Ein paar Rennen lang mussten sich Sebastian Vettel und Red Bull vorwerfen lassen, sie würden nicht mehr aggressiv genug zu Werke gehen, würden ihren Vorsprung in der WM nur noch verteidigen wollen. Wie weit weg von der Wahrheit diese Theorie ist, zeigte sich freilich in Spa, wenn auch eher unfreiwillig für die Bullen. Denn da gingen Vettel und sein Team in Sachen Reifen ein hohes Risiko ein – mit dem Ergebnis, dass es nach dem Rennen sogar zum Krach mit Pirelli kam.

Denn Red-Bull-Technikchef Adrian Newey hatte nach den Problemen mit der Blasenbildung an den Vorderreifen, die Vettel und auch Webber teilweise plagten, in einem Interview mit der britischen BBC die Pirelli-Reifen als "Sicherheitsrisiko" bezeichnet.

Verärgerung bei Pirelli

Was bei dem italienischen Hersteller angesichts der inzwischen ans Licht gekommenen Vorgeschichte für ziemlichen Ärger sorgte. "Hätten sie sich an unsere Vorgaben gehalten, hätten sie auch keine Probleme bekommen", ärgerte sich Pirelli-Motorsportchef Paul Hembery. Im ersten Moment sprach man bei den Italienern sogar von der Möglichkeit einer Klage, sollte Newey seine Äußerungen nicht zurück nehmen.

Der Vettel-Finger kam wieder zum Vorschein, Foto: Sutton
Der Vettel-Finger kam wieder zum Vorschein, Foto: Sutton

Inzwischen hört man nichts mehr – wahrscheinlich ist auch Pirelli klar, dass so etwas nicht mehr bringt als zusätzliche öffentliche Diskussionen, während ansonsten ziemlich schnell Gras über die ganze Sache wachsen wird. Wobei man beim Hersteller ja sowieso immer betonte, die Probleme hätten sich mehr auf Performance als auf echte Haltbarkeit und damit Sicherheit bezogen.

Worüber man sich aber bei Red Bull zunächst einmal alles andere als sicher war: Als man sich nach dem Qualifying die Reifen betrachtete, kam der große Schreck: "Da fehlten richtig große Stücke auf der Lauffläche und wir wussten nicht, ob sie überhaupt halten würden und nicht platzen", erzählte Sebastian Vettel.

Risiko?

Da das Reglement vorschreibt, dass mit dem Satz aus dem Qualifying auch der Start gefahren werden muss und sich die FIA nicht auf eine Ausnahmeregelung einließ, diskutierte man bei Red Bull vor dem Rennen lange: "Risiko gehen, alles lassen, wie es ist, recht früh an die Box kommen und hoffen, dass dann mit den weiteren Sätzen alles irgendwie hält?" Oder auf Nummer sicher gehen, sich einen neuen Satz Reifen geben lassen, dann auch gleich die Abstimmung ein bisschen ändern, so dass das Problem nicht mehr auftritt, dafür aber von hinten aus der Boxengasse starten und wahrscheinlich alle Siegchancen begraben müssen?

Sebastian Vettel ließ sich den Sieg nicht nehmen – auch nicht vom Reifenrisiko, Foto: Sutton
Sebastian Vettel ließ sich den Sieg nicht nehmen – auch nicht vom Reifenrisiko, Foto: Sutton

"Wir haben mit den Fahrern gesprochen und haben ihnen die Informationen von Pirelli gezeigt", erzählte Teamchef Christian Horner nach dem Rennen. "Wir haben Ihnen gesagt: 'Unserer Meinung nach ist das Risiko eines Defekts minimal. Seid Ihr bereit, das einzugehen?' Sie mussten uns einfach glauben. Niemand im Team fühlte sich wirklich wohl damit. Wir mussten auf das Feedback der Spezialisten vertrauen."

Ein echter Racer

Die Fahrer machten mit – allerdings nicht mit großer Begeisterung. "Es war eine Fahrt ins Ungewisse", meinte Sebastian Vettel nach dem Sieg. "Durch Eau Rouge und Blanchimont war immer ein unwohles Gefühl dabei" – dort ist man mit mehr als Tempo 300 unterwegs, ein Abflug hat, bei aller Sicherheit von Strecke und Autos, unkalkulierbare Folgen...

Trotzdem ließ sich der Weltmeister auf das Risiko ein. Der Sieg in Spa – einer, der in seiner Liste noch fehlte, einer der ihm besonders viel bedeutete – war ihm so wichtig, dass er alle Bedenken beiseite schob. Unter WM-Aspekten hätte er das nicht tun müssen, dass er auch von hinten mindestens in Richtung Platz drei nach vorne fahren könnte, war ihm sicher klar.

Aber er bewies, dass er eben doch der echte Racer ist, der um jeden Preis gewinnen will. Speziell nach drei sieglosen Rennen in Folge. Und wie er das dann umsetzte, mit kompromisslosen Überholmanövern nach den frühen ersten Stopps, das war schon wieder einmal mehr als eindrucksvoll. Selbst die Engländer, die ihm ja immer gern unterstellten, er könne nur von vorne gewinnen, und seine "Racerqualitäten" immer wieder mal in Frage stellten, hatten diesmal nichts zu meckern und zollten höchste Anerkennung. Und das will schon was heißen!