Dieses Interview erschien in Ausgabe 88, der neuesten Ausgabe unseres Print-Magazins. Am Ende des Jahres veröffentlichen wir traditionell einen kleinen Teil unserer Print-Artikel kostenfrei auf der Website. Viel Spaß beim Lesen!

30 Grad, Mittagssonne, Miami Beach: Bei unserem Florida-Urlaub im November trafen wir Timo Scheider zum Interview in der Nähe des berühmten Ocean Drive - und der zweifache DTM-Champion war passend zum Wetter 'on fire'! Wo sich viele Rennfahrer aus Angst um ihren Job kaum noch trauen, den Mund aufzumachen, sprach der langjährige Werksfahrer von Audi und BMW erfrischenden Klartext.

MSM: Timo, wie betrachtest du die aktuelle Situation in Motorsport-Deutschland?
Timo Scheider: Die Entwicklung der vergangenen Jahre hat deutlich gezeigt, dass wir zu Recht Angst vor der Zukunft im deutschen Motorsport haben müssen. Leider ziehen sich die Hersteller immer mehr zurück und unterstützen Teams und Fahrer immer weniger. Die Finanzen werden auf sie abgewälzt. Dazu die finanziellen Schwierigkeiten im Nachwuchsbereich: Kartsport oder die Formel-Nachwuchsserien auf siegreichem Niveau zu betreiben, kann sich keiner mehr leisten. Deshalb gibt es immer weniger Perspektiven für angehende Rennfahrer. Immer häufiger werden angehende Rennfahrer als 'Talent' bezeichnet, aber nicht, weil sie wirklich Talent haben, sondern, weil sie über den finanziellen Background verfügen.

Ein Trend, der sich seit geraumer Zeit auch in der GT3-DTM abzeichnet...
Timo Scheider: Früher fuhren nur Voll-Profis in der DTM, die wurden alle fürs Rennfahren bezahlt und die Hersteller haben ihnen den roten Teppich ausgerollt. Dann kamen Teams, die wegen geringerer Werksunterstützung Paydriver brauchten - und da wurde in Kauf genommen, wenn die drei Zehntel langsamer sind als ein Profi, weil sie Geld mitgebracht haben statt welches zu verdienen. Heute sind wir sogar an dem Punkt angelangt, an dem sich die Hersteller immer mehr von Profi-Werksfahrern trennen.

Foto: DTM
Foto: DTM

Hat die DTM aus Fahrersicht im Vergleich zu früher an Stellenwert verloren?
Timo Scheider: Die DTM ist heute immer noch eine erstrebenswerte Rennserie, um ein bisschen Geld zu verdienen, wenn du es auf ein gewisses Niveau gebracht hast. Aber heutzutage gewinnst du ein DTM-Rennen und das interessiert am Montag danach niemanden mehr. Ja, das hört sich hart an, aber das macht mir Angst. Ich liebe die DTM nach wie vor, sie hat mich mein halbes Leben begleitet, hat einen sensationellen Namen und mit ProSieben einen sensationellen TV-Partner. Da sich die Hersteller aber immer mehr zurückgezogen haben, ist das Empfinden der Professionalität der Serie immer weiter gesunken. Und es tut mir weh, zu sehen, dass es aus dem oben angesprochenen Prozess keinen richtigen Ausweg zu geben scheint.

Braucht es heute überhaupt noch Profi-Rennfahrer?
Timo Scheider: Im Laufe der Zeit hat sich die Art der Autos ziemlich stark geändert, so ist die Fahrbarkeit eines GT3-Autos viel einfacher als es früher bei den Class-1-Autos in der DTM der Fall war. Nur ein Beispiel: Als wir damals in der DTM vom sequenziellen Schalten auf Schaltpedals gewechselt sind, saß ich im Auto und dachte mir: 'Jetzt kann jeder Affe das Auto fahren.' Plötzlich gab es keine Kurven mehr, in denen wir mit einer Hand shortshiften oder mit dem Schaltknüppel richtig kämpfen mussten. Davor lag mein Durchschnittspuls in einem DTM-Rennen bei 186, später waren es 115!

Irgendwann wurden die GT3-Autos immer beliebter, aber dafür braucht man ehrlich gesagt kein Talent. Bei allem Respekt, aber selbst du könntest so ein Auto fahren. Und wenn du dann noch genug Geld und eine Lizenz mitbringst, zeigen Teams Interesse - vielleicht auch, um mit deiner Kohle einen talentierteren Fahrer mitzufinanzieren oder Top-Ingenieure zu verpflichten.

Ist es gut oder schlecht, dass die einst für den Amateursport konzipierte GT3-Kategorie inzwischen absolut dominant im weltweiten Rennsport ist?
Timo Scheider: Ich bekomme gerade Gänsehaut, wenn ich an meine damaligen Qualifying-Runden im alten DTM-Prototypen denke. Das war geil, ein Auto mit so viel Abtrieb zu fahren! Es war eine Riesen-Challenge, so ein Auto schnell zu bewegen. Heute sprechen wir oft davon, dass 25 Autos innerhalb einer Sekunde liegen... ja, weil die Autos so einfach zu fahren sind! Ich möchte niemandem zu nahe treten, aber so ein Auto kann jeder Trottel im Kreis fahren. Die Challenge sind heute wenige Hundertstel, aber das sieht doch niemand. Wenn du früher den Sweetspot des Autos getroffen und alles rausgepresst hast, konntest du den Gegnern auch mal drei Zehntel einschenken. Das gibt es heute nur noch selten und dadurch wird es auch schwierig, die Heldentaten oder Helden wirklich zu erkennen.

