In den vergangenen Wochen war die Teamorder-Thematik nach längerer Pause mal wieder das große Thema in der DTM. Stallregie bei Audi? Durfte Nico Müller zuletzt in Brands Hatch das Rennen nicht gegen Rene Rast gewinnen? Soll Rene Rast zur Meisterschaft verholfen werden?

Fragen über Fragen - die Wogen kochten auf allen Seiten hoch. Zuletzt versuchte auch DTM-Boss Gerhard Berger, etwas Schärfe aus der Angelegenheit herauszunehmen. Am Freitag auf dem Lausitzring, wo die DTM ihr siebtes Rennwochenende der Saison und am Sonntag das 500. Rennen ihrer Geschichte bestreitet, legte der Österreicher noch einmal nach.

"Da wird so viel Blödsinn geredet", sagte Berger bei Sat.1. "Dass es verschiedene Strategien im Motorsport geben muss, ist klar. Aber die fallen sicher nicht so aus, wie sie gerade dargestellt werden." Damit spielte der frühere Formel-1-Fahrer, der am kommenden Dienstag seinen 60. Geburtstag feiert, auf Vorwürfe an, Audi setze im Titelkampf bewusst auf Rast.

Berger: "Am Ende des Tages will Müller Meister werden. Dass er zu dieser Zeit im Jahr schon zum Wasserträger abgestempelt wird, kann ich mir nicht vorstellen. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass das im Sinne von Audi ist." Derartige Spekulationen tat Berger als falsch ab und wünschte sich einen Kampf um die Meisterschaft.

Viel Polemik

Dass in dieser Thematik viel Polemik im Spiel ist, wurde bereits mehrfach betont. Die Behauptung, dass nur Rast Meister werden darf, ist schlichtweg nicht korrekt. Bei Audi gibt es gute Gründe sowohl für amtierenden Vize-Champion Rast als auch für Müller, der erstmals in der DTM Chancen auf den Titel hat...

Audis Priorität liegt darauf, BMW und vor allem Marco Wittmann weiter in Schach zu halten. Dieses Ziel steht zunächst über allem. Aus eigener Erfahrung - Rast hätte 2018 trotz zwischenzeitlich 100 Punkten Rückstand beinahe den Titel geholt - wissen die Verantwortlichen, dass der zweifache Champion mit seinen Möglichkeiten nicht unterschätzt werden darf.

Gass: Wittmann ein extrem gefährlicher Gegner

So sagte Audi-Motorsportchef Dieter Gass vergangene Woche im Interview mit Motorsport-Magazin.com: "Wir können keinen Gegner unterschätzen, auch Philipp Eng nicht. Marco Wittmann hat dieses Jahr schon vier Rennen gewonnen, in der Vergangenheit zwei Meisterschaften. Der weiß, wie das geht. Das ist ein extrem gefährlicher Gegner."

Wittmann gelang es bei seinen Meisterschaftssiegen 2014 und 2016 als einzigem BMW-Fahrer, das Maximum aus dem vorhandenen Paket herauszuholen. In der aktuellen Situation ist er erneut das heißeste Eisen der Münchner und kann sich im Kampf gegen Audi jeglicher Unterstützung, etwa der Nutzung eines Motors mit der geringsten Laufleistung, sicher sein. Wie zuletzt in Brands Hatch bekannt wurde, hatte BMW - legal, aber mit Punktestrafen in der Herstellerwertung verbunden - die Verplombung dreier zusätzlicher Motoren beantragt...

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Störenfried Marco Wittmann

Sechs Rennen vor dem Saisonende beträgt Wittmanns Rückstand auf Spitzenreiter Rast 59 Punkte. 168 Zähler gibt es in diesem Jahr noch zu holen. "Wir werden versuchen, die Audi-Armada zu stören", sagte der 29-Jährige an diesem Freitag. "Sie liegen vor uns und es wird nicht einfach, die Lücke zu schließen. Wir müssen im Qualifying immer vorne sein, sonst haben wir keine Chance."

Wie in Brands Hatch, wo Wittmann am Samstag einen Start/Ziel-Sieg feierte und am Sonntag nur als Zehnter die Ziellinie überquerte, während es Audi mit allen acht Autos in die vorderen vier Startreihen schaffte und letztendlich einen Vierfach-Sieg feierte.

Wie groß wäre Müllers Risiko gewesen?

