Die 51. Auflage des 24h-Rennen Nürburgring ist eine für die Geschichtsbücher des Eifel-Klassikers. Große Emotionen auf und neben der längsten Rennstrecke der Welt wechselten sich mit knallharten Kämpfen, Rekorden, Crashes und weiteren Dramen in aller Regelmäßigkeit ab. Zeit für eine Bilanz: Motorsport-Magazin.com kürt seine Gewinner und Verlierer des 24-Stunden-Rennens auf der Nordschleife.
Gewinner: Frikadelli Racing - Nicht nur Sieger der Herzen
Erster Frikadelli-Sieg der Geschichte, der erste für Ferrari und den brandneuen 296 GT3, erster Triumph eines nicht-deutschen Autos und Privatteams seit 2002 (Zakspeed-Viper): Die Superlative überschlugen sich beim 24-Stunden-Sieg von Frikadelli Racing regelrecht. Und im Moment des größten Erfolges gedachte Teamchef Klaus Abbelen seiner im März 2021 verstorbenen Lebensgefährtin, der 'Ring-Königin' Sabine Schmitz. Unter den 131 Teilnehmern und 235.000 Zuschauern gab es wohl niemanden, der Frikadelli mit dem Fahrer-Quartett Earl Bamber/Nicky Catsburg/David Pittard/Felipe Fernandez Laser den Sieg beim Heimspiel nicht gönnte.
Gewinner: ROWE-BMW - Was für eine Aufholjagd
Zwar verpasste ROWE Racing den zweiten Nürburgring-Sieg nach 2020 und BMW seinen 21. Triumph auf der Nordschleife, doch mit Platz zwei für den #98 BMW M4 GT3 (Marco Wittmann, Sheldon van der Linde, Dries Vanthoor, Maxime Martin) gelang dem Autobauer aus München ein mehr als versöhnliches Ergebnis. Dabei legte die Truppe aus St. Ingbert um Teamchef Hans-Peter Naundorf eine phänomenale Aufholjagd hin: Nach einem insgesamt schwierigen Qualifying für BMW, hatte die #98 das Rennen vom 31. Startplatz aufgenommen und sich nach der Runde der zweiten Boxenstopps bereits in die Top-10 vorgekämpft. Der ROWE-Erfolg überschattete das insgesamt schwache Abschneiden von BMW mit vier Ausfällen und nur einem M4 GT3 in den Top-10.
Gewinner: Zuschauer - Rekord nur knapp verpasst
Auf dem Nürburgring lebt der Motorsport, das war am langen Rennwochenende an jeder Ecke der Nordschleife zu spüren. 235.000 Fans besuchten die 51. Auflage des Eifel-Klassikers und sorgten neben Festival-Stimmung auch für größeres Verkehrs-Chaos. Den Rekord von 2011 mit 250.000 verkauften Tickets verpasste der Veranstalter ADAC Nordrhein nur knapp. Schon beim beliebten Adenauer Racing Day nahe des Nürburgrings am Mittwoch war der Marktplatz proppevoll - die Hersteller und Sponsoren dürften sich gefreut haben, dass in Deutschland offenbar doch noch Interesse für den Rennsport herrscht...
Gewinner: Abt-Lamborghini - Top-10 beim Comeback
Der Nürburgring war am Wochenende eindeutig Ferrari-Land, doch auch der zweite italienische SP9-Pro-Sportwagen im Starterfeld, der Lamborghini Huracan GT2 Evo2, verdiente Beachtung. Beim Nordschleifen-Comeback und dem ersten 24h-Einsatz mit dem Lambo, erreichte Abt Sportsline mit der #27 (Kelvin van der Linde, Nicki Thiim, Marco Mapelli, Jordan Pepper) den neunten Gesamtrang. Schon im Qualifying hatte der zweifache Nürburgring-Sieger van der Linde mit dem dritten Startplatz aufhorchen lassen, bevor das Team in der Startphase des Rennens sogar Führungskilometer sammelte.
