In der WEC sind Frauen nicht ganz so selten anzutreffen wie in den meisten anderen Kategorien des Motorsports. Seit der Gründung der Langstrecken-WM im Jahr 2012 gingen 16 Rennfahrinnen an den Start, darunter auch bei den 24 Stunden von Le Mans. Dazu zählen unter anderem die dreimalige Le-Mans-Starterin Sophia Flörsch, Mercedes-Juniorin Doriane Pin, Ferrari-Nachwuchspilotin Lilou Wadoux oder die frühere Formel-2-Fahrerin Tatiana Calderon.

In der laufenden Saison 2025 tritt mit den von Manthey-Porsche betreuten Iron Dames - Rahel Frey, Michelle Gatting und Celia Martin - sogar ein reines Damen-Team in der LMGT3-Klasse an. Damit hat die WEC zumindest für Motorsport-Verhältnisse schon einiges erreicht. Eines fehlt aber noch auf der To-Do-Liste: Eine Frau in einem Hypercar aus der Topklasse der FIA-Weltmeisterschaft. Keiner der acht Hypercar-Hersteller hat sich bislang getraut, eine Fahrerin ins Cockpit zu setzen.

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Das Höchste der Gefühle waren bislang zwei Testfahrten der Französin Lilou Wadoux, die 2022 und 2023 die LMH-Hypercars von Toyota und ihrem Arbeitgeber Ferrari ausprobieren durfte. Die 23-Jährige, die 2022 in Le Mans mit Rallye-Superstar Sebastien Ogier und Charles Milesi auf einem LMP2 an den Start ging, setzt ihre Karriere aktuell zwar auf der Langstrecke, jedoch 'nur' in einem GT3-Ferrari fort.

Jamie Chadwick auf Pole Position für Hypercar-Cockpit

Jetzt schickt sich eine andere Dame an, den Bann zu brechen und als erste Frau in der Hypercar-Klasse anzutreten: Jamie Chadwick. Die Britin zählt zum Entwicklungsprogramm von Genesis Magma Racing, das 2026 sein WEC-Debüt mit einem LMDh-Prototypen geben wird. Die Luxusmarke von Hyundai bereitet sich aktuell auf das neue Werksprogramm vor und hat dafür zusammen mit IDEC Sport einen Einsatz in der European Le Mans Series auf die Beine gestellt.

Chadwick zählt ebenso zum Fahrerkader wie der noch unbekannte Franzose Mathys Jaubert und der frühere DTM-Pilot Daniel Juncadella, der als Nachfolger für den zurückgetretenen Ex-Formel-1-Fahrer Logan Sargeant verpflichtet worden ist. Das Trio bestreitet auf einem LMP2-Prototypen von IDEC die gesamte Saison der European Le Mans Series, die am kommenden Wochenende in Barcelona beginnt.

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Jamie Chadwick bei den ELMS-Testfahrten in Barcelona, Foto: IMAGO/PsnewZ

Genesis-Boss stellt Hypercar-Cockpit in Aussicht

Hyundai-Motorsportchef Cyril Abiteboul hat den Entwicklungsfahrern WEC-Cockpits in den beiden Genesis-Hypercars in Aussicht gestellt. Als Stammfahrer sind für 2026 bisher nur der dreimalige Le-Mans-Sieger und amtierende WEC-Weltmeister Andre Lotterer sowie der Brasilianer Pipo Derani eingeplant. Chadwick steht nun in der Pole Position, sich einen der begehrten Plätze zu schnappen. Damit wäre sie nächstes Jahr die erste Frau, die mit einem Hypercar in der WEC und bei den 24 Stunden von Le Mans um Gesamtsiege kämpfen kann.

"Für die Fahrer in unserem Entwicklungsprogramm geht es darum, sich mit Langstreckenrennen und Le-Mans-Prototypen vertraut zu machen", erklärt Renaults früherer Formel-1-Teamchef Abiteboul. "Und darum, sich die Fähigkeiten anzueignen, um sich potenziell unserem nächstjährigen WEC-Lineup oder ab 2027 in der IMSA anzuschließen."

