Die Umwandlung der DTM von einer Hersteller- zu einer Kundenteamplattform hat einen wahren Eiertanz unter den Autobauern ausgelöst. Auf der einen Seite wollen es sich Audi, BMW und Co. nicht mit der DTM, die sie über Jahrzehnte mitgeprägt haben, verscherzen.
Auf der anderen Seite wäre ein Konflikt mit der zweiten GT3-Plattform in Deutschland, dem seit 2007 bestehenden ADAC GT Masters, ebenso wenig zielführend. Nicht zuletzt reicht der Einfluss des zweitgrößten Automobilklubs der Welt bis weit in die Chefetage der FIA hinein.
So sitzen die Hersteller zwischen zwei Stühlen respektive Plattformen, auf denen sie ihre Kundenautos ertragreich verkaufen wollen. Verantwortliche und auch Werksfahrer übten sich in den vergangenen Monaten in größtmöglicher Diplomatie. Was viele tatsächlich denken, sprach kürzlich ganz frei Loic Duval aus, der nach vier DTM-Jahren mit Audi auf die Langstrecke zurückkehren wird.
Der 38-jährige Le-Mans-Sieger: "Ich verstehe nicht, warum es zwei GT3-Meisterschaften in Deutschland gibt. Es würde doch mehr Sinn machen, das miteinander zu kombinieren. Wir haben doch schon so viele Meisterschaften im Motorsport. Ich kann das nicht nachvollziehen. Was steckt dahinter?!"
Nationaler Interessenskonflikt
Was Duval, der in den letzten Wochen mehrfach durch eine erfrischende Offenheit zu unterschiedlichen Themen auffiel, ohne Sorge vor Konsequenzen frei von der Leber weg in Frage stellte, beschäftigt Motorsport-Deutschland seit längerer Zeit. Tatsächlich haben Politik, wirtschaftliche Faktoren und nicht zuletzt Machtansprüche in den Führungsetagen zu einem nationalen Interessenskonflikt geführt.
Während der nun alleinige ITR-Chef Gerhard Berger das ADAC GT Masters als Breitensportserie einordnet und für die DTM den Anspruch einer Profi-Plattform erhebt - der sich anhand des Starterfeldes noch beweisen muss - zeigt sich auch der ADAC wenig kompromissbereit. ADAC-Sportpräsident Hermann Tomczyk bezeichnete eine GT3-DTM bereits als Konkurrenzserie und hinterfragte die Sinnhaftigkeit.
Tomczyk: Fans und Hersteller werden entscheiden
Kürzlich sagte Tomczyk: "Die DTM war eine Leuchtturm-Serie in Deutschland, einzigartig mit ihren Autos, Hersteller-Engagements und deshalb auch in der Alleinstellung. Das hat es uns ermöglicht, uns neben der DTM zu entwickeln. Wir haben uns dem GT-Sport sehr früh zugewandt. Wir warten ab, wie sich die Dinge entwickeln. Wir schauen auf unsere Themen und werden unsere Serien weiter ausbauen und stärken. Den Rest werden Fans und Hersteller entscheiden."
Wo Berger mehrfach argumentierte, dass der ADAC angeblich gar keine zu großen Hersteller-Engagements im ADAC GT Masters wolle, um das Wettbewerbsgefüge nicht zu gefährden, antwortete Tomczyk auf die Frage, ob Hersteller mehr Budgets freigeben sollten, um das ADAC GT Masters im Vergleich zur DTM öffentlichkeitswirksamer zu präsentieren: "Eine schöne Anregung. Hoffentlich haben die Hersteller das gehört."
Reuter: Tödlich für Motorsport-Deutschland
Die Größe und auch Qualität der jeweiligen Starterfelder wird letztendlich beweisen, ob Deutschland tatsächlich genug Platz hat für zwei GT3-Rennserien. Teams und Fahrer gibt es in Hülle und Fülle, doch am Ende bleibt die Frage: Gibt es genügend Sponsoren, um das alles zu bezahlen?
Der frühere DTM/ITC-Champion und heutige Sporting Director beim ADAC GT Masters-Team HCB-Rutronik Racing, Manuel Reuter, hatte schon im Juli bei Motorsport-Magazin.com gewarnt: "Die DTM mit GT3-Autos fortführen zu wollen und damit diese Plattform aufzuteilen, wäre tödlich für den Motorsport im deutschsprachigen Raum. Davon hätte niemand etwas."
