Die Rennstrecken von heute sind hochmodern, aber ohne Charakter - das war nicht immer so. Das Motorsport-Magazin stellt fünf Charakter-Rennstrecken vor, die in Vergessenheit geraten sind.

1. Avus Berlin

Mit einer Spitzengeschwindigkeit von knapp 400 km/h raste Herman Lang am 30. Mai 1937 mit seinem Silberpfeil auf der Avus zum Sieg. Der Kurs in Berlin bestand aus zwei langen Geraden, verbunden durch zwei Kurven (Nord- und Südkehre). Mit der Erhöhung der Nordkurve wurde die Avus zur schnellsten Strecke der Welt, aber auch zur Todesfalle für zahlreiche Piloten. Beim Großen Preis von Deutschland 1959 schoss Jean Behras mit seinem Porsche über den äußeren Rand der Nordkurve hinaus und prallte gegen einen Fahnenmast.

Es war nicht der erste tragische Unfall dieser Art. 1926 überschatteten gleich vier Todesfälle das erste ausgetragene Rennen auf der Berliner Strecke. Ihren Bau verdankt die Rennstrecke den deutschen Renn-Misserfolgen des 20. Jahrhunderts. Um den Wettbewerbsnachteil gegen die Engländer und Franzosen aufzuholen, ließ Kaiser Wilhelm II. eine permanente Rennstrecke bauen. Das Bauprojekt bekam den Namen "Automobil- und Verkehrsübungsplatz", kurz "Avus".

2. Watkins Glen

Jim Clark 1961 in Aintree, Foto: Sutton
Jim Clark 1961 in Aintree, Foto: Sutton

12 Schwerverletzte, 1 Kind getötet. Erst nach dieser traurigen Bilanz wurden die Rennen in Watkins Glen, die bis 1952 auf öffentlichen Straßen stattfanden, gestoppt und eine permanente Rennstrecke gebaut. Ein Jahr zuvor war bereits Sam Collier ums Leben gekommen, als er sich mit seinem Ferrari auf der Strecke überschlug. 1961 ging der erste F1-Grand-Prix auf dem Kurs, der um eine bewaldete Bergkuppe herum gebaut worden war, über die Bühne. "The Glen" wie der Kurs von den Fans und Einheimischen genannt wurde, zählte zu den gefährlichsten Rennstrecken der Welt.

1973 starb Francois Cevert in seinem Tyrell, woraufhin das Team sich vom Rennen zurückzog und Teamkollege Jackie Stewart nicht mehr zu seinem 100. F1-Rennen kam. Auch der Österreicher Helmut Koinigg auf Surtees hatte ein Jahr später keine Chance, als sein linker Hinterreifen platzte. Die Verantwortlichen reagierten auf die steigenden Todesfälle, indem sie Watkins Glen entschärften. Der Kurs wurde verbreitert und auf 5,47 Kilometer verlängert. Die Formel 1 blieb "The Glen" bis 1980 treu.

3. Adelaide Circuit

"Adelaide ist ein echt harter Straßenkurs im amerikanischen Stil. Die Betonmauern auf jeder Seite lassen keinen Fehler zu und die Gerade zurück ist unglaublich schnell. Ein Regenrennen kann in Adelaide ziemlich Furcht einflößend sein, aber das ist auch der Grund, warum wir die Strecke so lieben", erzählte einst Martin Brundle. Ähnlich wie in Monaco wurden für das F1-Rennen in Adelaide normale Verkehrsstraßen abgesperrt und Zuschauertribünen errichtet.

Die Formel 1 reiste gerne nach Adelaide, Foto: Sutton
Die Formel 1 reiste gerne nach Adelaide, Foto: Sutton

Lediglich der letzte und erste Streckenabschnitt vor der Start- und Zielgeraden waren als permanente Rennstrecke ausgelegt. Mika Häkkinen verbindet ganz spezielle Erinnerung mit Adelaide. 1995 erlebte der Finne im Freien Training einen Horrorcrash. Er schlitzte sich in der Highspeedkurve Malthouse Corner seinen Reifen auf, drehte sich von der Strecke und prallte gegen die Mauer. Nur durch einen sofortigen Luftröhrenschnitt konnte Häkkinen gerettet werden. Heute sagt er: "Ohne diesen schrecklichen Unfall wäre ich niemals zweifacher Weltmeister geworden."

4. Circuit de Reims Gueux

Reims Gueux bestand aus einem Dreieckskurs auf den öffentlichen Straßen D 27, D 26 und RN 31 und zählte neben Spa-Francorchamps und Monza zu den schnellsten Rennstrecken Europas. 1954 durfte sich Juan Manuel Fangio über 50 Flaschen Champagner freuen, als er im Freien Training mit seinem stromlinienförmigen Mercedes-Benz W196 die "Schallmauer" von 200 km/h durchbrach. Zwei Jahre später setzte Fangio noch einen drauf, als er im Rennen eine Runde eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 204,980 km/h in den Asphalt brannte.

Beim letzten F1-Grand-Prix 1966 kam Lorenzo Bandini im Freien Training auf einen Schnitt von über 230 km/h. Die Windschattenduelle und Ausbremsmanöver vor den Haarnadelkurven forderten nicht nur höchste Motorleistung, sondern verlangten den Fahrern auch Todesmut ab. Zumeist endeten die Duelle in Reims Gueux in schweren Unfällen, wie 1958 als sich der italienische Rennfahrer Luigi Musso mit seinem Ferrari-Teamkollegen Mike Hawthorn auf der Strecke einen Hochgeschwindigkeitszweikampf lieferte und dabei ums Leben kam.

5. Aintree

Auch die Formel 2 fuhr in Reims, Foto: Phipps/Sutton
Auch die Formel 2 fuhr in Reims, Foto: Phipps/Sutton

Mit dem Sieg in Aintree wollte Stirling Moss verhindern, bei Mercedes-Benz als ewige Nummer zwei hinter Teamkollege Juan Manuel Fangio abgeschrieben zu werden. Deshalb lieferte sich der Brite beim Großen Preis von Großbritannien einen Zweikampf der Spitzenklasse. Mit lediglich zwei Tausendsteln Vorsprung überquerte Moss die Ziellinie vor dem Argentinier. Damit sorgten die beiden Mercedes-Benz-Piloten für den zweitengsten Zieleinlauf in der Geschichte der Formel 1.

Aber nicht nur dieses Rennen verbindet man auf alle Zeiten mit der Rennstrecke Aintree, sondern auch eine weit weniger rühmliche Sache - den Gestank. "Der Geruch von den Urinflaschen der Zuschauer wird mir für immer in Erinnerung bleiben", erzählte vor Jahren der renommierte Motorsportjournalist Denis Jenkinson. 1962 ging der letzte F1-Grand-Prix auf der berühmten Rennstrecke nördlich von Liverpool über die Bühne.

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