Über den Ausgang des Rennens, als Müller hinter Rast Zweiter wurde, wurde in der Folge fleißig spekuliert. Eine Frage dabei: Wie viel Risiko hätte der Schweizer nach dem verpatzten Boxenstopp, der ihn möglicherweise den Sieg kostete (Gass: "Wenn Nico nach dem Boxenstopp vorne gewesen wäre, hätte Rene schneller sein müssen, damit er wieder vorbeikommt."), wirklich nehmen müssen?

Recherchen von Motorsport-Magazin.com ergaben, dass Rast während des Rennens an einem technischen Defekt litt. Rast bestätigte zu Beginn dieser Woche, dass sich am Heck ein Stabilisator gelöst habe. Dabei handelte es sich nach Informationen von Motorsport-Magazin.com um eine Schraube, die den Vibrationen des neuen Turbo-Motors nicht standgehalten hatte.

Wie sehr sich dieser Defekt auf Rasts Performance und Reifenverschleiß auswirkte, lässt sich aufgrund zahlreicher Faktoren, die hier eine Rolle spielen, nur schwer sagen. "Dass ich in dem Moment eine schlechtere Balance hatte, war sicherlich nicht förderlich für Rundenzeiten und Reifenabbau", sagte Rast. "Das war mit Sicherheit keine Hilfe."

Rast siegt mit zweitlangsamster theoretischer Bestzeit

Ein Blick auf die Zahlen zum Rennen offenbart: Rast (1:19.170) kam auf die zweitlangsamste theoretische Bestzeit aller Fahrer, während Müller (1:18.775) bestplatzierter Audi-Werksfahrer war. In der Topspeed-Tabelle belegte Müller (263 km/h) hinter Spitzenreiter Pietro Fittipaldi (267 km/h) den zwölften Rang. Vorletzter auch hier: Rast mit einer Höchstgeschwindigkeit von nur 257 km/h.

Ein weiterer Hinweis darauf, dass Rast (persönliche Bestzeit in Runde 2, 1:19.347) an der Spitze nicht so schnell fahren konnte wie er es gewollt hätte: Am Rennende nach 42 Runden lagen er und der Zehntplatzierte Wittmann nur 7,837 Sekunden auseinander. Und das, obwohl es keine Safety-Car-Phase gab, die das Feld automatisch zusammengeführt hätte.

Wie geht Überholen ohne Risiko?

Rast sagte, dass er und Müller gegeneinander auf der Strecke kämpfen dürfen, solange dies kein Risiko bedeutet. Gass zur Situation in Brands Hatch: "Nico ist intelligent genug zu wissen, wenn Rene nicht will, dass er ihn überholt und verteidigt, dann kommt er ohne Risiko nicht vorbei. Das nimmt er dann nicht gegen den Teamkollegen und Meisterschaftsführenden, wenn er weiß, dass grundsätzlich eine Prioritäten-Situation gegeben ist."

Was wäre dann also ein risikofreies Überholmanöver, wurde Rast gefragt. Der DTM-Champion von 2017 verwies auf die Gegebenheiten am Hockenheimring mit der langen Parabolika: "Wenn man da mit DRS und 15 km/h Überschuss vorbeifährt, ist wenig Risiko dabei. Wenn man dagegen in Brands Hatch versucht, sich mit 200 km/h neben den Vordermann zu bremsen, ist das schwierig. In Hockenheim haben wir tolle Manöver gesehen, die nicht mit Risiko verbunden sind. Über solche Manöver reden wir."

Die mit 648 Metern längste Gerade auf dem 4,570 Kilometer langen Lausitzring lud in der Vergangenheit häufiger zu Überholmanövern ein... Kann auch BMW mitmischen? In den beiden Trainings am Freitag gab Audi den Ton an, die Rundenzeiten dürften allerdings noch einige Zehntelsekunden schneller werden.

Audi vor erstem Titelgewinn

Berger an der Strecke, auf der vor dem Saisonbeginn die offiziellen Testfahrten stattfanden: "Ich hoffe, dass BMW seine Hausaufgaben in der Grundabstimmung gut gemacht hat, damit die Meisterschaft offen bleibt zwischen ihnen und Audi."

Die Münchner werden sich strecken müssen. 710 Punkte hat Audi in den ersten zwölf Rennen gesammelt, BMW 426. Wächst der Vorsprung an diesem Wochenende um weitere 20 Punkte an, ist die Markenmeisterschaft vor den beiden noch ausstehenden Rennwochenenden auf dem Nürburgring (14./15. September) und in Hockenheim (5./6. Oktober) vorzeitig entschieden.