21 Grand-Prix-Wochenenden aber insgesamt 42 Rennen trägt die MotoGP 2023 aus. Denn zusätzlich zu den Hauptrennen am Sonntag werden in dieser Saison erstmals auch Sprints über die halbe Distanz am Samstag gefahren. Der neue Modus bedeutet eine der gravierendsten Regeländerungen in der Geschichte der Motorrad-Weltmeisterschaft. Motorsport-Magazin.com prüft, wie sich diese auf das Kräfteverhältnis auswirken könnte.

Die möglichen Gewinner

Bologna-Power: Dass Ducati den stärksten Motor stellt, ist in der MotoGP mittlerweile schon zu einer Art Naturkonstante geworden. Der V4 der Desmosedici kann seine volle Power von rund 300 PS aber nicht über eine volle Renndistanz ausspielen, da so kein Auskommen mit den maximal erlaubten 22 Litern Sprit möglich wäre. Die komplette Leistungsentfaltung gab es bislang nur im Qualifying, wo Ducati vor allem im Vorjahr ja zu einer echten Macht wurde. 16 von 20 Pole Positions gingen an Fahrer auf einer Desmosedici. Fünf Mal besetzte man die komplette erste Startreihe, in je zwei dieser Qualifyings gingen sogar die ersten vier beziehungsweise fünf Ränge an Ducatisti. Das Potenzial der Maschine aus Bologna ist also gewaltig, wenn sie wirklich losgelassen wird. Und das sollte im Sprint zumindest annähernd möglich sein. Denn die Renndistanz beträgt im Sprint wie eingangs erwähnt 50 Prozent des Hauptrennens, es sind aber 55 Prozent des Spritvolumens erlaubt - 12 anstatt 22 Liter. Proportional kann also mehr Treibstoff verbrannt werden und das sollte den leistungsstarken Maschinen in die Karten spielen.

Neuer MotoGP-Modus 2023: Alle Details zum Sprint (04:36 Min.)

Pole-Könige: Gute Startpositionen wurden in den vergangenen Jahren in der MotoGP immer wichtiger, da die Performance-Unterschiede zwischen den einzelnen Maschinen kleiner und Überholmanöver im Rennen aus verschiedensten Gründen zunehmend schwieriger wurden. Gute Qualifyer haben somit im Rennen einen beträchtlichen Vorteil. Und das gilt umso mehr im nur halb so langen Sprint. Das könnte Qualifying-Spezialisten wie Jorge Martin in die Karten spielen. Der Spanier holte im Vorjahr fünf Pole Positions, Sieg gelang ihm aber kein einziger. Seine guten Startpositionen auch in zählbare Resultate umzumünzen sollte im Sprint deutlich einfacher sein.

Reifenmörder: Ein Grand Prix ist nur äußerst selten eine reine Tempojagd vom Start bis ins Ziel. Meistens steht am Ende jener Fahrer ganz oben, der den besten Mittelweg aus Speed und Reifenmanagement findet. Ein Kompromiss, der gewissen Fahrern schwerer fällt als anderen. Sei es etwa aufgrund eines aggressiven Fahrstils wie bei Jack Miller oder aufgrund einer natürlich gegebenen höheren Körpergewichts wie beim großgewachsenen Luca Marini. Sie sind Piloten, die immer wieder in den letzten Runden in Probleme geraten oder sich, um genau das zu vermeiden, in der Startphase extrem konservativ verhalten müssen. Das sollte im Sprint nicht nötig sein und so könnte etwa ein Luca Marini an den MotoGP-Samstagen 2023 seine ersten echten Glanzlichter in der Königsklasse liefern.

Kein Geld, kein Rennen? MotoGP droht Sprintboykott (07:04 Min.)

Die möglichen Verlierer

Spätzünder: Den Gegenpol zu den Problemkindern der letzten Runden wie Miller oder Marini stellt Enea Bastianini dar. Kein Fahrer streichelt die Michelin-Pneus derart sanft wie der Ducati-Werkspilot. Immer wieder kann er so in den letzten Rennrunden seine Rivalen noch überflügeln. Ein Ass im Ärmel Bastianinis, welches ihm in den samstäglichen Sprints fehlen wird. Doch in den verkürzten Rennen wird der Italiener nicht nur seiner Stärke beraubt. Auch seine Schwäche wird in den Vordergrund rücken. Ja, Bastianini ist ein hervorragender Finisher. Er ist aber auch ein für seine Klasse bescheidener Starter. Im Rahmen der Ducati-Präsentation Ende Januar gestand er selbst, die Anfangsphase hin und wieder etwas zu 'verschlafen'. Derartige Powernaps sollte Bastianini 2023 vermeiden, will er nicht zu den Verlierern des neuen Sprintmodus gehören.

Quali-Strauchler: Bittere Folgen könnte die Einführung der Sprintrennen für KTM haben. Die Österreicher haben ihre RC16 über den Winter zwar kräftig umgebaut, konnten bei den bisherigen Testfahrten die große Schwäche der Maschine aber noch nicht beseitigen. KTM kämpft seit Jahren mit schwachem Speed über eine schnelle Runde im Training und Qualifying. Brad Binder kann am Sonntag immer wieder mit beeindruckender Renn-Pace die Kohlen aus dem Feuer holen, doch dafür wird ihm im kurzen Sprint am Samstag schlicht die Zeit fehlen. Was für den Mann mit der Nummer 33 zutrifft, gilt auch für seine Markenkollegen. Bekommt KTM die Qualifying-Probleme nicht in den Griff, wird auch der eingangs erwähnte Jack Miller nur wenig Freude an den Sprints haben.

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Patienten: Durch den neuen Modus wird es für die MotoGP-Stars 2023 umso wichtiger werden, verletzungsfrei durch die Saison zu kommen. Die Belastung im Hinblick auf gefahrene Kilometer bleibt durch die Streichung einer Trainingssitzung zwar in etwa gleich, doch die Anzahl an ergebnisrelevanten Sessions steigt durch die Einführung der Sprints natürlich. Verletzte man sich etwa in der Vergangenheit im Qualifying und verpasste das restliche Wochenenden, bedeutete das ein Maximum von 25 verlorenen Punkten auf einen etwaigen WM-Rivalen. 2023 wächst diese Zahl durch die 12 Zähler für einen Sprintsieg auf 37 Punkte.

Völlig unklar

Die Serie: Die Gründe für die Einführung der Sprintrennen liegen auf der Hand. Es geht nicht darum, das Kräfteverhältnis durcheinanderzuwirbeln. Den MotoGP-Fans soll lediglich mehr geboten werden, im konkreten Fall mehr Rennaction. Diese werden sie bekommen, fraglich ist aber, ob das der Königsklasse auf zwei Rädern tatsächlich dabei hilft, wieder an Popularität zu gewinnen. Denn mehr ist eben nicht immer mehr. In anderen Sportarten wie Fußball hat sich unter Fans bereits eine Übersättigung eingestellt. Diese droht durch die Expansion der vergangenen Jahre auch der MotoGP. 2017 etwa wurden noch 18 Rennen ausgetragen, 2023 sind es inklusive Sprints 42. Ob der geneigte Zuseher die tatsächlich alle verfolgen will, ist fraglich. Und was passiert, wenn die Sprints an Dramatik und Action die Hauptrennen sogar übertreffen? Dann läuft die MotoGP Gefahr, ihr eigentlich bestes Produkt zu schwächen. Das kann nicht im Sinne der Erfinder sein.