Nach acht Wochen Sommerpause hat sich die DTM auf dem Nürburgring zurückgemeldet. Im 1. Freien Training zum fünften von acht Rennwochenenden sicherte sich Mirko Bortolotti im GRT-Lamborghini die Bestzeit. Ein Auftakt nach Maß für den in Wien aufgewachsenen Italiener, der mit der inoffiziellen Halbzeit-Meisterschaft im Gepäck in die Eifel gereist ist.

Nach den bisherigen vier Saison-Events 2022 führt DTM-Debütant Bortolotti die Gesamtwertung mit 89 Punkten an. Mit Sheldon van der Linde (80 Punkte, Schubert-BMW) und Rene Rast (79 Punkte, Abt-Audi) liegen aktuell nur zwei andere Fahrer in direkter Schlagdistanz zum Lambo-Werksfahrer. Die Lücke zum Viertplatzierten Nico Müller (62 Punkte, Rosberg-Audi) ist bereits beträchtlich.

Nürburgring-Test ohne Abt - Rast: "Kein Nachteil"

Nicht nur Bortolotti konnte im 1. Nürburgring-Training überzeugen, auch der zuletzt erstarkte Grasser-Teamkollege Clemens Schmid ließ mit dem dritten Platz hinter SSR-Porsche-Fahrer Laurens Vanthoor aufhorchen. Ein erstes Resultat der akribischen Arbeit, die der Rennstall aus Österreich während der DTM-Pause geleistet hat, auch, wenn die Teams ihre Karten nur selten auf den Tisch legen? Beim inoffiziellen Test am vergangenen Sonntag auf dem Nürburgring schlug die Truppe von Gottfried Grasser mit allen vier Lamborghini Huracan GT3 auf!

Ganz anders Abt Sportsline, dem einzigen Team neben Schubert-BMW (startete am Wochenende im ADAC GT Masters), das auf die Testmöglichkeit auf der 3,629 Kilometer langen Kurzanbindung des Nürburgrings verzichtete. "Das ist kein Nachteil, wir haben auch viel getestet", sagte der dreifache DTM-Champion Rast, der 2023 für BMW M Motorsport und für McLaren in der Formel E an den Start gehen wird. "Das GT-Setup ist an sich sehr weit ausgereift. Wir nehmen kleine Änderungen am Basis-Setup vor und hoffen, dass am Ring alles rund läuft."

Rast schloss das 1. Freie Training am Freitagmittag auf dem 17. Platz ab. Zu Spitzenreiter Bortolotti fehlten dem Abt-Piloten rund acht Zehntelsekunden. Schneller unterwegs waren Rasts Teamkollegen Ricardo Feller und Kelvin van der Linde auf den Plätzen sieben und acht bei einem Rückstand von gut vier Zehntelsekunden.

Muss Abt Sportsline jetzt Rast priorisieren?

Während Bortolotti beim DTM-Debütanten GRT neben Schmid, Rolf Ineichen und Alessio Deledda die unangefochtene Nummer 1 ist, sieht das bei Abt Sportsline etwas anders aus. Vor der Saison galten neben Rast auch der amtierende GT-Masters-Champion Feller und der Vorjahres-Dritte van der Linde als potenzielle Titelanwärter. Während der junge Schweizer in Imola bereits ein Rennen gewinnen konnte und mit 48 Punkten den siebten Gesamtplatz belegt, strauchelt van der Linde: nur P13 und 33 Zähler auf dem Konto, noch kein einziger Podesterfolg.

Angesichts dieser eindeutigen Zahlen stellt sich die Frage: Muss Abt Sportsline den Fokus jetzt auf Rast legen? In der Vergangenheit ließ der Rennstall aus Kempten seinen DTM-Fahrern stets lange Zeit freie Fahrt - das rächte sich etwa 2020, als der damalige Rosberg-Pilot Rast dem starken Abt-Duo Nico Müller/Robin Frijns den Titel vor der Nase wegschnappte. Im Meisterschafts-Fight vor allem gegen den ultra-konstanten Bortolotti können sich die Äbte ein ähnliches Szenario eigentlich kaum leisten.

