Boxenfunk: "Freie Fahrt, schnapp ihn dir". Nah genug dran, Windschatten passt. Schaltwippe ziehen - Gangwechsel. An den Konkurrenten ansaugen, Gas geben. KERS-Knopf aktivieren und am Vordermann vorbei ziehen. Dann scharfe Rechtskurve: rechtzeitig die Tür zumachen, rüber ziehen, runter bremsen, Einlenken. Geschafft. Ein knapp zehnsekündiger Ausschnitt eines Formel-1-Rennens. Stress pur für Mensch und Maschine.

Schier unzählige Vorgänge passieren im Verlaufe eines Rennens - viele davon am Lenkrad. Mehr als 20 Schalter und Knöpfe wollen gedrückt, gehalten oder losgelassen werden. Für die anstehende Saison werden die Fahrer mit zwei weiteren Knöpfen konfrontiert: dem KERS-Knopf und dem Regulator des verstellbaren Heckflügels. Motorsport-Magazin.com hat sich gemeinsam mit F1-Experte Christian Danner die komplizierte Situation hinterm Volant einmal genauer angeschaut.

"Das Lenkrad ist viel zu überladen"

Das Lenkrad ist schon lange nicht mehr nur zum Lenken da. Neben den Schaltwippen bilden Schalter und Knöpfe das Gros dieses Multifunktions-Gerätes, das seine runde Form schon vor Jahren verloren hat. Das Verstellen der Bremskraftverteilung auf Vorder- und Hinterräder, Verändern der Traktionskontrolle und des Differentials, das Aktivieren der Startautomatik oder des Geschwindigkeitsbegrenzers - die Möglichkeiten reichen fast bis ins Unendliche.

Futuristisch angehaucht: Das Lenkrad von Force India, Foto: Sutton
Futuristisch angehaucht: Das Lenkrad von Force India, Foto: Sutton

"Das Lenkrad ist viel zu überladen und gehört bereinigt", erläutert Danner seine Sicht der Dinge. "Es ist ein Punkt erreicht, an dem man einfach nicht viel mehr machen kann. Funken, den Limiter aktivieren - einfach ist das alles nicht. Am Lenkrad ist schlichtweg zu viel dran." Im Hinblick auf die Rückkehr des KER-Systems und des neuartigen Heckflügel ist sich der ehemalige Formel-1-Fahrer allerdings sicher, dass sich die Piloten an die neuen Gegebenheiten gewöhnen werden: "Es gehört dazu, als wenn man einen Gang höher schaltet."

Von KER-Systemen und Schlagzeugern

Sebastian Vettel teilt diese Meinung nach den Testfahrten mit seinem RB7. "Man muss viele Knöpfe drücken, manchmal drückt man die falschen, aber daran muss man sich einfach gewöhnen. Übung macht den Meister", erklärte der Weltmeister. Man müsse die Situation mit der eines Schlagzeugers vergleichen, die die Hände und Füße koordinieren muss. "Man kann nicht auf Anhieb die besten Songs spielen", so Vettel.

Nehmen wir das Lenkrad einmal auseinander. Schnell wird klar, dass der Begriff "Lenkrad" im eigentlichen Sinne kaum noch gegeben ist. Kontrollzentrum, Schweizer Taschenmesser der Formel 1 oder Multitasking-Tool auf Steroiden sind Bezeichnungen, die das einst Runde treffender beschreiben. So besteht ein Lenkrad aus rund 120 Einzelteilen und schlägt mit gut 25.000 Euro zu Buche. Für die Konstruktion der individuell auf den Fahrer angepassten Bedienelemente werden 100 Arbeitsstunden veranschlagt. Heraus kommt ein 1,3 Kilo leichtes, hauptsächlich aus Karbon gefertigtes, kleines Meisterwerk der Technik.