Der Franzose weiter: "Man sieht eindeutig, dass Jamie und Mathys gute Fahrer sind, aber noch nicht die höchsten Klassen des Motorsports erreicht haben. Wir glauben daran, dass sie die Fähigkeiten besitzen, um zukünftig ein Teil des Genesis-Magma-Lineups zu werden. Erfolge in dieser Saison bedeuten einen großen Schritt in diese Richtung."

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Jamie Chadwick hat die besten Chancen auf ein Hypercar-Cockpit, Foto: IMAGO/PsnewZ

Chadwick: Über W-Series-Hattrick und Nürburgring-Sieg in die F1

Chadwick zählt seit Jahren zu den Damen, denen die größten Chancen auf ein Top-Cockpit ausgerechnet werden. Die 26-Jährige machte sich mit drei Titelgewinnen in der ehemaligen Frauen-Formelserie namens W Series einen Namen. In den Saisons 2019, 2021 und 2022 setzte sie sich deutlich gegen ihre weibliche Konkurrenz durch. Chadwick wechselte 2023 in die IndyCar-Nachwuchsserie IndyNXT (ehemals Indy Lights) und schaffte letztes Jahr den Durchbruch: Sie gewann als erste Frau seit Pippa Mann 2010 ein Rennen und erreichte den siebten Platz in der Gesamtwertung.

Das Formel-1-Team von Williams wurde auf Chadwick aufmerksam, nahm sie 2023 als Juniorin unter Vertrag und ließ sie einen alten F1-Boliden beim Goodwood Festival of Speed fahren. Heute begleitet sie den Rennstall aus Grove als Botschafterin, aber der einst erhoffte Formel-1-Zug ist längst abgefahren. Mit der Aussicht auf ein Stammcockpit bei Genesis winkt jetzt stattdessen ein sehr lukrativer Job auf der Langstrecke.

Start im Langstrecken-Rennsport für Genesis Magma Racing mit Unterstützung von Hyundai Motorsport
So soll das WEC-Hypercar von Genesis aussehen, Foto: Genesis Magma Racing

Chadwick: Langstrecke bietet gute Chance für Frauen

"Ich denke, dass Langstreckenrennen eine großartige Möglichkeit sind, um das Spielfeld für viele Fahrerinnen zu ebnen", sagt Chadwick. "Es gibt dort viele gute Chancen. Was zum Beispiel die Iron Dames machen, ist ein wirklich starker Wegbereiter für andere Frauen im Motorsport. Es ist wichtig, diesen Fortschritt weiter voranzutreiben. Ich finde es toll, dass wir daran arbeiten, noch mehr Frauen für unseren Sport zu gewinnen."

Chadwick fokussierte sich in ihrer bisherigen Karriere auf den Formelsport, hat aber auch schon ein wenig Erfahrung auf der Langstrecke vorzuweisen. 2018 und 2019 startete sie mit einem Aston Martin Vantage GT4 beim 24h-Rennen Nürburgring und schaffte im zweiten Anlauf sogar einen Klassensieg. Ihr damaliger Teamkollege und Landsmann, Ross Gunn, fährt heute eines der Aston-Martin-Hypercars in der WEC.

Platz wäre für Chadwick und Co. ausreichend: Während in der Formel 1 nur 20 Cockpits zur Verfügung stehen, sind es in der Hypercar-Klasse der WEC theoretisch bis zu 54 Plätze. Mit dem nächstjährigen Genesis-Einstieg würde die Anzahl zu vergebener Cockpits sogar auf 60 anwachsen. "Die Hypercar-Klasse ist beeindruckend und natürlich würden wir gerne Frauen in dieser Kategorie begrüßen", sagte WEC-Geschäftsführer Frederic Lequien Ende 2023 und kündigte mögliche Überraschungen für 2024 oder 2025 an. Weniger überraschend: Passiert ist seitdem nichts.