MSM-Reporter Robert Seiwert traf Timo Scheider in Miami Beach, Foto: Motorsport-Magazin.com
MSM-Reporter Robert Seiwert traf Timo Scheider in Miami Beach, Foto: Motorsport-Magazin.com

Dabei braucht jeder Sport doch seine Helden, um relevant für die Öffentlichkeit zu sein.
Timo Scheider: Wenn alle gleich oder ähnlich schnell sind, wie kann sich ein Fahrer dann noch herauskristallisieren? Wenn du früher Profi-Rennfahrer warst, dann war das ein anerkannter Status. Heute traue ich mich teilweise gar nicht, zu sagen, dass ich Rennfahrer bin, weil ich mir blöd vorkomme. In der Gesamtwahrnehmung werden heutzutage doch nur noch die Formel-1-Stars wie Hamilton, Verstappen oder Leclerc als Rennfahrer wahrgenommen. Und der Rest? Wenn wir früher ein DTM-Rennen gewonnen haben, wurde die Hospitality am Abend 'abgerissen' und du hast dich noch drei Tage später gefreut, weil das etwas Besonderes war! Das Empfinden für den Erfolg ist heute aber leider verloren gegangen. Und frag doch mal jemanden im Supermarkt, wer dieses Jahr DTM-Champion geworden ist...

Braucht es für angehende Profi-Rennfahrer nicht gerade diese Helden, mit denen sie sich messen und dadurch einen eigenen Status aufbauen können?
Timo Scheider: Das ist definitiv so. Es gibt abseits der Formel 1 nicht mehr diese eine Top-Rennserie, in der ausschließlich Top-Profis fahren. Sondern quasi nur noch Serien, in denen Profis auf Semi-Profis und ein paar Hobby-Rennfahrer treffen. Dadurch tun sich Rennserien schwer, ein außergewöhnliches Standing zu erreichen. Und die Hersteller sparen Geld und schicken ihre Fahrer lieber gleichzeitig in verschiedene Rennserien. Die fahren pro Jahr unfassbar viele Rennen rund um den Kontinent, um noch etwas Geld zu verdienen. Dagegen wehren kann sich kaum jemand, weil er dann einfach ausgetauscht wird.

Ein Motorsportverantwortlicher sagte uns dieses Jahr, dass ein Fahrer heute ja froh sein könne, überhaupt einen Werksvertrag zu bekommen. Wie bewertest du diese Aussage?
Timo Scheider: Solch eine Aussage tut mir weh. Wenn du etwas Besonderes kannst, dann hast du dir das auch über Jahre hinweg hart erarbeitet. So etwas dann hören zu müssen, ist in meinen Augen sehr arrogant. Das zeigt aber auch, wie gering der Respekt heutzutage gegenüber Profi-Rennfahrern ist. Das hat ja bei mir schon angefangen bei meinem Abschied von Audi, den ich als sehr respektlos empfand mit einem zweiminütigen Telefonat mit Dr. Wolfgang Ullrich und Dieter Gass.

Es tut weh, dass man diesen Respekt vor Profis verloren hat, dass man das Gefühl bekommt, sie seien nichts mehr wert und nur irgendeine Nummer im großen, millionenschweren Autokonzern. Brauchen wir dann überhaupt noch Profi-Werksfahrer? Es ist schon lange nicht mehr erstrebenswert, Profi-Rennfahrer werden zu wollen. Das ist einer der wenigen Jobs, bei denen du nur mit Talent kaum noch etwas erreichen kannst. Wenn mein Sohn heute Rennfahrer werden wollen würde, wüsste ich nicht, was ich ihm empfehlen sollte.

Letztes Jahr hat der langjährige Audi-Fahrer Mike Rockenfeller bei seinem Abschied mangelnden Respekt beklagt, dieses Jahr soll das Aus von Timo Glock bei BMW nach zehn Jahren ebenfalls ziemlich emotionslos verlaufen sein...
Timo Scheider: Timo ist das jüngste Beispiel dafür, wie respektlos man mit Namen, Heroes, Profis umgeht. Ich finde es enttäuschend, wenn für einen Profi-Rennfahrer, der viele Jahre lang etwas für eine Marke geleistet und die Knochen hingehalten hat, kein Respekt mehr vorhanden ist. Und das ist so.

Foto: BMW AG
Foto: BMW AG

Wie siehst du aus Fahrersicht den Motorsport für die kommenden Jahre aufgestellt?
Timo Scheider: Die Zukunft des Motorsports in Deutschland sehe ich momentan sehr kritisch. Es ist fast gar nicht mehr möglich, Profi-Rennfahrer zu werden. Wenn du auf Rosen gebettet bist und viel Geld hast, ist Motorsport nach wie vor die geilste Sache der Welt. Wenn du Spielgeld hast, fahre Rennen! Natürlich wünsche ich mir, dass der Motorsport noch lange existiert - in welcher Form auch immer. Der noch junge Elektro-Motorsport hat von den Fans einige Kritik abbekommen, und ich kann das zu Teilen verstehen. Aus Fahrersicht ist die Herangehensweise anders, bleibt aber eine Riesen-Challenge.

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