Dass Jacques Villeneuve kein Blatt vor den Mund nimmt ist bekannt: Nun knöpft sich der Ex-Weltmeister die heutige Fahrergeneration, deren Benehmen auf und abseits der Strecke, sowie Reifenhersteller Pirelli und dessen Einfluss auf die seiner Meinung nach künstlich spannend gemachten Rennen der modernen Formel 1 vor. Ein Bild vom aktuellen Stand der Dinge kann sich Villeneuve schon am kommenden Wochenende beim Großen Preis von Kanada machen - an der Strecke, die nach seinem legendären Vater benannt ist, ist er zu diversen Feierlichkeiten rund um den 30. Todestag der Ferrari-Legende zu Gast.

Auch für das britische Fernsehen soll Villeneuve vor Ort als Experte arbeiten. Besonders angetan vom derzeitigen Geschehen in der modernen Formel 1 zeigte er sich vorab allerdings nicht. "Ich bin im Moment kein besonders großer Fan", gab der 41-Jährige zu. Neben dem Lotteriecharakter, den die Rennen mittlerweile angenommen hätten, läge das vor allem an den farblosen Piloten, die heutzutage die Cockpits besetzen würden - echte Typen seien Mangelware, besonders im Vergleich zu den goldenen Zeiten, in denen sein Vater noch fuhr. "Damals war man nicht schon mit zwölf Jahren Rennfahrer, bestens unterstützt durch großzügige Finanzierung", so Villeneuve.

Kindergarten Formel 1

"Sie mussten noch dafür kämpfen und schwitzen - nicht so wie die kleinen Vatersöhnchen, die wir heute zum Großteil haben", schimpfte der Champion von 1997. Mit Blick auf die aktuelle Fahrergeneration meinte er: "Sie fahren Formel 1, sind aber noch Kinder, Säuglinge - und so werden sie auch behandelt." Nicht nur neben sondern auch auf der Strecke sei vielerorts unreifes Verhalten erkennbar. Die Risiken des Rennsports würden daher oftmals unterschätzt. "Ich glaube, in den Zeiten als die F1 gefährlich war, vor 20 oder 30 Jahren, war die Gefahr zu sterben sehr hoch - also haben sich die Fahrer untereinander nicht so verhalten."

Kollision in Barcelona: Villeneuve nimmt Schumacher in Schutz, Foto: Sutton
Kollision in Barcelona: Villeneuve nimmt Schumacher in Schutz, Foto: Sutton

"Es gab diesen besonderen Respekt", meinte Villeneuve. "Auch gab es eine Art Gemeinschaftsgefühl und ein paar Fahrer, die wirklich hart arbeiten mussten, um überhaupt in den Rennsport zu kommen." Heute müsse man den mangelnden Zusammenhalt an und auf der Strecke beklagen. "Jeder scheint vergessen zu haben, dass die F1 gefährlich ist. Eines Tages wird wieder etwas passieren und dann wird es als Überreaktion eine Vielzahl neuer Regeln geben", prophezeite Villeneuve. "Sie denken alle, das hier ist ein Videospiel - aber das ist es nicht. Es ist sehr, sehr gefährlich und hart."

"Wenn man sich zum Beispiel Bruno Senna in Barcelona ansieht - der fährt nicht einmal im selben Rennen. Er wird schrecklich langsam und blockiert Jungs, die um die Punkte kämpfen", sagte Villeneuve mit Blick auf die Kollision des Brasilianers mit Michael Schumacher. Der Mercedes-Pilot und Ex-Rivale Villeneuves war am Ende der Start-/Zielgeraden auf Senna aufgefahren und wurde dafür von der Rennleitung mit einer Rückversetzung um fünf Startplätze für das Rennen in Monte Carlo bestraft. Villeneuve sah die Situation jedoch anders. "Auch für Anfänger ist das nicht besonders intelligentes Fahren."

Kritik an den Reifen

"Aber wenn man auf der Geraden mir nichts dir nichts rüberzuckt, dann ist das auch einfach falsch", kritisierte der ehemalige Williams-Pilot. Ebenso wenig wie das Verhalten vieler Fahrer auf der Strecke, gefiel ihm die Rolle, die die Pirelli-Reifen in jüngster Vergangenheit vermehrt gespielt hätten. "Eigentlich gibt es nur noch sehr wenig, was die Fahrer überhaupt machen können. Der Reifen baut schlagartig ab und das ist nun wirklich nicht das Niveau, auf dem sich die Formel 1 befinden sollte", ärgerte sich der elffache Grand-Prix-Sieger. Dass mittlerweile fast jeder Fahrer im Feld Siegchancen habe, sei auf Dauer nicht gutzuheißen.

In sechs bisherigen Saisonrennen 2012, gab es sechs verschiedene Sieger. Überraschungen, wie etwa Pastor Maldonados Sensationssieg in Barcelona, würden nun schon fast zur Tagesordnung gehören. "Es macht immer Spaß, zu sehen, dass ein Underdog auch mal die etablierten Kräfte schlagen kann. Aber normalerweise passiert so etwas nur gelegentlich", so Villeneuve. "Nun scheint das aber schon fast der Regelfall zu sein." Für den Kanadier wenig zufriedenstellend: "Es ist nicht logisch - der Beste sollte gewinnen."