Die Fans können sich auf etwas gefasst machen

Knöpfe und Schalter en masse - und daneben auch noch komplizierte Rennaktionen. Da passieren schnell mal Fehler. Gerade bei Überholmanövern per Heckflügel müssen die Fahrer voll konzentriert sein. Die F1-Neuheit bewirkt einen enormen Zugewinn an Speed. "Es ist sehr kompliziert, man muss sich erst daran gewöhnen", sagte Nico Rosberg. Auch beim KERS wird es nicht einfacher - im Gegenteil: "Denn man muss nicht nur einen Knopf drücken, sondern diesen auch für eine bestimmte Zeit gedrückt halten. Das ist echt nicht ohne", gibt der Mercedes-Pilot zu Bedenken.

Sebastian Vettels Weltmeister-Lenkrad, Foto: Sutton
Sebastian Vettels Weltmeister-Lenkrad, Foto: Sutton

Danner erzählt, dass der Umgang mit den zahlreichen Bedienelementen von Fahrer zu Fahrer unterschiedlich sei. "Manche drehen dran herum, manche lassen sie stehen und wieder andere lassen sie nur über Funk verstellen." Im Endeffekt handele es sich jedoch um reine Automatismen, die sich mit der Zeit einstellen würden.

Trotz - oder gerade wegen - der Herausforderungen blickt Danner aufgeschlossen in Richtung der anstehenden Saison: "Die Überholmanöver werden sich voraussichtlich häufen, es kommt zu mehr Durcheinander. Das könnte interessant werden." Danner schildert ein konkretes Beispiel, worauf sich die Fans gefasst machen könnten. "Nehmen wir mal an, Vettel führt knapp vor Alonso, dahinter Hamilton. Das Trio erreicht die Gerade, auf der der Heckflügel benutzt werden darf. Erst drückt Alonso den Knopf, dann Hamilton. Das wird schon lustig, wenn die drei bremsend in die Kurve fahren."

Wie das Bändigen eines Biestes

Zurück zum Lenkrad: Neben den Schaltern und Knöpfen findet man am Volant auch noch Schaltwippen. Auch daran mussten sich die F1-Piloten einst gewöhnen, doch es war ein lohnender Aufwand wenn man bedenkt, dass während eines Rennens rund 3000 Mal der Gang gewechselt wird. Bereits Ende der Achtziger Jahre installierte Technik-Guru John Barnard das System im Auto von Rennfahrer-Legende Nigel Mansell. So konnte er schalten, ohne die Hände vom Lenkrad nehmen zu müssen - eine Revolution.

So sah das BMW-Lenkrad anno 2002 aus, Foto: Sutton
So sah das BMW-Lenkrad anno 2002 aus, Foto: Sutton

Danner erinnert sich noch gut an die Zeit, als es in der Königsklasse noch traditionell zuging im Cockpit. "Als ich gefahren bin, war es unheimlich schwierig, richtig zu schalten. Eine Hand am Lenkrad, eine am Schalthebel - sauschwer, das Getriebe dabei nicht kaputt zu machen", blickt Danner auf die Zeit von 1985 bis 1989 zurück, als er selbst noch in der F1 unterwegs war. Neben den praktischen Schaltwippen träumte man damals nicht einmal von der Servo-Lenkung. "Da hat man sich richtig ranhalten müssen", erklärt Danner: "Das war sehr anstrengend und schwierig in Verbindung mit der unbändigen Power der Boliden. Das war wie das Bändigen eines Biestes."

Bitte das Rennen nicht vergessen

Heute gibt es mehr als 20 Knöpfe, früher allerhöchstens ein Hupe - ist die Formel 1 im Vergleich zu früher anspruchsvoller geworden? Laut Danner ist das nicht der Fall. Heutzutage brauche es mehr Finesse und Feingefühl, um das Auto richtig unter Kontrolle zu haben. "Die Bedienbarkeit hat sich verändert, aber die Schwierigkeiten sind gleich geblieben", bringt es der TV-Kommentator auf den Punkt.

Dank KERS und dem verstellbaren Heckflügel hat sich der Umfang der Bedienbarkeit sogar nochmals gesteigert. Bis zum Saisonauftakt bleibt den Fahrern immerhin noch ein wenig Zeit, sich mit den neuen Gegebenheiten vertraut zu machen. Dann darf wieder nach Herzenslust gedrückt und geschaltet werden, was das Zeug hält - aber bitte das Rennen nicht vergessen.