Zwei frühe Reifenschäden warfen die Äbte bis ans Ende des Feldes zurück. Danach hielt sich der neuentwickelte Evo-Lambo schadlos und fightete sich in die Top-10 zurück. Galten 'Exoten' in der Geschichte des 24h-Rennen als nicht allzu robust, gehört dieses Kapitel jetzt offenbar der Vergangenheit an. "Mit diesem Auto, dem starken Team und ein bisschen mehr Rennglück wäre noch viel mehr möglich und auch verdient gewesen", zeigte sich Abt-Boss Hans-Jürgen Abt angriffslustig.
Gewinner: Volker Strycek - Boah, ey!
Es sind Zahlen, die fast schon unglaublich klingen: Der 65-jährige Volker Strycek ging bei der 51. Auflage der 24h-Nürburgring zum 45. Mal an den Start - nur 6 Mal verpasste der Gesamtsieger von 2003 (Phoenix-Opel) den Eifel-Klassiker. "Manchmal denke ich schon, wie alt ich geworden bin. Dabei kommt mir mein erster Start hier wie gestern vor", sagte der frühere Opel-Motorsportchef am Wochenende.
Ebenso zur Nordschleife wie Strycek gehört 'sein' Einsatzgefährt, der ikonische Fuchsschwanz-Manta. Das Comeback des Blitz-Sportlers nach großer Kraftanstrengung von Besitzer Olaf Beckmann in Folge eines schweren Brandes im vergangenen Jahr trieb so manchem Fan die Tränen in die Augen. Im Rennen ließen sich Strycek/Peter Hass/Jürgen Schulten auch von einem zwischenzeitlichen Wechsel der Hinterachse nicht beirren und führten den Manta nach 117 absolvierten Runden ins Ziel. Der Rückstand auf die Sieger in der SP3-Klasse, den #119 Toyota Corolla Altis vom Toyota Gazoo Racing Team Thailand (Suttipong Smittachartch/Nattavude Charoensukhawatana/Nattapong Hortongkum/Manat Kulapalanont) betrug 9 Runden.
Gewinner: Legenden-Audi - Jünger ist nicht immer besser
Sie waren die m meisten gefragten Protagonisten im Vorfeld des 24h-Rennens: die früheren DTM-Champions Timo Scheider, Mike Rockenfeller und Martin Tomczyk, die für den Eifel-Klassiker höchst überraschend zu Audi Sport zurückkehrten - nach zuvor nicht durchweg freundschaftlichen Abschieden - und den werksunterstützten Legenden-R8 LMS GT3 mit der Startnummer #40 ins Feld führten. Große Show also anlässlich des 40. Firmengeburtstages der Performance-Marke aus Neuburg.
Dass die drei Herren im Herbst ihrer Karriere, Tomczyk hatte den Helm gar schon an den Nagel gehängt, noch den nötigen Speed haben, bewiesen sie im schnellen Rennen: Gesamtplatz 12 und damit drittbester Audi! Sie waren nicht das schnellste Audi-Gespann, hielten sich mit all ihrer Routine aber vorzüglich aus brenzligen Situationen heraus. Das im Vorfeld gesteckte Ziel eines Top-10-Resultats verpassten Scheider/Rockenfeller/Tomczyk um nur 02:25 Minuten.
Gewinner: Rekorde - Rennen für die Geschichtsbücher
Die 2023er-Ausgabe der 24 Stunden vom Nürburgring entwickelte sich auch wegen der erstmals seit 2001 durchweg trockenen Bedingungen zum Rennen der Rekorde: Nie zuvor wurde das Rennen mit einer derart hohen Pace bei den GT3-Autos geführt! Der Frikadelli-Ferrari stellte einen neuen Distanzrekord von 162 Runden (4.111,236 km) mit Schlussfahrer David Pittard auf. Zum Vergleich: 2022 gelang es den Siegern von Phoenix-Audi, den seit dem Jahr 2014 bestehenden Rekordwert (159 Runden bzw. 4.035,102 km) des eigenen Meuspather Teams einzustellen.
