Timo, was hältst du vom neu eingeführten Erfolgsballast in der DTM?
Timo Scheider: Wenn du vorn stehst, weil du ein gutes Auto hast und gute Leistungen zeigst, ist es natürlich schön, wenn du diesen Vorteil behalten kannst - und er nicht durch den Erfolgsballast kaputt gemacht wird. Stimmt die Performance jedoch nicht, hast du für die nächsten Rennen natürlich einen Vorteil. Heißt: Hast du ein gutes Auto, ist es negativ. Hast du ein schlechtes Auto, hilft es bei der Wettbewerbsfähigkeit. Je nach Streckencharakteristik können die Unterschiede sehr deutlich ausfallen. Ich denke, dass sich die Entscheidung, welche Fahrer um die Meisterschaft kämpfen, länger hinauszieht und dass mehr Fahrer Chancen auf den Titel haben - selbst, wenn es zu Saisonbeginn nicht gut lief.
Du hast gerade den Einfluss der Performancegewichte auf die unterschiedlichen Strecken angesprochen...
Timo Scheider: Ja, das spielt natürlich eine Rolle. Auf jeder Strecke mit langsamen Kurven, wo du mehr Gewicht herunterbremsen und dann wieder beschleunigen musst, wirkt sich das sehr deutlich aus. Auf Strecken wie dem Norisring, wo wir bis in den ersten Gang runterschalten, hat dies zudem einen Einfluss auf den Spritverbrauch und das Reifenmanagement. Ich weiß nicht, ob es deshalb zu Strategiespielchen kommt, sicher ist aber: Einen Sieg nimmt jeder mit.
Widerspricht der Erfolgsballast nicht dem sportlichen Gedanken, dass der beste Fahrer am Ende vorn steht?
Timo Scheider: Der Einzelne wird für seinen Erfolg zwar bestraft, aber mit Blick auf das Gesamtsportliche wird dazu beigetragen, dass Fahrer, die nicht so erfolgreich sind, in den nächsten Rennen eine bessere Chance haben. Das bringt mehr Wettkampf auf der Strecke und Spannung für die Fans. In der Formel 1 sieht das aktuell anders aus, da fährt Mercedes vorn weg. Würden Lewis Hamilton und Nico Rosberg Erfolgsballast aufgebrummt bekommen, wäre etwa Red Bull auch vorn dabei.
Aber würde es den Fans gefallen, wenn die Seriensieger von Mercedes in der Formel 1 plötzlich mit Zusatzgewichten starten müssten?
Timo Scheider: Nein, sicherlich nicht. Man muss ja auch kein Blatt vor den Mund nehmen: Wenn über Erfolgsgewichte gesprochen wird, kommt immer wieder die Diskussion auf: 'Man muss das ja nicht so laut kommunizieren und auf die Fensterscheibe kleben, welcher Fahrer mit wie viel Zusatzgewicht fährt.' Wenn ein Fahrer aber nur Zehnter wird, benutzt er den Erfolgsballast als Argument dafür. Die Jungs, die vorn fahren, werden das natürlich nicht erwähnen. Man kann es also nicht einfach unter den Tisch kehren.
In dieser Saison gibt es nur noch einen Pflichtboxenstopp - richtige Entscheidung?
Timo Scheider: Die Teams haben durch den Wegfall des zweiten Boxenstopps weniger strategische Möglichkeiten. Das macht es viel schwieriger, im Rennen entscheidend nach vorn zu kommen. Für die Fans ist die neue Regelung aber super, weil die Rennen dadurch wesentlich verständlicher werden - in der Vergangenheit war das schon ziemlich kompliziert, auch wenn es für uns einen strategischen Reiz hatte. Wir haben quasi immer versucht zu vermeiden, richtige Rennen zu fahren, sondern stattdessen versucht, möglichst frei auf der Strecke zu fahren. So sollte Rennsport aber nicht aussehen - die Leute wollen doch sehen, wenn die Autos auf der Strecke miteinander kämpfen.
Mindestens 50 Prozent der Renndistanz müssen mit dem Standard-Reifen zurückgelegt werden. Wäre es besser gewesen, dies nicht zu reglementieren?
Timo Scheider: Dann wäre ein Fahrer vielleicht erst drei Runden vor Schluss zum Reifenwechsel an die Box gefahren, wenn er mit den Option-Reifen sehr schonend umgehen kann. Das hätte es für die Zuschauer wiederum schwierig gemacht, die richtige Reihenfolge während des Rennens zu erkennen.
Aber in der Formel 1 ist es doch genauso...
Timo Scheider: Das stimmt, die Frage lautet aber: Ist es besser oder richtig, was die Formel 1 macht? Grundsätzlich muss ich aber sagen, dass das Strategie-Thema einen großen Reiz hat und die Möglichkeit gibt, etwas Besonderes zu schaffen: Wenn man beispielsweise aus den letzten Reihen startet und es mittels der richtigen Taktik trotzdem in die Top-Fünf schafft. Das wird dieses Jahr nicht mehr möglich sein.
Dafür wurde das DRS-Verbot in den letzten drei Runden aufgehoben.
Timo Scheider: Ja, das ist super und kann sich auf die Taktik auswirken. Vielleicht macht es sogar Sinn, den Hintermann drei Runden vor Schluss erst einmal vorbeizulassen, weil man sich auf langen Geraden sowieso nicht verteidigen kann. Es kommt natürlich auf die Streckencharakteristik an, aber auf bestimmten Geraden kann man Kampflinie fahren wie man will - wegen des DRS-Überschusses wirst du links und rechts überholt. Ein Überholmanöver in der letzten Runde könnte hier Gold wert sein.
Ist es eigentlich geschickt, fast jedes Jahr neue Regeln einzuführen? Es heißt immer, dass wieder ein Fortschritt erzielt worden ist - aber irgendwann muss doch auch mal Feierabend sein, oder?
Timo Scheider: Das stimmt. Ich halte nichts davon, ständig die Regeln zu ändern. Klar ist aber auch: Das Nonplusultra gibt es nicht und man kann es nicht jedem recht machen. Ich glaube, dass wir jetzt ziemlich nah dran sind, ohne uns weiter verbiegen zu müssen. Wenn es nach mir persönlich ginge, würde es aber ein völlig anderes Reglement geben...
Wie sähe das aus?
Timo Scheider: Die Autos bräuchten 150 bis 200 PS mehr, weniger Flügel und härtere Reifen, damit die Autos auch im dritten oder vierten Gang noch quer ums Eck kommen. Auch eine reduzierte Aerodynamik fände ich gut, damit man Stoßstange an Stoßstange fahren kann - dann hat man geiles Racing!
diese DTM Interview