Pascal Wehrlein war nach dem Samstags-Qualifying der DTM in Zandvoort so richtig angefressen - trotz Startplatz zwei. Das Problem: Mercedes-Markenkollege und Titelfavorit Gary Paffett war ein paar Hundertstelsekunden schneller und sicherte sich die Pole Position. Wehrlein machte bei der Rückkehr in den Parc Fermé bereits keinen gut gelaunten Eindruck und legte wenig später im Interview mit Sat.1 nach.

Paffett habe seine Runde ziemlich zerstört, meinte der DTM-Champion von 2015. Und packte dann aus: "Wir haben die Regel, dass Gary eine freie Runde kriegen muss. Aber wenn ich von hinten komme und er auf seiner In-Lap ist, dann kann er auf die Seite fahren. Das hat er nicht gemacht. Bis dahin war ich drei Zehntel schneller. Ich habe dann in den letzten zwei Kurven vier Zehntel verloren. Deswegen ärgert's mich ein bisschen."

Nun ist es sicherlich nicht unüblich bei allen Herstellern, dass die Titelfavoriten im Qualifying bestmögliche Chancen auf eine schnelle Runde erhalten sollen. Dass ein Fahrer diese Strategie aber öffentlich ausplaudert, ist unüblich. Meinte auch Sat.1-Experte Timo Scheider: "Das habe ich noch nie erlebt, unter Teamkollegen so eine Ansage zu machen mit den Absprachen, die es im Vorfeld gab."

Paffett stichelt gegen Wehrlein

Pole-Setter Paffett machte einen etwas verdutzten Eindruck, als er auf Wehrleins Ärger angesprochen wurde. Der Brite im Wortlaut: "Okay... Ich rede persönlich mit ihm statt vor der Kamera." Und dann direkt hinterher: "Wir haben unsere Abläufe. Es war nicht auf seiner gezeiteten Runde, sondern auf der Out-Lap. Das hat seine Runde nicht wirklich beeinflusst. Vielleicht war er nicht happy, dass ich schneller war als er."

Auf besagtem Run war Wehrlein tatsächlich aber nicht auf einer Out-Lap, sondern eine Weile sogar schneller als Paffett, der zu keinem Zeitpunkt unmittelbar vor ihm fuhr. Nach dem zweiten von drei Sektoren hatte Wehrlein 0,173 Sekunden Vorsprung auf Paffetts Zeit, die später zur Pole Position reichen sollte.

Nach dem Ende des dritten Sektors und damit der Runde betrug Wehrleins Rückstand jedoch 0,307 Sekunden. Erst auf seinem zweiten Run eine Weile später konnte er sich verbessern und dadurch den zweiten Startplatz erzielen. Paffett gelang im zweiten Anlauf keine Zeitenverbesserung mehr.

Zwei lachende Gesichter nach dem Qualifying - und Pascal Wehrlein, Foto: LAT Images
Zwei lachende Gesichter nach dem Qualifying - und Pascal Wehrlein, Foto: LAT Images

Wehrlein schiebt Frust

Eine Szene, die sinnbildlich ist für Wehrleins aktuelle Situation: Es herrscht großer Frust beim ehemaligen Formel-1-Piloten. Nach 10 von 20 Saisonrennen belegt er den achten Platz in der Meisterschaft. Sein Rückstand auf Spitzenreiter Paffett beträgt enorme 83 Punkte. Auch seine Mercedes-Kollegen Paul Di Resta (121 Punkte), Edoardo Mortara (97) und Lucas Auer (89) sind wesentlich besser platziert.

In Zandvoort erzielte Wehrlein in den beiden Rennen die Plätze vier und sechs. Ein verpatzter Boxenstopp kostete ihn am Samstag ein besseres Ergebnis. So spielte er beim Vierfach-Sieg von Mercedes die letzte Geige in der Spitzengruppe. An sich keine schlechten Resultate, doch angesichts des starken Mercedes muss sich alles andere als ein Podestplatz wie eine Niederlage anfühlen.

Siege angekündigt - Pleiten folgten

Das gelang Wehrlein bislang nur ein Mal am Lausitzring, wo er nach dem Erfolg ankündigte, dass er für Siege bereit sei. Zum Vergleich die bisherige Podiums-Ausbeute der Kollegen: Paffett (6), Di Resta (3), Mortara (3) Auer (3) und auch Daniel Juncadella erzielte sein erstes DTM-Podest.

Es war nicht Wehrleins einziger umstrittener Auftritt in Zandvoort. Im Samstagsrennen versuchte er nach dem Re-Start der Safety-Car-Phase, den Drittplatzierten Di Resta zu attackieren. Es kam zu einem leichten Kontakt beider Mercedes-Piloten, weil der Schotte dagegenhielt. Das Resultat: Wehrlein verlor seinen vierten Platz an Lucas Auer und wurde Später nur Sechster.

Fahrfehler im Qualifying

Im Qualifying am Sonntagvormittag unterlief Wehrlein dann auch noch ein eigentlich seltener Fahrfehler, der ihn in Kurve eins ins Kiesbett schickte. Wegen der daraus resultierenden Steine auf der Strecke verlief der Rest des Qualifyings unter erschwerten Bedingungen, was Paffett letztendlich die zweite Pole Position am Wochenende erleichterte.

Zwar lief es für Wehrlein unterm Strich besser als zuvor am Norisring, wo er mit einem offensichtlich problembehafteten Auto als einziger Mercedes-Pilot völlig chancenlos hinterherfahren musste - ein Unterschied wie Tag und Nacht sei es laut ihm in Zandvoort gewesen - doch seinen eigenen Ansprüchen fährt der jüngste Champion in der Geschichte der DTM meilenweit hinterher.

Kein guter Zeitpunkt

Und das ausgerechnet an diesem kritischen Zeitpunkt seiner noch jungen Karriere. Während die Veteranen um Paffett und Di Resta am Zenit ihrer Karriere in Richtung Titel fahren, steht Wehrlein vor einer unsicheren Zukunft.

Mit einem zweiten DTM-Titel hätte er sich sicherlich besser für einen zweiten Anlauf in der Formel 1 - seinem erklärten Ziel - empfehlen können. Parallel zur DTM ist er immerhin noch Test- und Ersatzfahrer bei den Formel-1-Silverpfeilen. Aktuell ist Wehrlein aber eher einer von sechs Mercedes-Piloten, die sich nach dem angekündigten DTM-Ausstieg um die besten Jobs bei der Marke mit dem Stern prügeln müssen.