Erinnert man sich mit etwas Abstand an die 52. Auflage der 24h Nürburgring zurück, bleiben neben dem kürzesten Rennen der Geschichte und dem vorzeitigen Ende einige wenige Szenen im Gedächtnis. Dazu zählt sicherlich der 'Save des Jahres', wie ein Videoausschnitt beschrieben wird, der während und nach dem Rennen in den sozialen Medien viral gegangen ist.

Irre: Mehr als 10 Millionen Mal wurde ein nur 20-sekündiger Clip über Instagram und Twitter aufgerufen, in dem aus einer Onboard-Kamera heraus zu sehen ist, wie Nachwuchspilot Jusuf Owega den außer Kontrolle zu geraten drohenden #3 Mercedes-AMG GT3 des Mercedes-AMG Team BILSTEIN in allerletzter Sekunde einfängt und die Fahrt unbeschadet fortsetzen kann.

Internet feiert Jusuf Owegas 'unglaublichen Save'

Ein typischer Fall von 'Code Brown', wie man es im Motorsport-Jargon gerne bezeichnet, und eine Situation, die bei Geschwindigkeiten von rund 200 km/h leicht zu einem schweren Unfall hätte führen können. Das Einfang-Manöver endete bekanntermaßen glimpflich und so wurde der 22-jährige Owega von Fans aus aller Welt wegen seines 'unglaublichen Save' gefeiert. Der Vorfall mit dem Kölner, der 2023 in der DTM an den Start ging, spielte sich passenderweise in der sogenannten 'Mutkurve', offiziell Klostertalkurve genannt, auf der Nordschleife ab.

"Im ersten Moment war es schon kritisch", sagt Owega zu Motorsport-Magazin.com. "Wenn man das Auto in solch einer Situation verliert und einschlägt, ist es normalerweise vorbei mit dem Rennen. Das war im Cockpit zunächst meine größte Sorge. Ich war in meinem ersten Stint auf meiner zweiten Runde. Wenn das Rennen dadurch für uns beendet worden wäre, wäre das extrem bitter gewesen. Vor allem, weil wir in der Führungsgruppe fuhren."

Owega: "In so einem Moment erscheint die Zeit einfach langsamer"

In besagter Szene während der 22. Rennrunde am frühen Samstagabend verteidigte sich Owega gerade gegen den heranstürmenden Dennis Marschall im #16 Audi der Scherer-Sport-PHX-Mannschaft, die das Rennen später gewinnen sollte. Den meisten Zuschauern dürfte der Atem gestockt sein, als sie durch Marschalls Onboard-Frontkamera sahen, wie der davor fahrende GT3-Mercedes ins Schlingern geriet, rechts auf den Grünstreifen kam, leicht das Heck verlor und quer über die Fahrbahn schoss. Owega gelang es im letzten Moment, den von HRT eingesetzten Mercedes einzufangen und die Fahrt fortzusetzen.

Für einen Nicht-Rennfahrer ist schlichtweg nicht nachvollziehbar, was bei derartigen Highspeed-Szenen im Kopf des Piloten vorgeht. Owega erklärt: "In so einem Moment erscheint die Zeit einfach langsamer zu vergehen, das fühlt sich wirklich so an. Ich kann mich genau daran erinnern. Ich merke, wie die Hinterachse kommt und habe innerlich im ersten Moment das Rennen schon abgehakt. 'Das kann doch nicht wahr sein, dass ich das Auto in meinem ersten Stint wegwerfe', dachte ich. Aber zum Glück habe ich es irgendwie geschafft, das Auto zu korrigieren. Die Bewegungen am Lenkrad waren alle instinktiv."

Dabei ist es Owega wichtig, mit der Internet-Spekulation aufzuräumen, dass ihn zuvor angeblich die Lichthupe von Marschalls Audi R8 LMS GT3 aus dem Fokus gebrachte habe: "Ich habe einige Kommentare gesehen, in denen stand, dass mich das Flashing abgelenkt hat. Das war nicht der Fall und hatte keine Auswirkungen. Man blendet so etwas aus, weil das sowieso normal ist auf der Nordschleife. Außerdem haben wir im Auto extra getönte Scheiben für die hellen Lichter beim Fahren in der Nacht."

