Wer ist dieser Robert Wickens eigentlich, der am Norisring die erste Pole seiner noch jungen DTM-Karriere einfuhr? Der 24-Jährige stammt auf Guelph, einer Universitätsstadt etwa 40 Minuten von Toronto. Sein Lebensmittelpunkt liegt seit fünf Jahren jedoch in Europa, wo er immer dort eine Heimat findet, wo sein jeweiliges Team zu Hause ist. Daher hat er in keiner Stadt zwei Mal gelebt. Im vergangenen Jahr wohnte er in Berlin, um in der Nähe von Team Mücke zu sein, mit denen er seine Premierensaison in der DTM bestritt. Mit dem Wechsel zu HWA erfolgte der Umzug nach Stuttgart, von wo aus er täglich nach Affalterbach pendelt, wenn er nicht gerade ins Lenkrad greift.

Bei HWA geht Wickens durch alle Abteilung, um zu lernen. "Es ist ein großes Lernjahr für mich. Ich lerne viele verschiedene Dinge", berichtet er. In der langen Pause zwischen den Rennen auf dem Lausitzring und dem Norisring setzte er den Lernprozess jedoch kurz aus und tauschte Stuttgart wieder gegen Guelph, wo er zum ersten Mal in diesem Jahr wieder Freunde und Familie traf. Ist es da ein Zufall, dass er sich nach dem Heimaturlaub zu neuen Höhen aufschwingt? Sein Mantra ist einfach: "Happy driver, happy team."

Warten auf den fairen Kampf

Mit Landsmann Bruno Spengler, der am Sonntag neben ihm starten wird und damit die erste rein kanadische erste Startreihe vervollständigt, versteht er sich gut. Allerdings hatten die beiden noch nicht viele Berührungspunkte. "Bruno ist ein großartiger Typ", unterstrich Wickens gegenüber Motorsport-Magazin.com. "Wir waren immer fair, auch wenn wir noch nicht so oft gegeneinander gefahren sind. Letztes Jahr war ich nie in seiner Nähe, weil er die Meisterschaft gewonnen hat und ich die meiste Zeit nicht einmal in die Punkte gekommen bin", merkte er nicht ohne Galgenhumor an.

In dieser Saison hat er den erfolgreichen Landsmann zuletzt am Lausitzring geschlagen, in Brands Hatch standen sie nach der Strafe gegen Gary Paffett gemeinsam auf dem Podium. "Wenn ich ihn geschlagen habe, gelang das durch Strategie. Und wenn er mich geschlagen hat, dann weil er vor mir gestartet ist. Ich bin also eigentlich noch nie richtig gegen ihn gefahren", bedauerte er. "Ich bin sicher, dass es fair wird, weil jeder Meister fair ist."

Ein Zweikampf auf der Strecke sollte nicht lange auf sich warten lassen. Dieses Jahr sei für ihn wirklich unglaublich, gestand Wickens, er werde immer etwas besser. "Ich war nicht überrascht, als ich die Pole hatte, aber wirklich erleichtert", erklärte er. "Ich bin schon zum dritten Mal in Q4 und das hier war das erste Mal, dass ich keinen Fehler gemacht habe. Ich wurde schon sauer auf mich, dass ich immer in Q4 Fehler gemacht habe. Eigentlich liebe ich diese Situationen mit viel Druck, aber ich habe immer Fehler gemacht", verdeutlichte er bei Motorsport-Magazin.com seine Misere.

Normaler Lernprozess

Dass ihm jetzt der Durchbruch gelang, wertet Wickens jedoch nur als Teil eines normalen Lernprozesses. Auch im vergangenen Jahr habe er starke Rennen und Qualifyings gehabt, nur saß er damals noch in einem anderen Auto. "Letztes Jahr war es gut, wenn ich mich als Neunter qualifiziert habe. Man weiß nie, ob man in einem anderen Auto auf der Pole sein kann", meinte er. "Ich bin privilegiert, jetzt ein Auto zu haben, mit dem ich auf Platz eins fahren kann."

Die Philosophie bei Mercedes sei letztes Jahr noch eine andere gewesen und der Wandel zahle sich jetzt aus. "Die Strategie, nur mit sechs ordentlichen Autos zu fahren, funktioniert perfekt. Wir sind der einzige Hersteller, bei dem alle Fahrer einmal in den Punkten waren. Das heißt schon etwas", betonte er. "Es hat wohl keiner erwartet, dass wir das tun, was wir momentan tun." HWA sei jedoch schon immer ein erfolgreiches Team gewesen, was man an zahlreichen Meisterschaften ablesen kann. "Wenn wir einen Schwachpunkt haben, dann arbeiten wir daran. Dann machen wir ihn zu einer Stärke", erläuterte er die Philosophie im Team. "Das Auto ist jetzt phänomenal zu fahren."

Ob es ihn auch zum Sieg trägt, steht auf einem anderen Blatt, denn in diesem Jahr mischen Optionreifen und DRS das Feld auf. Letzteres kann Wickens nicht benutzen, sollte er nach dem Start weiterhin das Feld anführen. "Ich hoffe, dass ich in der ersten Kurve meine Position halten kann", meinte er im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com. Dass man auch ohne DRS als Mittel zur Verteidigung gewinnen kann, haben Paffett und Spengler in der Lausitz beziehungsweise in Spielberg gezeigt. "Bei beiden Strecken gibt es auch sehr lange Geraden", gab Wickens zu bedenken. "Was sich vom letzten zu diesem Jahr geändert hat, ist, dass man eine wirklich gute Chance hat, aufs Podest zu kommen, indem man eine alternative Strategie fährt. Das gab es vorher nicht ohne den Optionreifen. Es wird ein hartes Rennen. Ich hoffe, ich muss mich nicht verteidigen."