Die meisten allgemeinsportaffinen Zuschauer dürften am vergangenen Wochenende erstmals den Namen Rene Rast gehört haben. Als Rookie direkt zum DTM-Meister in einer der engsten Rennserien der Welt - ein echtes Husarenstück des vermeintlichen Neueinsteigers auf Audi-Seiten. Das war zuletzt Nicola Larini vor 24 Jahren gelungen. Die Rookie-Sensation sorgte für Schlagzeilen auch in den überregionalen Medien. Was dabei nicht ganz so häufig erwähnt wurde: Rast bewegt sich schon seit vielen Jahren im Dunstkreis der DTM.

2010, also vor etwa sieben Jahren, absolvierte Rast zum ersten Mal eine Testfahrt in einem DTM-Rennwagen. Damals teilte er sich den Audi A4 im spanischen Almeria unter anderem mit Romain Grosjean. Ein Jahr später saß er erneut für die Ingolstädter im DTM-Testwagen. Bei diesen Sichtungslehrgängen oder Young Driver Days haben Fahrer seit Jahren die Möglichkeit, sich für eines der begehrten DTM-Cockpits zu bewerben. Rast scheiterte beide Male.

Bei Audi und BMW durchgefallen

Zwar gehört er seit 2011 zum Kader von Audi, doch einen Wechsel zu BMW hätte er sich damals auch vorstellen können. Im Oktober 2011 testete Rast einen M3 DTM, mit dem die Münchner im Folgejahr in die Serie zurückkehrten. Doch auch BMW entschied sich letztendlich gegen Rast und gab anderen Fahrern den Vorzug. Die DTM sei für ihn kein großes Thema mehr, sagte er in der Folgezeit mehrfach. Ausschlagen würde er ein Angebot nicht, doch seine Heimat läge im GT-Sport.

Dann - als eigentlich niemand mehr damit rechnete - kam die Chance, endlich Stammfahrer in der DTM zu werden. Rast hatte Audi in der Saison 2016 mit seinem äußerst spontanen Zandvoort-Einsatz als Ersatzmann für den verletzten Adrien Tambay überzeugt, beim Saisonfinale sprang er anschließend für Mattias Ekström ein. Rast lieferte ab - und erhielt doch noch den DTM-Vertrag für 2017, auf den er seit dem Gewinn des VW Polo Cup 2005 hingearbeitet hatte.

Glücksgriff mit Anlauf

Rast stellte sich für Audi als absoluter Glücksgriff heraus. Nach seinem Titelgewinn muss allerdings die Frage gestellt werden: Warum wurde er nicht schon früher befördert, nachdem er von Porsche-Markenpokalen über die 24 Stunden am Nürburgring bis zum 24h-Rennen in Spa so ziemlich alles gewonnen hatte? Schließlich hatten ihn Audi und auch andere Hersteller schon lange auf dem Zettel. Als Überraschung geht der 30-Jährige also nicht mehr durch.

Letztendlich brauchte es insgesamt vier DTM-Sichtungslehrgänge - dreimal bei Audi und einmal für BMW - bis der Sprung zur Stammkraft klappte. Ist die Meisterschaft eine späte Rache nach all den Enttäuschungen? Eine Genugtuung? Im Moment des großen Triumphes wollte Rast selbst nicht davon sprechen. "Vielleicht bin ich als Fahrer gereift", sagte er stattdessen. "Vielleicht war ich vor fünf Jahren noch nicht der, der ich jetzt bin. Ich war noch nicht auf dem Level. Aber besser spät als nie."

Mister Porsche-Markenpokal

Dabei war Rast auch vor fünf Jahren schon eine große Nummer im Motorsport. 2012 gewann er den Carrera Cup, der im Rahmen der DTM gastiert. Im selben Jahr fuhr er zudem zum dritten Mal in Folge den Gesamtsieg im Porsche Supercup ein, der zusammen mit der Formel 1 seine Rennen bestreitet. 2008 hatte er den Carrera Cup erstmals für sich entschieden. Gute Argumente für einen Vertrag als Werksfahrer bei einem der großen Hersteller.

"Ich wollte immer in der DTM fahren, das war immer ein großes Ziel von mir", sagte er jetzt. "Jahrelang wurde es mir verwehrt." Bei den DTM-Sichtungsfahrten sei das volle Potenzial nicht zu sehen, argumentierte Rast. Da gehöre mehr dazu. "Da kann man keinen Vorwurf machen, dass ich den Schritt nicht früher machen konnte. Ich bin aber froh, dass ich jetzt meinen Weg gefunden habe."

Rast weiter: "Die Sichtung ist eine Momentaufnahme von einem Tag. Wenn man aus dem GT- oder Carrera Cup-Auto kommt, ist das ein ganz anderer Fahrstil. Dann setzt man sich ins DTM-Auto und denkt sich: Was mache ich hier eigentlich? Was muss ich machen, um schnell zu sein? Diesen Fahrstil entwickelt man nicht innerhalb eines halben Tages."

Formel-Erfahrung fehlt

Im Gegensatz zu vielen anderen Sichtungs-Fahrern ist Rast nie in der Formel 3 gefahren. Bis 2004 war er in der Formel BMW, musste aus finanziellen Gründen aber in wesentlich günstigere Markenpokale wechseln. "Das hat mich aus dem Sumpf rausgezogen", sagte er jetzt. Dabei ähneln die heutigen Formel-3-Autos sehr dem Fahrstil eines DTM-Boliden, viel mehr als ein GT-Rennwagen. Neben dem fahrerischen Nachteil war Rast zudem in der Vergangenheit nicht immer gut beraten. Die Politik spielt ebenfalls eine große Rolle dabei, welcher Fahrer in die DTM aufsteigen darf.

Als in der vergangenen Saison eilig ein Ersatzmann für Tambay in Zandvoort her musste - Audi verzichtet aus finanziellen Gründen auf einen offiziellen Ersatzfahrer vor Ort - war Rast zur Stelle. Spät abends, als er gerade den Geburtstag von Freundin Diana feierte, kam der Anruf von Audi-Motorsportchef Dieter Gass. Weit nach Mitternacht war Rast in Zandvoort, fuhr am Sonntag das Rennen fast ohne Vorbereitung.

"Da muss einer Vertrauen in dich setzen", sagt Rast heute. "Das war der Schlüssel dafür, dass ich den Drive bekommen habe." Rast zahlte Audi und Rosberg-Teamchef Arno Zensen das Vertrauen mit dem ersten Fahrertitel für die Ingolstädter seit 2013 zurück. Nach dem nun anstehenden Medien-Marathon werden sich Rast und Audi in einer ruhigen Minute vielleicht die Frage stellen: Was wäre eigentlich passiert, wenn er ein paar Jahre früher in die DTM befördert worden wäre...