Schon vor dem letzten Rennwochenende auf dem Norisring konfrontierte Motorsport-Magazin.com den Abt-Teamchef Thomas Biermaier mit dieser Thematik. "Unser Ziel ist es schon, noch ein bis zwei Rennwochenenden drei heiße Eisen im Feuer zu haben", sagte Biermaier. "Dann muss man irgendwann definitiv schauen, dass man sich auf einen Fahrer priorisiert. Wir schauen jetzt, was am Norisring passiert. Dann haben wir einige Wochen Zeit, um zu gucken, wo wir stehen."

Bei den beiden Rennen auf dem Nürnberger Stadtkurs sammelte Rast zwei Podestplätze und 30 Punkte - Feller (4) und van der Linde (3) hatten deutlich das Nachsehen. Überhaupt war Rast am Norisring der erfolgreichste Fahrer aus dem Kreis der Titelanwärter: Bortolotti meldete sich nach einem Ausfall im chaotischen Samstagsrennen zwar mit Pole, Platz zwei und schnellster Runde am Sonntag zurück, verlor aber 9 Punkte zu Rast. Und Sheldon van der Linde ging komplett leer aus, der BMW-Werksfahrer konnte bislang nicht an seinen spektakulären Doppelsieg am Lausitzring anknüpfen.

Rast: "DTM-Titel wäre das Tüpfelchen auf dem i"

Rast jedenfalls ist bereit, in seiner letzten Saison für Audi nach dem vierten DTM-Titel zu greifen: "Zur Zeit liegt der volle Fokus auf der DTM, wir haben noch vier Veranstaltungen vor uns. Am liebsten würde ich die Meisterschaft gewinnen. Das wäre das Tüpfelchen auf dem i. Sobald das beendet ist, beginnen wir mit dem Simulator- und Testprogramm. Das geht nahtlos über. Mein Programm mit Audi wird nicht darunter leiden."

Rast benötigte nicht lange, um sich auf die DTM mit dem GT3-Reglement einzuschießen. Nach einem schwierigen Saisonstart in Portimao, stand der 35-Jährige schon beim zweiten Rennwochenende in der Lausitz auf dem Podium. In Imola ließ er einen Sieg folgen - der 25. seiner DTM-Karriere - und am Norisring legte er mit zwei weiteren Podestplätzen nach.

Lambo-Star Bortolotti: "Wir werden nichts ändern"

Damit ist Rast seinem Titel-Rivalen Bortolotti zumindest in einer Hinsicht voraus: Der 32-Jährige wartet noch auf seinen und den ersten DTM-Sieg von Lamborghini. Die Statistik dürfte den wohl besten Lambo-Fahrer unserer Zeit nicht allzu sehr kümmern - Bortolotti ist ein Konstanz-Monster! In sieben der bisherigen acht Rennen nahm er Zählbares mit, darunter vier Podestplätze. Ähnlich stark: Der GRT-Star startete viermal aus den ersten beiden Reihen und überzeugte mit seinem Speed auch auf einer schnellen Runde.

"In den noch ausstehenden acht Rennen zählt jeder Punkt", weiß der erfahrene Bortolotti, der schon für das LMDh-Programm von Lamborghini ab 2024 eingeplant ist. "Wir werden nichts ändern und wie in der ersten Saisonhälfte Rennen für Rennen, Tag für Tag fokussiert angehen."

Schubert-BMW mit van der Linde: "Wichtig, am Ball zu bleiben"

Bortolotti und Rast gelten in der DTM-Szene als derzeit heißeste Titel-Kandidaten. GRT-Teamdirektor Manuel Reuter sieht im zu erwartenden Zwei- oder Mehrkampf nicht unbedingt die BoP-Einstufungen als den Schlüssel zum Erfolg. "Der Lambo funktioniert eigentlich überall. Ich glaube, die Meisterschaft wird an den schlechten Wochenenden entschieden", meint der frühere ITC-Champion zu Motorsport-Magazin.com.

Will heißen: Dass diejenigen, die nach Fehlern von Fahrern und Teams immer noch in der Lage sind, einige wenige Punkte mitzunehmen, im Vorteil sein könnten. Das weiß man auch beim BMW-Team Schubert, das den neuen M4 GT3 mit van der Linde und Teamkollege Philipp Eng ins Feld führt. "Wir hatten im Juli einen guten Test und müssen auf dem Nürburgring einen fehlerfreien Job machen, um mit beiden Autos das Maximum herauszuholen", sagt Schubert-Teammanager Marcel Schmidt. "Es ist in dieser Phase der Meisterschaft wichtig, am Ball zu bleiben und keinen Rückstand entstehen zu lassen."