grand Prix umstellte. Der Heppenheimer entschloss sich dazu, die Überholmanöver in der Schikane vor Start und Ziel zu setzen, da der RB8 auf der langen Kemmel-Geraden über zu wenig Speed verfügte. "Da hat sonst niemand überholt. Er ist noch Zweiter geworden."

Begeistert zeigte sich Marko auch von Vettels Fähigkeit, selbst in den schwierigsten Situationen mit dem Kommandostand kommunizieren zu können. "Wir hatten schon Fahrer, da musste man auf Antworten warten, bis die Strecke wieder schnurgerade war, bis der mal mitgekriegt hat, was wir wollten, und er antworten konnte", verriet er. "Wenn Sebastian mit 300 durch eine Kurve fährt, dann liegt diese Situation für ihn gedanklich schon in der Vergangenheit. Er fährt seinem Auto voraus. Andere müssen alles an fahrerischem Können und Konzentration aufbringen, um überhaupt durch die Kurve zu kommen. Die haben keine Kapazität mehr für Gedankenspiele im Kopf."

Vettel kann seine Freude nicht immer zeigen, Foto: Sutton
Vettel kann seine Freude nicht immer zeigen, Foto: Sutton

Da jedoch niemand auf dieser Welt perfekt ist, verfügt auch Sebastian Vettel über die eine oder andere Schwäche. "In der Anfangsphase war er zu ungeduldig. Ihm, aber auch uns als Team, hat die Reife gefehlt, etwa in Spa 2010, wo er bei einem Überholmanöver in Jenson Buttons McLaren hineingefahren ist", erzählte Marko. "Wäre es ihm gelungen, dann wäre er zweifellos der Held gewesen." Auch die Szene, als Vettel in Ungarn hinter dem Safety Car einen Fehler beging und als Führender eine Durchfahrtsstrafe aufgebrummt bekam, stieß dem 69-Jährigen sauer auf.

Schlussendlich erreichte Vettel bei diesem Rennen noch den dritten Rang, seine Freude darüber hielt sich jedoch in Grenzen. "Aber dann schaute er auf dem Podium so verdrießlich drein", kritisierte Marko. "Da habe ich ihm gesagt, dass viele hundert Leute für ihn arbeiten, dass für die meisten Fahrer so ein Ergebnis das Größte in ihrer Karriere wäre. Er müsse so viel Disziplin aufbringen und seinen Ärger hinunterschlucken. Das hat er verstanden. Er hat schon Ehrgeiz, aber der muss produktiv sein."

Attacken auf Red Bull?

Der zweimalige Weltmeister schrieb 2008 Geschichte, als er sich in Monza zum jüngsten Sieger krönte und deutete bereits damals an, welch großes Potenzial in ihm schlummert. Das Ende der Fahnenstange sei jedoch noch lange nicht erreicht. "Denn jetzt kommt noch die Erfahrung dazu", führte Marko aus. "Er wird sich steigern können, ohne das Risiko erhöhen zu müssen, ohne das Material mehr zu strapazieren. Anders gesagt: Er wird in Zukunft noch schneller fahren können und gleichzeitig die Reifen mehr schonen. Da ist noch Spielraum nach oben." Man müsse jedoch keine Angst haben, dass aufgrund der vielen Erfolge die Motivation abhandenkommen könnte. "Wir schauen uns schon an, was die ganz Großen im gleichen Zeitraum erreicht haben. Es gibt immer neue Ziele."

Zu diesen Zielen zählt freilich der Gewinn der Weltmeisterschaft 2012, wofür man sich bei Red Bull nach dem Triumph im Nachtrennen nun gut gerüstet sieht. "Wir versuchen alles. Wir hatten einige Schwächen am Auto. Jetzt gibt es noch sechsmal 25 Punkte zu gewinnen. Das ist viel, aber ich schau gar nicht darauf, solange es noch so viel zu gewinnen gibt", gab Marko die Marschrichtung vor.

Dass in dieser Phase der Weltmeisterschaft seitens der Konkurrenz allerhand Tricks und Kniffe ausgepackt werden, um sich den entscheidenden Vorteil zu verschaffen, überrascht dabei nicht. "Wir werden massiv angegangen", verriet Marko, der eine Rot-Silberne Allianz gegen sein Team wittert. "Es ist schon interessant zu sehen, dass McLaren und Ferrari, die jahrzehntelang verfeindet waren, jetzt plötzlich Freunde sind." Der Grund dafür liege auf der Hand: "Uns ist bewusst, dass die Anfangseuphorie über unseren Einstieg 2005 inzwischen verflogen ist. Denn die arrivierten Teams aus der Automobilbranche werden von einem Energiedrink-Hersteller vorgeführt. Das freut jetzt keinen mehr."