Der Speed schlug sich auch in den Rundenzeiten nieder - vor allem der Ferrari verblüffte die Konkurrenz mit seiner enormen Performance. Daniel Keilwitz im #20 296 GT3 von WTM by Rinaldi Racing fuhr am frühen Sonntagmorgen in Runde 93 einen neuen Rundenrekord in 8:08.006 Minuten! Damit war der Ferrari auf seiner besten Runde mehr als drei Sekunden schneller als der Rest des Feldes. Zum Vergleich: Die schnellste Rundenzeit aus dem Jahr 2022 betrug 8:11.639 Minuten.
Gewinner: Ernst Moser - Lollipop zum Abschied
Sportlich lief es für Phoenix Racing - Verzeihung, Scherer Sport PHX - nach dem Vorjahressieg diesmal nicht nach Plan, doch das hielt das Fahrerlager nicht davon ab, den langjährigen Teamchef Ernst Moser gebührend zu verabschieden. Der 62-Jährige zieht sich zum Jahresende vom Kommandostand zurück, wie er im Vorfeld des 24h-Rennens exklusiv bei Motorsport-Magazin.com öffentlich bekanntgegeben hatte.
"Ich will mich erst einmal bei meiner Mannschaft bedanken, über viele Jahre haben wir so viele Erfolge gefeiert. Ohne sie wäre ich gar nichts. Ich bedanke mich auch bei den vielen Fans, die immer an uns geglaubt haben und für die ganzen Nachrichten, die ich immer bekommen habe", bedankte sich Moser am Sonntag emotional. Und verabschiedete sich mit einem echten Gag: In der Schlussphase machte der Phoenix-Gründer höchstpersönlich den Lollipop-Mann in der Boxengasse und sorgte nach sechs Nürburgring-Siegen noch einmal für großartige Bilder.
Verlierer: Ausfall-Orgie - Nur die Hälfte kommt an
Einst im Jahr 1970 als Breitensport-Veranstaltung ins Leben gerufen, hat sich das 24h-Rennen Nürburgring längst zur Schlacht der Hersteller entwickelt. Hohe Budgets und mindestens so großer Druck fließen jährlich bei den Marken, um nach dem prestigeträchtigen Gesamtsieg beim weltberühmten Rennen zu greifen. Das sorgt für schnelle Rundenzeiten auf der Nordschleife, aber ebenso großes Crash-Potenzial. 16 der 32 gestarteten GT3-Autos, und damit die Hälfte der SP9-Klasse, fielen vorzeitig aus und wurden nicht gewertet. Ein teures 'Spektakel', das dieses Jahr von auffällig vielen Reifenschäden geprägt war.
Verlierer: Porsche - Manthey-Drama und Co.
Mit großen Erwartungen und sieben stark besetzten, neuen Porsche 911 GT3 R war der Sportwagenbauer in die Eifel gereist, um den 14. Gesamtsieg anzugreifen. Doch daraus wurde nichts, ganz im Gegenteil: Bei fünf vorzeitigen Ausfällen lief der bestplatzierte 911er in den Händen von Rutronik-Racing (Olsen, Cairoli, Andlauer) als Fünfter zwar in der Führungsrunde, aber mit Performance-Rückstand ins Ziel ein. Mit der #44 von Falken Motorsports (Eriksson, Heinemann, Menzel, Ragginger) erreichte der zweite verbliebene Porsche immerhin als Zehnter ebenfalls die Top-10 und konnte sich bis zu einem späten Reifenschaden kleine Hoffnungen auf einen Podestplatz machen.
