Reifen sind in der Formel 1 schon lange ein wichtiges Thema, aktuell besonders, denn immer wieder fragen sich die Teams, warum die Gummis bei ihnen von einem Training zum nächsten völlig unterschiedlichen Grip produzieren. Die Jagd nach dem Geheimnis der Reifen beschäftigt viele Köpfe und bei McLaren ist man schon lange auf der Suche. "Aus Ingenieurssicht haben wir schon vor mehr als 15 Jahren entschieden, eine mathematische Simulation der Reifen zu entwerfen. Sie sind sehr komplex. Sie sind das größte Unterscheidungsmerkmal, das man auf ein Auto stecken kann", erklärte Teamchef Martin Whitmarsh bei einem Pressefrühstück in Valencia.

Als sich das Team auf die Suche nach einer mathematischen Formel machte, stieß es auf einen Professor an der technischen Universität in Delft, der als derjenige mit dem besten Verständnis auf dem Gebiet der Reifen galt. "Wir haben mit ihm eine Zusammenarbeit begonnen und erste Modelle entwickelt. Als wir dann mit Michelin kooperiert haben, haben wir sehr ausgefeilte Thermo-Modelle entworfen", meinte Whitmarsh. Außerdem hat sich McLaren von Bridgestone einen der Chefdesigner der japanischen Reifen geholt. "Wir haben eingesehen, dass der Reifen ein wichtiges Element ist und da viele Mühen investiert."

Last und Temperatur

Entscheidend ist dabei, wie viel Belastung auf die Reifen ausgeübt werden kann, denn durch die erzeugte Last wird bestimmt, wie viel Traktion entsteht. "Die Last ist proportional zur Kontaktkraft, die einerseits durch Abtrieb entsteht und dadurch, dass das Aufhängungs-System den höchstmöglichen Mittelwert erreicht. Das andere ist dann der Reifen selbst und welche thermalen Voraussetzungen er hat. Man hat also den Kontaktpunkt der Reifen zur Straße und einige Dinge, die Temperatur generieren", erklärte Whitmarsh. So wird zunächst durch Heizdecken Temperatur geschaffen, doch sobald es ans Fahren geht, entsteht eine komplexe Thermal-Situation.

Reifen machen einiges durch, Foto: Sutton
Reifen machen einiges durch, Foto: Sutton

"Es gibt die Reibung zwischen Reifen und Asphalt, die Oberflächen-Temperatur erzeugt. Dann hat man die Verformung innerhalb der Struktur, wodurch die Arbeitstemperatur erzeugt wird. Wenn sich der Reifen verformt, auf der Geraden oder wenn beim Anbremsen und in der Kurve Last erzeugt wird, dann tritt dieser Effekt ein. Und dann gibt es noch den thermalen Input von den Bremsen", sagte er. Zwar wird durch Kanister versucht, die Temperatur-Abstrahlung von den Bremsen zu verringern, doch es kommt Wärme durch und auch die Bremskühlung beeinflusst die Temperatur innerhalb der Felge. "Die Felgen-Temperatur strahlt dann ebenfalls zum Reifen aus."

Ingenieur vs. Simulation

Dadurch entsteht so schon einmal ein sehr komplexes Modell, doch das verändert sich auch noch dynamisch. Denn auf der Geraden verschwinden die Ladungen oder werden weniger, dafür gibt es mehr Kühlung. In der Kurve gibt es dafür mehr thermalen Input und weniger Luft. "Das ist also alles vorhanden und das legt man dann auf etwas sehr Unlineares um. Das ist unglaublich komplex. Wir haben sehr lange daran gearbeitet. Wenn man alle mathematischen Aspekte modellieren kann und weiter daran arbeitet, sollte ein Punkt erreicht werden, wenn diese Analyse und die Simulation besser ist, als das subjektive Urteil eines erfahrenen Ingenieurs. Vorerst ist der Ingenieur aber besser als das Modell. Aber wenn man sie kombiniert und weiter daran arbeitet, dann entwickelt man ein besseres Verständnis. Die Reifen sind sehr wichtig und die Strecke - also Temperatur, Sauberkeit, Gummiabrieb - ändert sich auch ständig."

Verstanden habe man die Sache jedenfalls noch nicht, meinte Whitmarsh weiter. "Wir wären arrogant und dumm, wenn wir das Gegenteil behaupten würden." Doch er fand die Herausforderung für die Ingenieure sehr interessant. "Es ist unglaublich schwierig und wenn wir es meistern könnten, wären alle Rennen langweilig." Eine besondere Herausforderung stellt das Qualifying dar, denn dort muss alles innerhalb eines kurzen Zeitrahmens genau passen. Und dafür spielen viele Faktoren eine Rolle. Etwa die Beschaffenheit der Reifen-Oberfläche zu Anfang und die ändert sich durch die Temperatur dann auch gleich wieder. "Das ist ein Chemie-Experiment. Der Gummi verändert sich. Man kann sagen, zu Beginn versteht man es, aber dann verändert sich alles."

Das Qualifying-Problem

Und dabei besteht die Schwierigkeit, den Reifen zur richtigen Zeit auf die beste Leistung zu bringen. "Wenn man sich die Leistung eines Reifens im Verhältnis zur Zeit ansieht, dann hat man oft einen ersten Ausschlag nach oben, dann gibt es einen Abfall, danach einen Graining-Abfall, es folgt das Graining-Cleanup und schließlich der Abbau. Das ist sehr komplex. Und man muss den Reifen in dieser einen, kleinen Zone zum Arbeiten bekommen, wo er bestens läuft. Im Qualifying muss man also den Reifen aktivieren, ihn in das Fenster bekommen und dann die eine Runde aus ihm rausholen", erklärte Whitmarsh.

Für die Reifenbauer hatte die Simulations-Arbeit von McLaren auch interessante Aspekte. So konnte Michelin gegen Ende der Zusammenarbeit mit dem Team sogar auf Basis der Analysen entwickelte Reifen im Simulator testen, ohne sie eigentlich bauen zu müssen. "Sie haben dort virtuell 20 Reifen getestet, das war wirklich spannend", meinte er. Was Pirelli betrifft, so war Whitmarsh überzeugt, dass sich das Unternehmen seit seinem letzten Auftritt vor 20 Jahren weiterentwickelt hat. "Damals war es teilweise recht unterhaltsam. Sie hatten fantastische Qualifying-Reifen. Ich denke, sie sind gewachsen und haben sich entwickelt. Wir müssen sehen, wie viel Technologie sie bei sich haben, um uns zu unterstützen. Ich denke, sie haben das und wir werden gut mit ihnen arbeiten können."