Reuter weiter: "Dann müsste man den Kuchen aus Medienpräsenz und Sponsoring-Engagements aufteilen und das wäre für den deutschen Motorsport ein Fehler, den wir nicht begehen dürfen. Die Corona-Krise hat jetzt schon Auswirkungen auf Partner und Sponsoren. Und man muss kein Hellseher sein, um sagen zu können, dass es nächstes Jahr noch viel schlimmer wird."
Marquardt: Zeit wird zeigen, ob das funktioniert
Viele Fans sehnen sich nach einer Rückkehr des Motorsport-Festivals, das DTM und ADAC GT Masters 2016 und 2017 gemeinsam auf dem Lausitzring austrugen. In der Lausitz teilten die beiden Serien erstmals seit 2008 das Fahrerlager. An eine Fortsetzung derartiger Doppel-Events, die allgemein großen Zuspruch erhielten, war wegen Kompetenzgerangel nicht zu denken. Spätestens seit dem Konflikt um die 2020 eingeführte DTM Trophy, die wie die ADAC GT4 Germany mit GT4-Boliden startet, ist das Tischtuch zwischen ADAC und ITR zerschnitten.
"Mein Gefühl war von Beginn an: Wenn die Zeiten sehr schwierig sind, geht es nicht über Konfrontation, sondern Kooperation", sagte Jens Marquardt, bis 01. November 2020 Motorsport-Direktor der BMW Group. "Wir haben jetzt die Situation, dass zwei sehr ähnliche Pakete verfügbar sind, wenngleich es weiter Unterschiede gibt. Die Zeit wird zeigen, wie das funktioniert."
Mehrfach hatte Marquardt in der Vergangenheit die Vorzüge eines Motorsport-Festivals, in dessen Rahmen unter anderem die IDM Superbike-Meisterschaft antrat, hervorgehoben. Zum Abschied sagte er: "Aus Sicht eines Fans würde mir ein Paket wie auf dem Lausitzring am besten gefallen. Nach Covid könnten wir 70.000 bis 80.000 Fans bei einer solchen Veranstaltung auf einer Rennstrecke in Deutschland sehen. Aber es liegt nicht an mir, solche Entscheidungen zu treffen."
Stuck schlug schon 2019 GTM vor
Derartige Wünsche gab es bereits im Dezember 2019, als Hans-Joachim Stuck - damals noch DMSB-Präsident und vor Corona - vorschlug, den DTM-Kalender 2020 auf sieben Veranstaltungen reduzieren, dann "aber richtig geile Motorsportwochenenden daraus machen mit Beteiligung verschiedener Rennserien wie DTM, GT-Masters, Rallyecross und mehr".
In diesem Zuge - kurz nach dem Class-1-Showrennen zwischen DTM und Super GT in Fuji - sprach die deutsche Motorsport-Ikone zudem von einer Umwandlung der DTM in eine "GTM'", in der GT3-Autos fahren sollen. "Denn außer dem GT-Masters gibt es bei uns keine Sprintrennen mit GT3-Fahrzeugen, sondern nur Langstreckenrennen", so Stuck.
DTM 2021 mit Doppel-BoP
Ein Vorstoß, der zum damaligen Zeitpunkt und vor den Ausstiegen von R-Motorsport und Audi auf wenig Gegenliebe bei Berger stieß, der sich stets gegen ein Rennserienkonzept mit einer Balance of Performance gewehrt hatte. Um diese BoP kommt nun auch die GT3-DTM nicht herum, um die unterschiedlichen Fahrzeugkonzepte auszunivellieren. Ein zusätzlich eingeführter Erfolgsballast für die bestplatzierten Fahrer eines Rennens sorgt für Verwunderung.
Die DTM auf GT3-Basis und das ADAC GT Masters haben sich in den vergangenen Wochen immer mehr angeglichen. Und doch kocht jede Plattform erst einmal weiter ihr eigenes Süppchen. Das ADAC GT Masters verfeinert mit dem wiederbelebten Prädikat einer Deutschen GT-Meisterschaft, die DTM mit Zutaten a la Historie und größerer Reichweite.
diese DTM Hintergrund