Ein Drama erlebte unterdessen der Porsche der siebenmaligen Sieger-Mannschaft Manthey: Kevin Estre wurde bei einer frühen Kollision in die Reifenstapel bugsiert und zog sich einen Reifenschaden am #911 Grello zu. Das sollte allerdings nur der Anfang mehrerer Probleme im Bereich der Reifen sein, die Manthey zur vorzeitigen Aufgabe nach nur 62 Runden zwangen. Eine Sicherheitsmaßnahme, sicherlich auch, weil das Auto am nächsten Wochenende beim DTM-Auftakt in Oschersleben eingesetzt wird. Neun Runden vor dem Aus hatte Estre noch die schnellste Rundenzeit des Teams (8:11.742) erzielt.
Verlierer: Audi - Keine Geschenke zum Geburtstag
Im Jahr des 40. Firmengeburtstages hatte sich die Audi Sport GmbH beim Highlight auf dem Nürburgring einiges vorgenommen und mit speziellen Fahrzeugfolierungen an die Erfolge vergangener Zeiten in Le Mans, der Rallye-WM oder der IMSA erinnert. Der diesjährige Auftritt dürfte hingegen schnell in der Versenkung verschwinden. Mit einer Runde Rückstand rollte die #39 vom Audi Sport Team Land (Haase, Mies, Niederhauser) auf dem sechsten Platz ins Ziel und stellte den einzigen R8 LMS GT3 in den Top-10.
Zwar hatte Audi weniger Ausfälle zu verkraften als die deutsche Konkurrenz von BMW und Porsche, doch die Plätze elf, zwölf und 13 der zwei Autos von Scherer Sport PHX und dem Entry von Car-Collection dürften den Ansprüchen kaum genügen. "Wenn ich ehrlich bin, bin ich schon etwas enttäuscht", so Scherer-PHX-Teamchef Christian Scherer. "Sportlich haben wir uns andere Ziele gesetzt und können mit dem Ergebnis daher nicht zufrieden sein."
Verlierer: Dacia Logan - Er ist tot!
Aus sportlicher Sicht spielte der Dacia Logan natürlich keine Rolle, verkörperte aber ebenso wieder Opel Manta den besonderen Flair des 24-Stunden-Rennens auf der Nordschleife: Hier können auch die vergleichsweise kleinen, in mühsamer Handarbeit aufgebauten Autos zu den größten Fan-Lieblingen avancieren. In diesen illustren Reigen hat sich innerhalb kürzester Zeit der Dacia Logan vom Team 'Ollis Garage' eingereiht.
Für das leistungsschwächste Auto im Starterfeld ging es jedoch nicht glimpflich aus: Nach einem Unfall mit dem GT3-Porsche von Dinamic war der Dacia Kernschrott. "Der Dacia ist tot", meldete das Team in einer ersten Reaktion. Fans hoffen, dass die Mannschaft noch einmal die Kraft, den passenden Motor und das nötige Geld findet, den Wagen aufzubauen. Die GT3-Vertreter könnten hingegen eher auf den Dacia verzichten, der mit seiner schnellsten Rundenzeit (11:49.543 Minuten) pro Umlauf fast 4 Minuten langsamer war als die schnellsten Autos.
Verlierer: Permits weg - nicht verloren, sondern entzogen
Gleich zwei über 60-jährigen Amateur-Fahrern wurde während des laufenden Wettbewerbs am Nürburgring die sogenannte Nordschleifen-Permit entzogen. Die Italiener, beide auf unterschiedlichen Porsche Cayman unterwegs, wurden natürlich sofort vom Rennen disqualifiziert und können sich die Nordschleife in Zukunft erst einmal vom Campingplatz aus ansehen. Beide wurden in Code-60-Phasen mit mehr als 60 km/h zu viel 'geblitzt' und stellten damit eine potenzielle Gefahr für auf der Strecke arbeitendes Personal dar. Nicht nur erwiesen sie ihren Teams durch lange Zeitstrafen einen Bärendienst, auch sind es genau derartige Vorfälle, die die Amateur-Eignungs-Diskussion beim inzwischen so schnell geführten 24h-Rennen anfeuern.
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