Zwei Themen bestimmen die bisherige Saison: die sensationelle Ausgeglichenheit des aktuellen Formel-1-Feldes und die Pirelli-Rennreifen. Auch aus Sicht des Motorenherstellers Renault ist das schwarze Gold von höchster Bedeutung. Denn als einzige Verbindung zwischen Auto und Straße bringen die Reifen schließlich die Motorleistung auf den Asphalt.

David Lamb, der Motoreningenieur von Renault Sport F1 im Partnerteam Williams, weiß um die Bedeutung eines idealen Zusammenspiels von Pneus und Power. "Bei den ersten beiden Saisonrennen spielte der Reifenverschleiß kaum eine Rolle. In Shanghai und Bahrain rückte er aber sehr in den Vordergrund - das Reifen-Management wurde plötzlich zu einem der Schlüsselfaktoren für die Renn-Performance. In der Regel lassen die Hinterreifen zuerst nach, weil sie beim Beschleunigen und Runterschalten die größeren Lasten schultern müssen. Und da das Motoren-Mapping auf diese beiden Punkte erheblichen Einfluss hat, wussten wir, dass wir unseren Partnern beim schonenden Umgang mit den Reifen helfen können", erklärt der Brite.

Aus und An verstärkt Verschleiß

"Wenn der Fahrer vom Gas geht, werden die Hinterreifen entlastet - sobald er wieder beschleunigt, wirken die Kräfte umso heftiger. Dieses ständige Aus-An der Belastung verstärkt den Verschleiß. Und wenn du dann noch ein Rad beim Bremsen blockierst, kostet das nicht nur Zeit, es heizt den Reifen auch auf; das beschleunigt den Abbau nochmals."

"Wir versuchen über das Motor-Management unter anderem, das Blockieren der Hinterräder zu vermeiden und so die Lebensdauer der Pneus zu erhöhen. Die erste Maßnahme besteht darin, dass wir auch im Schubbetrieb immer etwas Drehmoment aufrechterhalten. Auch wenn der Fahrer den Fuß komplett vom Gaspedal nimmt, liefert das Triebwerk etwas Leistung. Das geschieht über die erlaubten Mapping-Einstellungen innerhalb der Standard-Software."

Die Rennsituation bestimmt das Drehmoment, Foto: Sutton
Die Rennsituation bestimmt das Drehmoment, Foto: Sutton

"Dieser Eingriff stabilisiert das Heck beim Bremsen und verhindert ein Blockieren durch eine zu starke Motorbremse - im Ergebnis leben die Reifen länger. Die Leistung wird natürlich trotzdem stark heruntergeregelt, denn seit dieser Saison ist es bekanntlich verboten, dass bei null Prozent Gaspedalstellung gleichviel oder mehr Drehmoment geliefert wird. Die Fahrer haben drei oder vier Stufen zur Verfügung, um diese Funktion nach ihren Wünschen einzustellen. Welche sie wählen, hängt auch von der jeweiligen Rennsituation ab."

Vorteile und Nachteile

Das Konzept klingt erst mal schlüssig und simpel. Aber wie alles im technisch anspruchsvollsten Sport der Welt muss jeder Vorteil gegen mögliche Nachteile abgewogen werden. "Fakt ist, dass dieser Kunstgriff den Spritverbrauch leicht erhöht. Er steigt exponentiell, je nachdem, wie viel Schub du beibehältst", räumt Lamb ein. "Der Verbrauch kann um bis zu ein oder zwei Prozent pro Runde steigen. Das summiert sich auf rund drei Kilo Mehrgewicht beim Rennstart. Dieses Gewicht kostet dich unweigerlich etwas Rundenzeit, wenn auch nur ein paar Hundertstelsekunden. Ironischerweise trägt das Benzin, das du mitnimmst, um die Reifen zu schonen, durch sein Gewicht auch zu deren Verschleiß bei."

Ebenfalls zu bedenken: Die durchschnittliche Motortemperatur geht in die Höhe. "Wenn du das Triebwerk mit diesem sogenannten Overrun betreibst, läuft der Motor eine längere Zeit unter Schub. Also steigen auch die Betriebstemperaturen. Das dürfte hier in Barcelona kein Problem darstellen, aber in Bahrain waren wir wegen der hohen Lufttemperaturen schon nah am Limit."

Doch die Ingenieure von Renault haben neben dem Overrun noch andere Pfeile im Köcher. Das Mapping des Gaspedals etwa ist heute so wichtig wie nie zuvor, betont Lamb. "Diese Pedal-Maps wirken sich auf den Reifenverschleiß aus, weil sie bestimmen, wie viel Drehmoment bei bestimmten Gaspedalstellungen abgerufen wird. Nehmen wir ein etwas extremes Beispiel. Ein Fahrer sagt: 'Ok, wenn ich 30 Prozent Gas gebe, möchte ich 15 Prozent des maximal möglichen Drehmoments.' Ein weiches Pedal-Mapping ermöglicht auf dem ersten Teil des Pedalweges eine relativ große Spreizung des abgerufenen Drehmoments. Zwischen null und 50 Prozent Pedalweg könnte er zum Beispiel null bis 80 Prozent der Power bekommen."

Minimum und Maximum

"Je weiter das Pedal jedoch durchgetreten wird, umso mehr gleichen sich Pedalstellung und Leistungsabgabe an. Der Grund für diesen weniger progressiven Verlauf im oberen Leistungsbereich ist, dass das Reglement zwei Eckpunkte des Pedal-Mappings vorgibt: Bei null Prozent der Gaspedalposition muss das minimale, bei 100 Prozent das maximale Drehmoment anliegen. Wenn du also in einem bestimmten Bereich eine stärkere Progression vornimmst, wird die Kurve in einem anderen Bereich dafür flacher ausfallen."

Für jede Kurve gibt es eine andere Programmierung, Foto: Sutton
Für jede Kurve gibt es eine andere Programmierung, Foto: Sutton

"Diese Einstellung wirkt sich deutlich auf die Art und Weise aus, wie die Reifen beansprucht werden. Sie wird spezifisch für jeden Fahrer und jede Strecke programmiert - und manchmal sogar von Kurve zu Kurve, damit die Räder beim Beschleunigen möglichst wenig durchdrehen. Für uns als Ingenieure ist das Pedal-Mapping eine der interessantesten Herausforderungen."

"Die Regeln limitieren diese Eingriffe natürlich, damit wir nicht durch die Hintertür eine neue Art Traktionskontrolle einführen. Die FIA untersucht diesen Bereich ganz genau, besonders die Einstellungen für das Startprozedere. Wir arbeiten in den Freitagstrainings mittlerweile sehr intensiv daran, die Pedal-Maps für jeden Fahrer und jede Kurve zu programmieren. Wir möchten, dass die Piloten in unseren Partnerteams mit dem Ansprechverhalten, dem Pedalgefühl und der Leistungsabgabe glücklich sind."

Bahrain als Motivationsschub

Dass die Ingenieure von Renault beide Aspekte gut im Griff haben, belegt die aufsteigende Form der Partnerteams. Den bisherigen Höhepunkt bildete der Bahrain-Grand Prix, als Piloten mit Renault-Power die ersten vier Plätze belegten. "Für den Europa-Auftakt in Spanien war das noch mal ein fantastischer Motivationsschub", unterstreicht Lamb.