DTM, Jusuf Owega, Landgraf, Mercedes
Nachwuchspilot Jusuf Owega startete 2023 in der DTM für Landgraf-Mercedes, Foto: Mercedes-Benz Group AG

Erklärt: So fing Owega den HRT-Mercedes ab

Ausgelöst wurde die Situation laut Owega, weil er zuvor minimal zu früh eingelenkt und leicht habe korrigieren müssen, um nicht den Kerb auf der linken Fahrbahnseite zu treffen. "Ich bin dann in die Kurve rein und merke plötzlich, wie die Hinterachse kommt. Ich komme etwas quer, lenke ungefähr 90 Grad ein und stelle das Lenkrad dann etwas gerader. Dann kommt das Heck noch mal rum, weil das Auto über den Grünstreifen rutscht, und ich muss noch mal voll gegenlenken."

Motorsport-Magazin.com konnte die private Onboard-Aufnahme des Mercedes-AMG GT3 einsehen und wie blitzschnell Owega mehrfach am Lenkrad reagierte. Er glaubt: "Ich habe den Verdacht, dass hinten rechts auf dem Reifen weniger Grip war und ich auf dem Gras 'entlangrutschen' konnte. Dann kam das Auto wieder gerade - und ich habe tief durchgeatmet." Dass Owega während der Aktion das Bremspedal betätigte, erklärt er so: "Eigentlich soll man nicht bremsen, wenn das Auto querkommt. Ich habe die Bremse nur minimal berührt, einfach, um ein bisschen Geschwindigkeit rauszunehmen."

Aber Hand aufs Herz, Jusuf, wer war in diesem Moment der wichtigere Begleiter an Bord: Talent oder Glück? "Puh, ein bisschen Glück wird mit Sicherheit dabei gewesen sein. Ein bisschen von beidem, würde ich sagen", antwortet der ältere Bruder des amtierenden ADAC-GT-Masters-Champions Salman Owega, der am Nürburgring den #6 HRT-Mercedes fuhr, ehrlich.

Verrückt: Niemand sah das Wahnsinns-Manöver!

War der 'Nordschleifen-Save' selbst nicht schon spektakulär genug, wurde die Geschichte sogar noch verrückter, denn: Owegas Manöver wurde im Fernsehen überhaupt nicht gezeigt, weil die Kameras zu diesem Zeitpunkt voll auf den Unfall von Rowe-BMW-Fahrer Sheldon van der Linde gerichtet waren! Das Onboard-Video machte nur in den sozialen Medien immer mehr die Runde und wurde unter anderem von zwei reichweitenstarken Fan-Accounts (je rund 4 Millionen Aufrufe bis heute) geteilt.

Owega erinnert sich und muss dabei ein wenig lachen: "Die Szene war im TV wirklich nicht zu sehen. Ich habe am Teamfunk gesagt, dass ich gerade einen Moment in der Mutkurve hatte. Spaßeshalber habe ich meinem Ingenieur gesagt, dass er lieber wegschauen soll, wenn es im Fernsehen gezeigt wird!"

Und weiter: "Er meinte nur, dass er gar nichts gesehen habe, nachdem ich meinen Stint beendet hatte und wieder in der Garage war. 'Das kann ja nicht wahr sein', denke ich. Dann ist mir eingefallen, dass der Scherer-Audi eine Live-Onboardkamera im Auto hat, und habe auf dem Handy geschaut. Die hatte die Szene ja perfekt eingefangen. Das habe ich anschließend meinem Ingenieur gezeigt. Er meinte nur, dass ich Recht hatte, als ich ihm am Funk gesagt habe, dass er lieber nicht hinschauen soll..."

Danach war der Vorfall aus Sicht von Owega gegessen, er habe während des Rennens nicht damit gerechnet, dass noch andere Menschen diese Wahnsinns-Szene überhaupt mitbekommen würden. Millionen Aufrufe, hunderttausende Likes und tausende Kommentare sprechen eine etwas andere Sprache... Jusuf grinst: "Falsch gedacht!"